Tumult in Landwasser: AfD lässt Bürger-Info zu Flüchtlingswohnheim eskalieren

Erstveröffentlicht: 
02.06.2016

Laute Proteste und rechtsradikale Beschimpfungen: Eine Bürger-Info für ein geplantes Flüchtlingswohnheim in Landwasser ist eskaliert. Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach ärgert sich – vor allem über die AfD.

 

Von Jelka Louisa Beule (Text), Yvonne Weik und Florian Kech (Videos)

 

Bislang ist die Debatte über die Unterbringung von Flüchtlingen in Freiburg relativ ruhig verlaufen. Am Mittwoch gab es zum ersten Mal massive Proteste: Bei einer Infoveranstaltung für ein geplantes Wohnheim im Stadtteil Landwasser ging es hoch her. Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach wurde beschimpft und angeschrien, es fielen rechtsradikale Äußerungen. Auch die Polizei war vor Ort. Am Tag danach sind sich alle einig: Das war eine gezielte Aktion der Partei AfD ("Alternative für Deutschland") und spiegele nicht die Grundstimmung in Landwasser wider.

 

22,2 Prozent der Bewohner von Landwasser haben bei der Landtagswahl im März 2016 AfD gewählt - Rekord in Freiburg. Diese große Zustimmung wollte die Partei jetzt offenbar ausnutzen, um ihre politischen Positionen im Stadtteil weiter zu verbreiten. Bereits im Vorfeld hatte die AfD Flugblätter verteilt, bei der Veranstaltung am Mittwochabend war sie mit etwa 20 Vertretern vor Ort, darunter viele AfD-Aktive aus dem Umland.

Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach hatte kaum die Begrüßung beendet, da gab es bereits die ersten Zwischenrufe und Tumult. Ausgerechnet in Landwasser und auch noch in der Wirthstraße, wo es sowieso schon wegen der sozialen Strukturen der Bewohner und wegen des hohen Ausländeranteils viele Schwierigkeiten gebe, solle jetzt ein Flüchtlingsheim mit 175 Plätzen gebaut werden - damit würden "die Problembezirke von morgen gezüchtet", meinte ein Mann. "Die Stadtverwaltung lässt Landwasser im Stich", sagte Detlef Huber, der im Kreisvorstand der Freiburger AfD ist.

Ulrich von Kirchbach wurde mehrfach persönlich angegriffen, das Wort "Lügner" schallte ein ums andere Mal durch den Raum. Das war dann auch dem Sozialbürgermeister irgendwann zu viel: "Ich bin nicht der Schuhabtreter", schrie er mit hochrotem Kopf zurück. Er sei kein Lügner und lasse sich nicht persönlich beleidigen.

Fremdenfeindliche Äußerungen

Laut und emotional waren auch viele Wortbeiträge. Eine Frau brüllte immer wieder dazwischen. Sie wolle nicht noch mehr Ausländer in Landwasser haben: "Ich habe in meinem Haus genug von der Sorte wohnen." Auch ansonsten fielen fremdenfeindliche Äußerungen. Dass die Flüchtlinge in Deutschland versorgt würden, gehe zu Lasten der Bevölkerung, sagte Jack Gelfort, Sprecher des Kreisvorstands der Freiburger AfD. Viele Flüchtlinge seien keine Schutzsuchenden, sondern kämen allein zur Daseinsfürsorge nach Deutschland.

 

Ein Rechtsanwalt sprach von "Glücksrittern, die hier ein besseres Leben wollen – und dann machen sie Raubüberfälle und attackieren Frauen". Nach diesen Aussagen ging Hans Steiner, der Leiter des städtischen Büros für Migration und Integration, dazwischen und nahm dem Anwalt das Mikro aus der Hand. Die Stadtverwaltung habe ihm nicht durchgehen lassen wollen, auf so "unerträgliche Weise zu hetzen", erklärte Sozialbürgermeister von Kirchbach nach der Veranstaltung. Seinen Namen wollte der Anwalt dem Sozialbürgermeister nicht nennen. Auch die Nachfrage der BZ am Donnerstag bei Jack Gelfort blieb erfolglos: Er legte auf – mit dem Hinweis, die BZ solle sich an ihre Überparteilichkeit erinnern.

Tumult gab es auch zwischen dem Anwalt und einer aus dem Libanon stammenden Frau. Diese Konflikte wurden vor der Tür mit der Polizei geklärt. Beide hätten angekündigt, den jeweils anderen wegen Beleidigungen anzeigen zu wollen, erklärte Polizeisprecher Dirk Klose auf BZ-Anfrage.

"Ich schäme mich"

In der aufgeheizten Stimmung versuchten immer wieder etliche der gut 150 Teilnehmer der Veranstaltung, Ruhe in die Debatte zu bringen. Nachdem nach rund eineinhalb Stunden ein Großteil der AfD-Anhänger den Saal verlassen hatte, äußerten sich etliche Anwesende erschüttert über die Vorfälle. "Diese faschistische Hetze finde ich widerlich und erbärmlich", sagte ein Mann. "Stehen Sie zusammen und lassen Sie es nicht zu, dass sich die AfD in Landwasser weiter ausbreitet", forderte ein anderer seine Mitbürger auf. "Ich schäme mich", sagten mehrere Teilnehmer - darunter auch Stadträtin Gerlinde Schrempp von "Freiburg Lebenswert".

CDU-Stadträtin Sylvie Nantcha, die selbst afrikanische Wurzeln hat, äußerte sich nach der Veranstaltung auf Facebook: Es sei "schon heftig und beschämend", wie AfD-Anhänger versucht hätten, gegen Flüchtlinge und Migranten zu wettern: "Das darf wohl nicht wahr sein."

 

Auch Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach spricht von einer gezielten Stimmungsmache der AfD. Am Tag nach der Veranstaltung sagte er gegenüber der BZ, dass er sich sicher sei, dass die meisten Bewohner von Landwasser kein generelles Problem mit Flüchtlingen haben. Viele seien allerdings verärgert über die Stadtverwaltung, weil diese Ende Februar ganz kurzfristig Bäume auf dem für das Flüchtlingsheim vorgesehenen Gelände gerodet habe. Das sei verständlich, aber wegen der beginnenden Vogelbrutzeit nicht anders möglich gewesen.

Dieter Dormeier, der stellvertretende Vorsitzende des Bürgervereins Landwasser, glaubt ebenfalls, dass die Veranstaltung ganz bewusst von der AfD gestört wurde: "Die große Mehrheit im Stadtteil steht hinter dem Projekt."