Bericht vom ersten Verhandlungstag am 16.03.2016 im Amtsgericht Braunschweig.
Zwei Aktivisten aus dem Umfeld der Kampagne gegen Tierfabriken stehen derzeit in Braunschweig vor Gericht. Andre und Phillipp sind der Sachbeschädigung und der gefährlichen Körperverletzung angeklagt. Konkreter wird den Beiden vorgeworfen, in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember 2014 die Schaufenster von Geschäften, insbesondere die des Pelz- und Ledergeschäfts Michelen in der braunschweiger Innenstadt mit Brechstangen zertrümmert zu haben (Sachschaden wohl 15.000 Euro). Als sie während der Tat von zwei Wachmännern ergriffen wurden, hätten sie diese mit Pfefferspray und Brechstangen abgewehrt und ihnen Verletzungen zugefügt. Philipp soll sich zusätzlich an einem anderen Tag an einer Umsonstfahraktion in Zügen der Deutschen Bahn beteiligt haben (Mehr dazu im extra Abschnitt am Ende des Berichts)
Michelen
Am 16.03.2016 begann nun der Prozess im Amtsgericht Braunschweig.
Die Vorwürfe der Anklage klingen teilweise martialisch. Umso 
erfreulicher ist es, dass sich mehr als ein dutzend Menschen zum ersten 
Verhandlungstag einfanden, um Andre und Phillipp während der Verhandlung
 als auch durch Protestkundgebungen gegen Tierausbeutung und Repression 
im vor- und nachhinein solidarisch beizustehen. Dem repressiven 
Einschüchterungsversuch von Staatsanwaltschaft und Polizei konnte somit 
ein Zeichen des widerständigen Zusammenhalts entgegengesetzt werden.
Der erste Verhandlungstag begann nun mit der obligatorischen Befragung 
der beiden Angeklagten, die sich jedoch nicht zu den Vorwürfen äußern 
wollten. So verlagerte sich die Aufmerksamkeit auf die Zeugen Keim und 
Kontny, die zum Tatzeitpunkt beim Wachschutz der nahe gelegenen 
Eislaufbahn angestellt waren und eingriffen. Wichtigstes Ergebnis der 
vorläufigen Beweisaufnahme durch die Zeugen: Der dramatische 
Gewaltvorwurf konnte recht eindeutig relativiert werden. Gravierende 
oder gar bleibende Schäden haben beide Zeugen nach eigenem Bekunden 
nicht davongetragen. Die durch angebliche Schläge verursachte 
Augenhöhlenverletzung des Zeugen Keim entpuppte sich nach eigener 
Aussage und einer ärztlichen Untersuchung lediglich als leichter 
Kratzer. Die vermeintliche Augenreizung des Zeugen Kontny durch den 
Einsatz von Pfefferspray blieb wiederum nur vorübergehend. Stattdessen 
seien beide unmittelbar nach der Aktion sogar schon wieder zu Späßen 
aufgelegt gewesen. Eine Krankschreibung sei ebenfalls nicht nötig 
gewesen.
Sogar die Braunschweiger Zeitung, die in der Vergangenheit mit dem 
unhinterfragten Abschreiben von Polizeipressemitteilungen und Werbung 
für Michelen glänzte, zweifelt mittlerweile scheinbar am Vorwurf der 
Brechstangenschläge. So mutmaßt sie im Artikel „Anschlag auf Pelzladen –
 Angeklagte schweigen vor Gericht“ vom 17ten März 2016 unter anderem: 
„Klar ist inzwischen: Die vermeintliche schwere Augenverletzung des 
Wachmannes erwies sich in der Klinik als kleinerer, wenn auch stark 
blutender Kratzer, verursacht durch einen Kontakt mit einer Brechstange.
 Schlugen die Täter wirklich, wie behauptet, auf die Wachleute ein? Auch
 hier gibt es nun Zweifel. Die beiden Angeklagten hätten lediglich mit 
ihren Brecheisen „kreisende Bewegungen“ ausgeführt und damit Schläge 
angedroht, hieß es.“ 
Grundsätzlich schürte die bisherige Beweisaufnahme viele Zweifel an 
den Vorwürfen in der Anklage, denn folgt man den Aussagen der Wachleute 
vor Gericht dann schildert sich die Situation bisher in etwa so:
Während Personen, an dessen Gesichter sie sich nicht mehr erinnern 
könnten, die Schaufenster des Geschäfts beschädigt haben sollen, 
tauchten die beiden Sicherheitsleute in dunkler Kleidung auf und gingen 
ohne weitere Ansage unmittelbar zum Angriff über. Der sofortige 
Fluchtversuch der beiden Tatverdächtigen konnte vereitelt werden, indem 
die Zeugen einen von ihnen in einer Art „Sandwich“-Manöver (einer packt 
von hinten zu, der andere wirft sich von vorne drauf) zu Boden rissen 
und fixierten. Der zunächst Entkommene kehrte daraufhin wieder um und 
soll die Wachleute aufgefordert haben „Den Kumpel freizulassen.“ Dabei 
soll die Person, nachdem ihrer Forderung nicht nachgekommen wurde, mit 
dem Brecheisen in der Hand gedroht haben, worauf Zeuge Kontny mit 
Tritten in die Luft reagiert haben soll. Ein Schlag sei jedoch, wenn 
überhaupt, laut Aussage des Zeugen Kontny, nur angetäuscht worden. 
