Keine reinigt gründlicher: Seit 30 Jahren entfernt Irmela Mensah-Schramm Aufkleber mit rechten Parolen aus dem Straßenraum – jetzt zeigt das Deutsche Historische Museum ihre Sammlung.
Auf die Klinge kommt es an. Scharf
muss sie sein, sehr scharf. Schließlich ist diese Klinge ihre wichtigste
Waffe im Kampf gegen Rechts. Sie steckt in einem Ceranfeld-Schaber, und
Irmela Mensah-Schramm entfernt damit Aufkleber. Solche mit
menschenverachtenden Parolen, die gegen Ausländer hetzen, gegen Juden,
Moslems oder Flüchtlinge – egal woher.
Sie macht das seit fast dreißig Jahren. Es ist eine Sisyphos-Arbeit,
eine, die ihr mehr Ärger als Anerkennung einträgt. Einen Mordversuch
habe sie schon überlebt und zahlreiche Morddrohungen abgeheftet, erzählt
sie. Dazu kommt der Stress mit der Polizei. Anzeigen, die sie wegen
Sachbeschädigung bekommen hat, wenn sie rechte Schmierereien mit der
Farbdose übersprüht.
Man braucht ein großes Ego, um dagegen anzukämpfen. Die 70-jährige
Mensah-Schramm zuckt mit den Schultern, wenn man sie fragt, warum sie
sich das immer noch antut. Eine Kniescheibe hat sie sich gebrochen – als
sie in einen Einkaufswagen stieg, um an einen Aufkleber an einer
Supermarktwand zu kommen. Sie sagt: "Wenn ich es nicht tue, wer tut es
dann?"
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Mensah-Schramm steht vor einer Vitrine im Pei-Anbau des Deutschen
Historischen Museums in Berlin. Eine junggebliebene Frau in Cargo-Pants,
Trekking-Sandalen und einem dünnen Baumwoll-Pullover, alles in Oliv.
Sie ist keine, die mit ihren Gefühlen hausieren geht. Nach Jahrzehnten
an der Aufkleber-Abreißfront hat sie sich ein dickes Fell zugelegt. Doch
ihr Gesicht bekommt einen feierlichen Ausdruck beim Anblick dieser
Vitrine. Die ist Teil der Ausstellung "Angezettelt – Antisemitische und
rassistische Aufkleber von 1880 bis heute." Und sie enthält
Mensah-Schramms Vermächtnis. 60 von 82 Leitz-Ordnern, alle voll mit
Fotos von Aufklebern, von A wie "Alternative für Deutschland" bis P wie
"pro Deutschland". Ein Panoptikum der Drohungen und Kampfansagen, dumpf,
braun, hasserfüllt. Die Ordner stehen nebeneinander aufgereiht hinter
Glas, nur einer ist dekorativ aufgeklappt.
Der Blick fällt auf einen Aufkleber mit altdeutscher Schrift. Er zeigt
eine Frau so, wie sie in der Nazi-Zeit nostalgisch verklärt wurde, mit
Dirndl und Gretchen-artig geflochtenen Zöpfen. Die Frau trägt ein Kind
auf dem Arm. Darüber steht: "Deutsche Frau! Fremde dürfen nicht nach Dir
greifen. Halte Dein Blut rein. Du trägst in Dir das Erbe künftiger
Geschlechter." Man denkt, dieser Aufkleber sei ein Souvenir an den Bund
Deutscher Mädel. Dabei ist er brandneu, Irmela Mensah-Schramm hat ihn
erst am 7. April von einem Verkehrsschild abgeknibbelt, im
brandenburgischen Teltow, eine halbe Autostunde von Berlin entfernt. Im
Impressum des Stickers steht: NPD Kreisverband Augsburg. Dieser
Aufkleber ist symptomatisch für die Ausstellung. Die Welt hat sich
weitergedreht, Deutschland präsentiert sich als weltoffenes Land mit
Mutti Merkel als Gastgeberin. Doch die Produzenten dieser Sticker sind
gedanklich in einer Zeitschleife steckengeblieben, irgendwo in den
dreißiger Jahren, als plötzlich überall an Gaststätten Schilder mit der
Aufschrift "Judenfrei" auftauchten.
"Was früher die Juden waren, sind eben heute die Moslems", sagt Schramm
ungerührt, während sie durch die Ausstellung flaniert. Draußen brennt
die Sonne auf die gläserne Halle, doch hier drinnen ist es angenehm kühl
und das Licht gedämpft. Eine Atmosphäre wie in einem Kino. Das macht es
ihr leichter, über ihren ghanaischen Ehemann zu sprechen und darüber,
wie alles begann.
Sie sagt, sie habe eine glückliche Kindheit in Stuttgart erlebt, ohne
den Schatten der Geschichte. Was es bedeutet, diskriminiert zu werden,
das habe sie erst durch ihren afrikanischen Ehemann erfahren. Die Blicke
auf der Straße. Peinliche Verhöre in der Ausländerbehörde. Der Verdacht
einer Scheinehe, der unausgesprochen in der Luft hing. Und dann die
Gewalt. Irmela Mensah-Schramm sagt, einmal sei ihr Mann im Bus
zusammengeschlagen worden.
