Im Januar 2013 erschoss wohl ein V-Mann des türkischen Geheimdienstes drei PKK-Aktivistinnen in Paris. Laut französischen Ermittlern handelte Ömer Güney womöglich mit Rückendeckung seiner Führungsoffiziere. Von Jörg Diehl und Fidelius Schmid
Der Mordanschlag auf drei Aktivistinnen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK im Januar 2013 in Paris soll von türkischen Agenten unterstützt worden sein. Zu diesem Ergebnis kommen nach Informationen von SPIEGEL ONLINE die Pariser Ermittlungsbehörden in ihrer Anklage gegen den mutmaßlichen Todesschützen Ömer Güney. Es sei allerdings unklar, heißt es darin, ob die Agenten im Auftrag ihrer Vorgesetzten oder auf eigene Faust gehandelt hätten. Etwa um dem damaligen Friedensprozess zwischen Türken und Kurden zu schaden.
Güney war nach übereinstimmenden Einschätzungen deutscher und französischer Sicherheitsbehörden ein ultranationalistischer V-Mann des türkischen Nachrichtendienstes MIT, der in dessen Auftrag gezielt die Pariser PKK-Zelle infiltriert hatte. "Diese Mission hat es Güney ermöglicht", heißt es in der Anklage, "sich französischen PKK-Kadern zu nähern und zu versuchen, sie nach einem gemeinsamen mit anderen, nicht identifizierten Personen entworfenen Plan zu eliminieren." Die Ermittler gehen davon aus, dass es sich bei diesen Personen um türkische Agenten handeln könnte.
Ehe er im November 2011 nach Frankreich zog, hatte Güney acht Jahre lang in Deutschland gelebt. Laut Anklage bestreitet er die drei Morde - gegen eine erdrückenden Beweislage.
Zuerst hatte das niederländische Hörfunkmagazin "Argos" über die neuen Erkenntnisse der Pariser Staatsanwaltschaft berichtet. (Hören Sie die vollständige Sendung auf Niederländisch hier.) Nach Auskunft der französischen Justiz soll Güney im Dezember der Prozess gemacht werden. Eine SPIEGEL-ONLINE-Anfrage zu den Vorwürfen aus Frankreich ließ die türkische Botschaft in Berlin bislang unbeantwortet.
Auftragsmorde in der EU?
Der Vorwurf, dass Ankaras Agenten in die Exekutionen von Paris verwickelt sein sollen, könnte auch politische Folgen für das Verhältnis zwischen der Türkei und der Europäischen Union (EU) haben. Ein Staat, der Mitglied der EU werden will, lässt auf deren Territorium morden? Das ist hochbrisant.
Gerade das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei ist derzeit belastet. Zuletzt wetterte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan gegen Berliner Parlamentarier. Der Grund: Der Bundestag hatte eine Resolution verabschiedet, in der die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich klar als Völkermord bezeichnet werden. Auch die juristischen Schritte Erdogans gegen den ZDF-Moderator Jan Böhmermann hatten für Empörung in Deutschland gesorgt.
Laut Anklage aus Frankreich hatte Geheimdienst-V-Mann Güney am Mittag des 9. Januars die PKK-Aktivistinnen Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Söylemez in einem kurdischen Informationsbüro nahe dem Pariser Nordbahnhof getötet - mit Schüssen in den Kopf und den Bauch, aus einer schallgedämpften Pistole mit dem Kaliber 7,65 Millimeter. (Lesen Sie die Hintergründe dazu hier) Die Polizei konnte ihn wenig später festnehmen.
Perfektes Doppelleben
Den Pariser Ermittlern zufolge erschlich sich Güney vor der Tat systematisch das Vertrauen seiner späteren Opfer. Er habe es geschafft, so die Staatsanwaltschaft, "in der kurdischen Gemeinschaft in Paris akzeptiert zu werden, obwohl er keine kurdischen Wurzeln hatte". Dazu hätten ihm unter anderem Erzählungen über eine Erkrankung und den Bruch mit seinem Vater gedient. Güney verkaufte für die PKK später Zeitschriften, nahm an Demonstrationen teil, er diente als Fahrer und Übersetzer und Kundschafter. Er habe ein "Doppelleben" im Auftrag des MIT geführt, so die Ankläger.
Der Verdacht, dass der MIT in die Morde an den PKK-Aktivistinnen verwickelt sein könnte, keimte schon länger. Im Januar 2014, etwa ein Jahr nach dem Attentat, war im Internet der Mitschnitt eines zehnminütigen Gesprächs aufgetaucht, in dem Güney wohl mit zwei Agenten den Anschlag auf die PKK-Frauen verabredet: Ort, Zeitpunkt, Waffen, Fluchtmöglichkeiten. Am Ende sagt einer der Unbekannten: "Lass uns den Plan noch einmal besprechen. Denn ein kleinster Fehler, und Gott bewahre. Für uns bist du wichtig, die anderen sind es nicht."
Deckname "Legionär"
Nur zwei Tage später erschien im Netz ein weiteres, potenziell noch brisanteres Dokument. "Geheim" stand über dem einseitigen Aktenvermerk, der aus dem Inneren des Nachrichtendienstes MIT stammen sollte. Die Notiz vom 18. November 2012, "Sara Sakine Cansiz" betreffend, könnte ein Tötungsbefehl gewesen sein, mit dem die Liquidierung der bekannten PKK-Aktivistin angeordnet worden war.
In dem Dokument wurde ein Agent, Deckname "Legionär", mit der "Ausschaltung" hochrangiger Kader der kurdischen Arbeiterpartei beauftragt. Bei seinem jüngsten Aufenthalt in der Türkei sei der Attentäter angewiesen worden, Vorbereitungen zu treffen, um "einen Angriff auf bestimmte Personen" in Europa durchzuführen. Dazu seien ihm 6000 Euro ausgehändigt worden, hieß es.
Dem Papier zufolge spähte der Agent die Wohnung des späteren Opfers und deren Kontakte aus. Der Agent könne dazu benutzt werden, "das besagte Organisationsmitglied außer Gefecht zu setzen", so der Vermerk. Und weiter: Es werde geplant, "die Quelle durch bestimmte Codes anzuweisen, gegen Sara Sakine Cansiz vorzugehen". Es spricht vieles dafür, dass Ömer Güney dieser Agent war.
Wie überzeugt Güney von seiner geheimen Mission im Inneren der PKK war, bewies er auch noch nach den Morden. Der Anklage zufolge nahm er an Demonstrationen zu Ehren der Ermordeten teil. Er entwarf Banner für seine vermeintlichen PKK-Kameraden und bastelte sich selbst ein Schild. Darauf schrieb er nur ein Wort: "Rache".