Stattdessen habe der vermeintliche Angreifer den Zeugen Keim und Kontny 
mit Pfefferspray ins Gesicht gesprüht, sodass Letzterer vorerst nichts 
mehr sehen konnte, was diesen jedoch nicht davon abhielt, die bereits 
fixierte Person unter sich mit verstärktem Körpereinsatz weiterhin am 
Boden im Schwitzkasten zu halten. Unterdessen ging nun der Zeuge Keim 
auf die noch agile Person zu, während sich diese eindeutig in der 
Rückwärtsbewegung befand. Eine eindeutige Schlagbewegung mit dem 
Brecheisen habe es nach Angaben von Keim auch hier nicht gegeben, 
lediglich eher verteidigend wirkende Schwingbewegungen aus einiger 
Entfernung, die wohl Abstand erzeugen sollten. Der Zeuge Keim wollte die
 Person jedoch unbedingt zu Boden bringen, da es sein Anspruch sei, 
„Straftäter“ der Polizei zu übergeben. Während sich Keim folglich 
weiterhin der Person näherte, soll ihn die Brechstange im Moment einer 
kurzen Ablenkung am Kopf getroffen haben. Kurz irritiert, gelang es dem 
Wachmann dennoch den vermeintlichen Schläger ohne größere 
Schwierigkeiten zu Boden zu bringen und ihn später im „Kreuzfesselgriff“
 noch auf einem Polizeiauto abzulegen. Dass Keim´s Kampfbereitschaft 
stets ungebrochen blieb, lässt sich der Aussage des Zeugen Kontny 
entnehmen, der sich erinnerte, er habe Wachmann Keim im Anschluss an ein
 Geräusch, das Kontny für ein Schlaggeräusch hielt, sagen hören: „Jetzt 
kriegst’es richtig!“
Über das tatsächliche Verhältnis von Aggression und Verteidigung 
lässt sich also streiten. Welche Position Richterin und Staatsanwalt zu 
den Geschehnissen einnehmen, ist bislang nur schwer einzuschätzen – 
beide gaben sich weitestgehend moderat und offen. Es bleibt zu hoffen, 
dass sie die Widersprüchlichkeiten der Zeugen zur Kenntnis nahmen, deren
 Aussagen bei Polizei und vor Gericht stellenweise nicht 
zusammenpassten. So wusste der Zeuge Kontny am Verhandlungstag zu 
berichten, dass er einen dumpfen Schlag gehört habe, in etwa so laut, 
wie es halt „normal“ sei, wenn Brecheisen auf Knochen treffen. Bei der 
Polizei gab er jedoch an, er habe lediglich das Geräusch eines 
metallischen Gegenstands gehört, der zu Boden fällt. Der Zeuge Keim gab 
wiederum an, dass sein Kollege und er sich auf Distanz gehalten hätten, 
hätten sie gewusst, dass die Angeklagten Brechstangen und Pfefferspray 
mitführten. Nach eigenem Bekunden blieben sie jedoch bei ihrer 
Offensivtaktik, auch als ihnen dies offensichtlich bewusst war. Und das 
der angeblich gezielte Schlag mit einer Brechstange an den Kopf, der 
laut Anklage auch noch „massiv“ gewesen sein soll, lediglich einen 
kleinen Kratzer und Späße machende Wachmänner zurücklässt, ist als ein 
weiterer massiver Widerspruch zu verbuchen.
Inwiefern dann die Aggressionen der Zeugen gegenüber den Angeklagten bei
 der Urteilsfindung ins Gewicht fallen wird, bleibt selbstverständlich 
abzuwarten. Von besonderem Interesse dürften beim Thema Gewalt auch die 
Aussagen zweier Polizisten und des Staatsschützers Antl sein, die in den
 kommenden Verhandlungstagen zur Sprache kommen sollen. Wie Phillipp und
 Andre berichteten, wurden sie damals während der Festnahme und auf der Polizeiwache mehrfach schikaniert, getreten und geschlagen.
Umsonstfahraktion
Auch zwei DB-Angestellte wurden während des ersten Verhandlungstags vernommen. Es ging um Umsonstfahrten von München nach Nürnberg und zurück. Die beiden Zeugen Wegerle und Braun sollen in beiden Zügen als Fahrbegleitung eingesetzt gewesen sein. Und in beiden Zügen wollen sie laut ihrer Aussagen jeweils eine Personengruppe ohne gültigen Fahrschein kontrolliert haben. Diese Gruppe verteilte Flyer an andere Fahrgäste und die Leute trugen Schilder mit Aufschriften die vermittelten, dass sie ohne Fahrschein unterwegs sind. Nun muss mit Hilfe der Zeugenaussagen festgestellt werden, ob es sich bei diesem Sachverhalt überhaupt um ein „Erschleichen von Leistungen“ handelt. Infos zum Thema: http://www.projektwerkstatt.de/schwarzstrafen/schild.htm
Die Verhandlung wird am kommenden Mittwoch den 23.03.2016 um 11:00 im Amtsgericht Braunschweig fortgesetzt. Kommt vorbei und unterstützt die Angeklagten.
kampagne-gegen-tierfabriken.info

