Flüchtlingsfrage macht Kirchen zu schaffen

Erstveröffentlicht: 
18.06.2016

Im vorigen Jahr haben 7700 Menschen die evangelische Landeskirche verlassen. Einigen von ihnen ging die Nächstenliebe zu weit. Aber es gibt auch Gemeinden mit einer ganz anderen Entwicklung.

Von Oliver Hach

 

Dresden/Freiberg/Zwickau. "Wer unsere Kirchen wochenlang mit abgelehnten Asylanten vollstopft, der hat bei mir jedes Verständnis verspielt. Mein Austritt aus der evangelischen Kirche war deshalb völlig richtig." So lautet ein Online-Kommentar unter einem MDR-Bericht vom September 2015 zum Thema Kirchenasyl. Beim Internetportal "evangelisch.de" schrieb ein Nutzer im Januar 2016 über den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, der um Empathie für Flüchtlinge wirbt: "Wenn diese Elfenbeinturm-Gruppe in den nächsten zwei Wochen nicht zur Besinnung kommt, dann sind meine Familie und ich endgültig aus diesem links-grünen Verein ausgetreten."

 

Rund 7700 Menschen haben nach Angaben des sächsischen Landeskirchenamtes 2015 die Evangelisch-Lutherische Landeskirche verlassen. Das sind deutlich weniger als die 11.200 von 2014, aber immer noch fast 60 Prozent mehr als 2013.

 

Warum Menschen der Institution Kirche den Rücken kehren, bleibt in den allermeisten Fällen unklar, denn es ist ein formaler behördlicher Akt: Beim zuständigen Standesamt seiner Kommune erklärt man den Austritt, das Meldeamt gibt die Daten ans Finanzamt weiter. Nach Gründen wird nicht gefragt.

 

Für die Austrittswelle 2014 gab es immerhin eine schlüssige Erklärung: eine neue Regelung zu Kirchensteuern auf Kapitalerträge. Früher wurden diese über die Steuererklärung erhoben, inzwischen ziehen die Banken sie direkt ein. Zwar muss dadurch niemand mehr bezahlen, die entsprechenden Erläuterungen auf den Kontoauszügen verwirrten und verschreckten aber viele, vor allem ältere Menschen.

 

Auch 2015, so glaubt man im Landeskirchenamt, hat dieser Effekt noch nachgewirkt. In mehreren sächsischen Kirchenbezirken gibt es aber auch Hinweise darauf, dass Drohungen, wie sie im Internet gegen die flüchtlingsfreundliche Haltung der Kirchen ausgesprochen werden, durchaus ernst zu nehmen sind. So berichtet der Superintendent des Kirchenbezirks Freiberg, Christoph Noth, ihm seien fünf Personen aus seinem Sprengel persönlich bekannt, die ausschließlich mit dieser Begründung ihren Austritt aus der Kirche erklärten. "Zwei haben mich angerufen und mich damit geschockt", berichtet Noth. In den Telefonaten habe er zu hören bekommen, die Kirche solle sich stärker gegen den Zustrom von Asylbewerbern wehren. "Auch Angst vor dem Islam und vor Kriminalität spielte eine Rolle." Nach Angaben des Superintendenten erklärte sogar ein Mitglied der Bezirkssynode, des regionalen Kirchenparlaments, mit Verweis auf eine angeblich einseitige Haltung der Kirche in der Flüchtlingsfrage seinen Austritt.

 

In Plauen spricht Superintendentin Ulrike Weyer von zwei Lagern in den vogtländischen Kirchgemeinden. "Es gibt viele, die sich engagieren und Nächstenliebe zeigen, wie sie die Bibel lehrt", sagt sie. Es gebe aber auch diejenigen, die Flüchtlinge klar ablehnen. "Es könnte sein, dass bei einigen wenigen das ein Motiv für den Austritt gewesen ist."

 

Beim Kirchenbezirk Dresden-Mitte gingen schon "sehr kritische E-Mails, verbunden mit Kirchenaustritt" ein, wie die für Öffentlichkeitsarbeit zuständige Mitarbeiterin Mira Körlin berichtet. Superintendent Christian Behr, der mehrere kontrovers geführte Bürgerdialoge zum Thema Asyl organisierte, berichtet von einem Ehepaar, das seinen Austritt erklärte, "weil die Kirche Flüchtlinge zu offen einlädt, in unser Land zu kommen". Es gebe Christen, die nicht wollten, dass Muslime kommen, und die sich von ihrer Kirche nicht mehr vertreten fühlten. Zu Pegida sagt der Dresdner Superintendent: "Da laufen auch viele Kirchenmitglieder mit." Pegida-Chef Lutz Bachmann hatte schon im November 2014 auf einer Kundgebung vor mehreren Tausend Anhängern gesagt: "Letzte Woche bin ich aus der Kirche ausgetreten."

 

Für Matthias Oelke, Sprecher im Landeskirchenamt in Dresden, ist das keine Überraschung. "Wir sind auch nur ein Querschnitt der Gesellschaft", erklärt er. Die Kirche selbst werde sich aber stets zu ihrer Verantwortung für Hilfebedürftige bekennen. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise Ende 2015 hatte es Landesbischof Carsten Rentzing indes so formuliert: "Nächstenliebe kennt keine Grenzen, aber die menschlichen Kräfte kennen sie."

 

In Zwickau hat Pfarrer Jens Buschbeck erlebt, wie bereichernd Nächstenliebe gegenüber Fremden sein kann. In seiner Luthergemeinde gibt es inzwischen 50 bis 60 Menschen aus dem Iran und Afghanistan. "Jeden Sonntag sind 30 von ihnen im Gottesdienst", berichtet der Pfarrer. Bei den Einheimischen sei so das Verständnis gegenüber den Migranten gewachsen. Gemeindemitglieder sagten ihm: "Wenn wir diese Leute nicht persönlich kennen würden, wären wir vielleicht auch nach Dresden zu Pegida gefahren."

 

In der Luthergemeinde gab es im vergangenen Jahr nur zwei Kirchenaustritte. "Unsere Gemeinde wächst", sagt Pfarrer Buschbeck. Und die Christen seien auch sehr aktiv. "Wir haben 470 Gemeindeglieder. 150 kommen zum Gottesdienst." Am Sonntag wird es in Zwickau eine Predigt zum Tag des Flüchtlings am 20. Juni geben. Eine Woche später werden in der Lutherkirche 36 Flüchtlinge getauft. 

 

Rund 728.000 Mitglieder


Ende 2014 hatte die evangelische Landeskirche in Sachsen noch rund 728.000 Mitglieder in 719 Kirchgemeinden. Im vergangenen Jahr dürften es - vor allem bedingt durch den demografischen Wandel - wieder weniger geworden sein. Diese Zahlen werden aber erst in einigen Wochen veröffentlicht.

Die meisten Kirchenmitglieder sind vor allem eines: Steuerzahler. Nur 7,5 Prozent von ihnen beteiligen sich regelmäßig am Gemeindeleben. Das ist aber immer noch deutlich über dem Bundesdurchschnitt, der bei fünf Prozent liegt.