In keiner sächsischen Stadt tauchen so viele neue Graffitis auf wie in Leipzig. Insgesamt ist die Zahl der aufgesprühten Wandbilder im Freistaat aber zurückgegangen, so das Landeskriminalamt.
Dresden. Die Zahl illegaler Graffiti in Sachsen ist im vergangenen Jahr zurückgegangen. Nach Angaben des Landeskriminalamtes wurden landesweit 8808 Taten registriert, 648 oder 6,9 Prozent weniger als 2014. Graffiti-Hauptstadt Sachsens ist mit Abstand Leipzig, wo mehr als 2500 Fälle angezeigt und 284 Täter ermittelt wurden.
Zum Vergleich: In Chemnitz zählten die Sicherheitskräfte 602, in Dresden 1627 neue, illegale Graffiti. Stadtverwaltungen und Initiativen versuchen jeweils auf ihre Art, die Flut an Schmierereien einzudämmen, wie eine Umfrage ergab.
Leipzigs Stadtverwaltung kann nur vermuten, warum es gerade hier so viele Graffiti gibt. „Wir haben das zwar nicht wissenschaftlich untersucht“, teilte ein Sprecher mit. Aber da seien die zentrale Lage der Stadt und die lebendige Kultur- und beständige Sprayer-Szene. Zur Bekämpfung sei stark auf restriktive Maßnahmen gesetzt worden. Es gebe zu wenige Angebote für legales Sprayen und für Jugendsozialarbeit mit Sprayern reichten nicht die Kapazitäten. Es komme hinzu, dass noch viele Gebäude leer stünden, auch wenn sich das mit der inzwischen wieder wachsenden Bevölkerung allmählich ändere.
„Wir hatten die Nase voll“
Seit 2003 versucht der Verein Stattbild gegenzusteuern. „Wir hatten die Nase voll und wollten etwas tun“, sagte Vorstandsmitglied Eckardt Nowak. Die Reinigungskosten seien hoch, die Stadt mache einen verwahrlosten Eindruck, das Sicherheitsgefühl der Einwohner sei beeinträchtigt.
Mit Vorträgen in der Schule will der Verein Jugendliche von einer Sprayer-Karriere abhalten, betroffene Hauseigentümer werden beraten. „Graffiti müssen immer schnell wieder entfernt werden“, weiß Nowak. Die Szene sei aggressiver geworden. Ladenbesitzer, die Reinigungsaktionen unterstützten, und Mitarbeiter von Reinigungsfirmen würden bedroht. Manche Sprayer verwendeten teerhaltige Lacke oder Einbrennlacke. „Da ist der Aufwand für die Entfernung erheblich.“ Auch gestaltete Flächen, Friedhofsmauern, Kirchen und Denkmäler würden nicht mehr verschont.
Der Wohnungsgenossenschaft Unitas gehören in Leipzig und Delitzsch 5445 Wohnungen. 2015 seien 52 Schäden durch Graffiti entstanden. „Grundsätzlich entfernen wir diese möglichst schnell“, berichtete Vorstand Steffen Foede. Rund 10.130 Euro habe das gekostet. An Brennpunkten werde technisch vorgesorgt - wenn es sein müsse, auch mit Videoüberwachung. Graffiti gehe bisweilen mit anderer Sachbeschädigung oder sogar Einbrüchen einher. „Wir wollen unseren Bewohnern Geborgenheit in ihrem Heim bieten.“
Dresden setzt bei der Vorbeugung vor allem auf legale Flächen für Sprayer („legal plains“). Sechs solcher Areale gibt es aktuell. Die Stadt sei interessiert, weitere zu finden, heißt es. Zudem seien viele Flächen und viele Verteilerkästen gestaltet worden, um diese vor Schmiererein zu schützen. So hätten etwa 2014 zwei Künstlerinnen die Fassade einer Grundschule in der Dresdner Neustadt, die immer wieder mit Graffiti beschmiert wurden, mit einem Wandbild gestaltet.
Graffiti-Künstler Jens Müller alias Tasso aus Meerane wirbt um Verständnis. Er organisiert das jährliche IBUg-Festival für urbane Kunst, bei dem sich die internationale Graffiti-Szene trifft - in diesem Jahr von 26. bis 28. August in der ehemaligen VEB Buntfärberei in Limbach-Oberfrohna. IBUg steht für Industriebrachen-Umgestaltung.
„Ich wusste was ich tat“
An den Wänden der abrissreifen Gebäude von Industriebrachen entstehen ganz legal und genehmigt komplette Galerien. „Ohne die illegale Graffiti-Sprayerei gäbe es viele Künstler oder etwa auch Grafiker nicht“, sagte Tasso. Für viele sei das der Einstieg gewesen, auch für ihn. „Das ist Sachbeschädigung, ist klar. Ich wusste, was ich tat und bin von der Polizei gejagt worden. Das war ein Katz-und-Maus-Spiel.“
Der 49-Jährige gestaltet jetzt ganz legal unter anderem Häuserfassaden. Wenn sich ein Jugendlicher eine Farbdose kaufe und Sprayen gehe, wolle er nicht so sehr Schaden anrichten, sondern vor allem kreativ sein. „Und wenn jemand Beton nackt schöner findet als mit einem Bild darauf - der tut mir leid.“
Von Ralf Hübner