Junge Männer und Rechtspopulismus - Wir müssen die Protestgründe verstehen!

Erstveröffentlicht: 
01.06.2016

Viele junge Männer wählen rechts. Denn das traditionelle Männerbild wird überall kritisiert, Männer werden als Defizitwesen hingestellt. Es ist höchste Zeit, die Geschlechterpolitik kritisch zu hinterfragen. Ein Gastbeitrag.

Walter Hollstein

 

Das unterschiedliche Geschlechterverhalten hat die Präsidentschaftswahlen in Österreich entschieden. Das haben das „Institut für Strategieanalysen“ und das „Institute for Social Research and Consulting“ festgestellt; sie hatten 1222 Wahlberechtigte zu ihrem Abstimmverhalten befragt. Männer – vor allem die jüngeren - gaben mit einer großen Mehrheit dem Kandidaten der FPÖ ihre Stimme, Frauen - die Bevölkerungsmehrheit – dem späteren Wahlsieger der Grünen.

 

Das veranlasste die „Süddeutsche Zeitung“ zu der Schlagzeile: "Hofers Anhänger - jung, männlich, ängstlich". Der Zürcher „Tagesanzeiger“ legte noch eins drauf und titelte: „Frauen wählten Van der Bellen, frustrierte Männer Hofer“. Die  mediale Orgie an negativen Zuschreibungen für Männer krönte der österreichische Soziologe Bernhard Heinzelmaier. Er  entdeckte den „auf Krawall gebürsteten Naturmenschen, der in Feindbildern denkt und von inhumaner Macht angezogen wird“. Und: „Der ungebildete Mann sieht sich als Opfer der Verhältnisse, weil er nicht mehr machen darf, was er will: zu schnell Auto fahren, besoffen Auto fahren. Stattdessen muss er sich um den Haushalt kümmern. Das irritiert die verblödeten Männer. (...) Die ungebildeten jungen Männer folgen einer Macht, die besinnungslos gegen alles losschlägt, was Menschlichkeit heißt“.

 

Soziologie – das an die Adresse des Wiener Kollegen – bedeutet, dass die soziale Wirklichkeit unvoreingenommen beobachtet wird, dass Daten erhoben werden und dass man letztere neutral interpretiert. Beschreiben, dann verstehen und nach dem Verstehen darf man werten, aber niemals verunglimpfen. Normalerweise lernen das Studierende im ersten Semester, sollte ihnen das nicht schon in der Kinderstube beigebracht worden sein. Nun erstaunt der Hype auch insofern, weil Österreich alles andere als der Sonderfall ist, als den es sich jetzt darstellt. Der Tatbestand, dass junge Männer verstärkt „konservativ“ wählen, ist seit geraumer Zeit bekannt. Er gilt für nahezu alle EU-Staaten, und in den USA ist belegt, dass die „angry white young men“ Anhänger von Donald Trump sind. Also wäre es wichtig, einmal zu fragen, warum dem so ist, respektive geworden ist, denn noch vor einem dutzend Jahren hat die Mehrheit der jungen Männer für Rot-Grün gestimmt. Was ist geschehen?

 

Die Entwicklung der Wirtschaft tendiert seit geraumer Zeit in Richtung des „weiblichen“ Dienstleistungsgewerbes und zur sukzessiven Schrumpfung der „männlichen“ Industriearbeit. Dementsprechend steigt die weibliche Erwerbstätigkeit , während die männliche ebenso kontinuierlich abnimmt. Seit einigen Jahren ist die männliche Arbeitslosenquote höher als die weibliche, und das gilt noch einmal verstärkt für jüngere Männer. Das alimentiert nicht gerade die Zukunftsperspektive der nachwachsenden männlichen Generation – ebenso wenig wie der immer wieder kolportierte Slogan: „Die Zukunft ist weiblich“. In den USA spricht man mittlerweile nicht mehr von Rezession, sondern von „He-cession“. Die Opfer der jüngsten Wirtschaftskrisen sind vor allem die Männer. 

 

Eine wachsende Schicht von deklassierten jungen Männern


Gewiss dominieren Männer noch in den Chefetagen, aber sie dominieren noch viel deutlicher ganz, ganz unten in der gesellschaftlichen Rangordnung: bei den Obdachlosen, Wanderarbeitern, sozial Gescheiterten oder chronisch Kranken. Soziologische Untersuchungen machen seit geraumer Zeit in den Großstädten eine wachsende Schicht von deklassierten jungen Männern aus, die nicht mehr in der Lage sind, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, respektive dies auch gar nicht mehr wollen. Lord Dahrendorf hat davor schon vor dreißig Jahren gewarnt, ohne dass das die Sozialpolitik zur Kenntnis genommen hätte.

