Von Paris nach Rojava – Perspektiven emanzipatorischer Gesellschaftsgestaltung - Tagesveranstaltung | Samstag, 09.04.2016 ab 11.30 Uhr | Hansastr. 48, Kiel
Während des Deutsch-Französischen Krieges entstand 1871 die erste Arbeiter_innenrepublik der Welt: Die Pariser Kommune. Während der 72 Tage der Kommune nahmen die Bürger_innen von Paris die Verwaltung ihrer Stadt selbst in die Hand, ehe die Regierungstruppen dieser Revolution gegen den Staat ein blutiges Ende setzten. Dennoch gilt die Pariser Kommune bis heute als Versuch, wirkliche kommunale Selbstverwaltung zu leben.
Seit 2005 gelingt es der kurdischen Bewegung in der Türkei und Nordsyrien (Rojava) ein alternatives Modell für den Aufbau einer demokratischen, ökologischen und geschlechterbefreiten Gesellschaft zu entwickeln. Wie in der Kommune von Paris spielt die Organisierung in Räten eine entscheidende Rolle. Der Staat wird dadurch überwunden, dass auf praktischer Ebene alle Strukturen in Selbstorganisation und Selbstverwaltung übernommen werden. Von Anfang an haben Frauen in der Revolution in Rojava eine Führungsrolle gespielt und über Quotierungen von vierzig Prozent in den meisten Verwaltungsgremien und der Bildung von Frauenräten wird ein aktiver Kampf gegen patriarchalische Strukturen geführt. Dieser radikal-demokratische Aufbruch bietet so eine Inspiration für die Neugestaltung von Gesellschaften im Mittleren Osten und darüber hinaus.
Im Rahmen dieser Tagesveranstaltung soll die Geschichte der Pariser Kommune und ihre Bedeutung für heutige Kämpfe wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden. Vor diesem Hintergrund werden zentrale Aspekte und Fragen der kommunalen Selbstverwaltung und der Aktualität von Räten in den Kommunen von Rojava/ Kurdistan diskutiert.
Mit Anja Flach (Ethnologin, Mitglied des Frauenrates Rojbîn, Hamburg), Florian Grams (Historiker) und Michael Knapp (Historiker und Aktivist des Kurdistan-Solidaritätskomitees Berlin)
Eine Veranstaltung der Rosa Luxemburg Stiftung Schleswig-Holstein.
 In Kooperation mit dem Kurdistan-Solidaritätskomi tee Kiel, der Rote Hilfe Ortsgruppe Kiel und der Kurdisch Demokratischen Gemeinde Kiel.
 
 Die Veranstaltung ist bis 17.30 Uhr geplant, für Essen und Getränke vor Ort wird gesorgt. 
Ablauf:
 
 11.30 Uhr	Begrüßung
 12.00 Uhr	Florian Grams: Die Pariser Kommune – Die Vorbotin einer neuen Gesellschaft
 13.00 Uhr	Pause	
 13.15 Uhr	Michael Knapp: Von der Pariser Kommune zum Demokratischen Konföderalismus 
 14.15 Uhr	Pause
 14.45 Uhr	Anja Flach: Selbstbestimmt auf dem Weg in eine freie Gesellschaft
 15.45 Uhr	Pause
 16.00 Uhr	Abschlussdiskussion
 
 
 Die Pariser Kommune – Die ruhmreiche Vorbotin einer neuen Gesellschaft (Florian Grams)
 
 Während des Deutsch-Französischen Krieges entstand 1871 die erste 
Arbeiter_innenrepublik der Welt: Die Pariser Kommune. Die Bürger_innen 
von Paris nahmen die Verwaltung ihrer Stadt selbst in die Hand. Die 
ersten Schritte dieser neuen Macht waren darauf gerichtet, die 
drängendste Not der Pariser Bevölkerung zu lindern und doch entwickelten
 sich Grundzüge eines sozialistischen Gemeinwesens. Nach 72 Tagen ging 
die Pariser Kommune im Feuer der französischen Armee unter. Trotzdem 
wurde sie zum Modell einer sozialistischen Gesellschaft. Ihre 
Erfahrungen sind erneut zu überprüfen.
 
 Von der Pariser Kommune zum Demokratischen Konföderalismus (Michael Knapp)
 
 Seit der Pariser Kommune stellt die Organisierung in Räten einen 
integralen Bestandteil der revolutionären Bewegungen in Europa und 
Russland dar. Nach Rosa Luxemburg sollte eine sozialistische 
Organisierung der Massen in Selbstverwaltungsorganisat ionen
 und nicht durch die Eroberung der Macht und den Austausch der 
politischen Akteure durchgeführt werden. Luxemburg interpretierte Räte 
als Institutionen der Arbeiter_innenklasse, welche die Gesamtheit der 
Gesellschaft repräsentieren sollten. Dies schloss aber meist Frauen, 
Familien und Arbeitslose nicht mit ein. Um ein radikaldemokratisches 
System aus diesem Ansatz zu entwickeln, muss er erweitert werden. Eine 
solche Erweiterung findet sich in der Idee des Demokratischen 
Konföderalismus, eine Form der Selbstverwaltung, die der Form der 
Staatlichkeit gegenübersteht und auf den drei zentralen Pfeilern 
Antinationalismus, Antietatismus und Geschlechterbefreiung fußt. Ein 
wichtiger Bezugspunkt für die Entwicklung der Modelle des Demokratischen
 Konföderalismus ist die Auseinandersetzung mit der Geschichte des 
Mittleren Osten.
 
 Selbstbestimmt auf dem Weg in eine freie Gesellschaft (Anja Flach)
 
 Am 19. Juli 2012 begann in Kobanî die Revolution von Rojava. Unter der 
Initiative des Volksrats Westkurdistan vertrieb die Bevölkerung das 
syrische Baath-Regime weitgehend unblutig. Während der Rest von Syrien 
zunehmend im Bürgerkrieg versank, schlug Rojava einen dritten Weg 
jenseits des Baath-Regimes und der vom Westen, der Türkei und den 
Golfstaaten protegierten Systeme ein. Seither organisiert sich die 
Bevölkerung durch ein Rätesystem selbst. Bereits seit 2005 gelingt es 
der kurdischen Bewegung in der Türkei und Nordsyrien (Rojava) ein 
alternatives Gesellschaftsmodell auf Grundlagen des Demokratischen 
Konföderalismus aufzubauen. Dieses Modell schlägt sich auf allen Ebenen 
des täglichen Lebens nieder, von der Zivilgesellschaft über Bildungs-, 
Gesundheits- und Rechtssysteme bis hin zum Aufbau einer alternativen 
Ökonomie. So bestehen etwa in Van 29 aus Volksversammlungen 
hervorgegangene Wohngebietsräte, die sich den unmittelbaren Lebensfragen
 vor Ort widmen, aber auch die Verwendung der Haushaltsmittel durch die 
Stadtverwaltung bestimmen. In diesem Rätesystem nehmen vor allem Frauen 
eine besondere Rolle ein, über die Bildung von Frauenräten, den 
Frauenverteidigungskräften  
YPJ, dem Prinzip der Doppelspitze und einer Quotierung von vierzig 
Prozent bei den meisten Verwaltungsgremien werden patriarchale 
Strukturen aktiv bekämpft. 
 
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