Ihre Stimme wird jetzt ein bisschen lauter, wie immer, wenn sie sich
aufregt. Und man kann ungefähr erahnen, was in ihrem Kopf vorging, als
sie ihren ersten Aufkleber entfernte. Es war 1986, ein Tag im August,
auf dem Weg zur Arbeit in einer Behindertenschule wollte sie gerade in
einen Bus steigen, als ihr Blick auf einen Aufkleber an der Haltestelle
fiel. "Freiheit für Rudolf Heß" stand da. Der ehemalige
Hitler-Stellvertreter saß damals noch im Gefängnis in Spandau. Auf dem
Rückweg war der Sticker noch immer da. Irmela Mensah-Schramm,
Heilpädagogin, seit Ende der siebziger Jahre aktiv in der Friedens- und
Umweltbewegung und für einige Jahre aktiv bei den Grünen, hat nicht
lange überlegt. Sie hat ihn einfach abgeknibbelt. Das sei befriedigender
gewesen, als sich in eine Lichterkette gegen Ausländerfeindlichkeit
einzureihen, sagt sie. "Hinterher ging es mir irgendwie besser."
Eine fixe Idee, die zur Lebensaufgabe wurde. Sie hat zahlreiche
Friedenspreise für ihre Zivilcourage bekommen und ihre Fotos auch schon
in Kirchen oder Schulen ausgestellt. Doch dass sie es damit sogar ins
Deutsche Historische Museum schaffen würde, damit hätte sie nie
gerechnet, sagt sie, und ein Lächeln huscht über ihr Gesicht.
Es ist ein später Ritterschlag für eine Frau, die seit einer
Krebsoperation zu 60 Prozent schwerbehindert ist und mittlerweile
getrennt von ihrem Mann lebt. Sie sagt, sie könne sich nicht mehr daran
erinnern, wann sie zuletzt Urlaub gemacht hat. Der Job ist eben mehr als
ein Job. Er strukturiert ihren Alltag. Er hält sie auf Trab.
Die Aufkleber werden immer mehr, seit die Flüchtlingskrise die Politik
dominiert. AfD, Pegida, Politically Incorrect – alles Namen, die
plötzlich aufploppten und jetzt ganze Ordner füllen.
Sie konstatiert das mit der Routine einer Krankenschwester, die ein
Fieberthermometer abliest. Erst am Vortag war sie wieder im Stadtteil
Rudow unterwegs. Eine der am stärksten beklebten Gegenden in Berlin,
neben Lichtenberg und Johannesthal. Sie sagt: "Innerhalb von 45 Minuten
habe ich 65 NPD-Aufkleber gefunden."
Rudow ist ein gefährliches Terrain. Kleinbürgerliche
Einfamiliensiedlungen am südlichen Stadtrand. Hier war es, wo sie nach
eigenen Angaben vor einigen Jahren nur knapp einem Mordanschlag
entgangen ist. Mensah-Schramm sagt, es sei neben dem Eingang der
Kleingartenkolonie "Ewige Heimat" passiert. Sie habe gerade einen
NPD-Aufkleber abgeknibbelt, als ein Motorradfahrer sie angebrüllt habe,
sie solle den sofort wieder drankleben. Als sie keine Anstalten gemacht
habe, sei er aufs Gas getreten und auf sie zugesteuert. Mit einem Sprung
zur Seite konnte sie sich gerade noch retten, wie sie berichtet.
Mensah-Schramm habe das Kennzeichen fotografiert und Strafanzeige
erstattet. Der Täter sei nie gefasst worden. Andere an ihrer Stelle
hätten jetzt den Ceranfeldschaber aus der Hand gelegt. Irmela
Mensah-Schramm machte weiter. Sie sagt: "Ich kann nicht anders."
Das Echo auf die Ausstellung tut ihr gut. Die vielen Interviews mit
Journalisten aus der ganzen Welt. Sogar die New York Times hat ihr ein
Porträt gewidmet. Ihre Sammlung sei ja auch ein einzigartiger Schatz,
sagt Kuratorin Isabel Enzenbach. Alle Aufnahmen chronologisch sortiert
und mit Ortsangabe versehen – und das über so einen langen Zeitraum und
mit Beispielen aus ganz Deutschland. "Kein Archiv kann diesen Aufwand
leisten."
Es kostete die Historikerin nicht viel Worte, um Mensah-Schramm davon zu
überzeugen, ihre Schätze dem Museum auszuleihen. Denn die Arbeit an der
Aufkleber-Front ist ja das eine, die Aufklärung das andere.
Mensah-Schramm sagt, sie wolle über die Ausstellung ins Gespräch mit
Menschen kommen, die Parolen wie "Neger moag I – in Afrika" gut finden.
Sie schaut einen mit diesem Blick an, wie ihn Heilpädagoginnen für
Schüler aufsetzen, die besonders viel Geduld brauchen. Man hätte gerne
ihr Gesicht gesehen, als diese Geduld einmal belohnt wurde – und das
ausgerechnet in Rudow. Sie sagt, ein junger Mann, der sie sonst immer
bei ihren Arbeiten behindert hätte, habe sie neulich angesprochen. Er
sei jetzt aus der Szene ausgestiegen. Und sie, Irmela Mensah-Schramm,
sei daran nicht unschuldig. Ihre unerschrockene Art habe ihm imponiert.
Mensah-Schramm bekommt feuchte Augen, als sie davon erzählt. Sie sagt:
"Alleine dafür hat es sich doch schon gelohnt."