 

Der Schulerfolg von Mädchen ist inzwischen signifikant höher als der von Jungen, die das Gros von Problemkindern, notorischen Schulschwänzern, Schulversagern, Ausbildungsabbrechern und Frühkriminellen ausmachen. Die moderne Bildungsforschung belegt, dass Jungen heute die Verlierer des  Schulsystems sind: Jungen  haben inzwischen deutlich schlechtere Chancen auf einen ordentlichen Schulabschluss  und damit eine ungünstige Voraussetzung für die berufliche Bildung; umgekehrt sind sie  weitaus mehr als Mädchen gezwungen, eine Erwerbstätigkeit im Niedriglohnsektor zu suchen. Das wiederum hat zur Konsequenz, dass sie a priori in ein unsicheres Anstellungsverhältnis treten, und damit sind sie einer höheren Wahrscheinlichkeit ausgesetzt,  arbeitslos zu werden.

 

In den vergangenen vierzig Jahren hat sich die Politik auf die Förderung von Mädchen und Frauen konzentriert; dass es noch ein anderes Geschlecht gibt, geriet dabei in Vergessenheit. Österreich hat in der Person der Bildungs- und Frauenministerin, Gabriele Heinisch-Hosek, diese einseitige Frauenpolitik in exzessivem Masse betrieben. „Ihr Anliegen war nicht Gleichberechtigung, sondern Frauenbevorzugung“. Auch das hat vor allem jüngere Männer zum Protest animiert ebenso wie der Widerstand gegen die EU-Politik. So sollte genau geschaut werden, ob tatsächlich rechts ist, was als rechts diffamiert wird oder ob sich nicht eher in der Diffamierung ein ganzes Set von berechtigten Protestgründen verbirgt.

 

Das Problem ist noch etwas grundsätzlicher: „Unsere Söhne haben Probleme“, schreibt William Pollack, einer der bedeutendsten Jungenforscher, „und diese Probleme sind gravierender, als wir denken“: Selbst die Jungen, die nach außen den Anschein erweckten, mit dem Leben gut zurechtzukommen, seien davon betroffen. „Gemeinsam mit anderen Forschern musste ich in den letzten Jahren erkennen, dass sehr viele Jungen, die nach außen hin ganz unauffällig wirken, in ihrem Inneren verzweifelt, orientierungslos und einsam sind." Diese Gefühle agieren sie dann oft mit Wutattacken, Zerstörungen oder mit Gewalt gegen andere aus. Das alles ist - folgt man den Ergebnissen der Forschung - Ausdruck einer tiefen Verunsicherung. Buben und junge Männer können sich heute nicht mehr an allgemein gültigen Bildern von Männlichkeit orientieren, wie das früher der Fall war. 

 

Sie haben Angst, demnächst „gesellschaftlich überflüssig zu werden“


Sie leben inzwischen in einer gesellschaftlichen Konstellation, die ihnen keine authentische Verhaltenssicherheit vermittelt. Das traditionelle Männerbild wird überall kritisiert; Männer werden als Defizitwesen hingestellt, die schon mit großen Defekten auf die Welt gekommen seien und eigentlich nur alles falsch machten. Die Sinus-Studie über die Lebensentwürfe 20-jähriger Frauen und Männer, die die deutsche Bundesregierung 2007 in Auftrag gegeben hat, belegt die männlichen Zukunftsängste. Den jungen Männern fehlen in Bezug auf ihre eigene  Geschlechtsidentität „die positiven Vorbilder zur Orientierung“. Sie äußern gar die Befürchtung, demnächst „gesellschaftlich überflüssig zu werden“.

 

Die amerikanischen Wissenschaftler Katherine A. Young und Paul Nathanson haben in ihrer Untersuchung „Spreading Misandry“ minutiös belegt, wie die zeitgenössische Kultur unter dem feministischen Einfluss vor allem im Fernsehen, im Film und in der Massenliteratur „die Verachtung gegenüber Männern“ propagiert. „Male bashing“ nennt man das in den USA. Nathanson und Young werten das als gefährlichen Angriff auf die männliche Identität und warnen vor den gesellschaftlichen Folgen dissozialen männlichen Verhaltens von psychischen Störungen über Rückzugsverhalten bis zu gewalttätigem Widerstand. Das hat gerade auch die amerikanische Psychologin Helen Smith in ihrem neuen Buch „Men on Strike“ angeprangert; im Untertitel heißt es: „Warum junge Männer Heirat, Vaterschaft und den amerikanischen Traum boykottieren“. Sie boykottieren  auch zunehmend die traditionellen Parteien.

 

Eine Politik, die Buben, junge Männer und Männlichkeit im allgemeinen ausgrenzt, muss sich nicht wundern, wenn es Reaktionen gibt – auch wenn sie vielleicht inadäquat sein mögen. Statt nun junge Männer zu beschimpfen, wäre es angebrachter, die eigene (Geschlechter)Politik einmal kritisch zu hinterfragen.

 

- Walter Hollstein, em. Professor für Soziologie, Gutachter des Europarats für soziale Probleme und die Männerfrage