Nach einem Kneipenabend in Berlin-Neukölln gerät unsere Autorin in eine Spontandemo randalierender Anarchisten – und fragt sich danach, warum sie die Autonomen trotz etlicher kaputter Scheiben und Autos nicht ernst nehmen kann.
Der Abend fing schon historisch an, ich war in den »Dschungel« 
eingeladen. Für alle, die noch nie von David Bowie, Frank Zappa, Mick 
Jagger, Grace Jones, Depeche Mode, Boy George, Prince und Romy Haag 
gehört haben: Sie waren alle drin. Ich auch, damals. So alt bin ich 
schon und dachte im ersten Moment: Boah, Deja-Vü!, wie wir 
Möchtegern-Berliner sagen, seit wann ist der Laden wieder auf, die 
Legende von Schöneberg?
                                                        
					
                        Dann war es aber nicht der Original-Dschungel, 
einst nahe des KaDeWe gelegen, sondern eine verrauchte Kneipe in 
Neukölln, die sich den Namen geborgt hat. Abends um ölf, also sehr früh 
für Szene-Berliner, aber ich bin ja eine alte Frau, will ich heim. In 
dem Augenblick, als ich auf die Straße trete: ein unfasslicher Knall, 
Krawall, Klirren, Krachen, Böller, Steine, es scheppert – Gewalt is in 
the air! Ich drücke mich an die Tür, man spürt, auch an den Passanten: 
Hier geht ganz klar was ab. Aber ich bleibe stehen, denn von Demos aus 
meiner Jugend weiß ich: Der schwarze Block beschädigt Sachen, nicht alte
 Frauen. Und dies ist ein schwarzer Block, wie ich ihn in solcher 
Reinform noch nie gesehen habe: ein akkurates Quadrat aus jungen, sich 
männlich bewegenden Menschen (ich will hier niemanden gendermäßig 
abqualifizieren), alle top uniformiert in schwarzen Kapuzenpullis und 
schwarzen Hosen. Marschieren wie ein Panzer über das Kopfsteinpflaster 
der Straße. Und dabei schreien sie, werfen Böller und Steine, 
Fensterscheiben gehen kaputt und ja, es geht sehr viel Aggression aus 
von dieser Truppe.
                                                        
					
                        Ich muss trotzdem stehenbleiben und hingucken. 
Ich weiß nicht, bin ich naiv oder raff' ich es nicht? So wie mein 
Schwiegervater, der sich mal in seiner deutschen Bankfiliale in Lloret 
del Mar weigerte, von einem dahergelaufenen vermummten Typen in einen 
Raum geschoben zu werden und danach erst schnallte, dass er mitten in 
einen Bankraub geraten war. So gucke ich auch und muss ein bisschen 
grinsen, weil: Das sieht ja aus wie bei Asterix! Die Römer in Phalanx. 
Ein Comic! Zisch, Knall, Peng, Klirr!
                                                        
					
                        Dankenswerterweise schießt einer auf mich zu und
 drückt mir ein Flugblatt in die Hand. Daher weiß ich, dass die jungen 
Menschen ihren Kiezladen in der Friedelstraße behalten wollen und gegen 
Gentrifizierung und den Kapitalismus sind. Anders als der besoffene Mann
 neben mir. Der, als der Spuk vorbei ist - man muss es so nennen, so 
schnell ist der Block, eine Spur der Verwüstung hinter sich lassend, 
umme Ecke gebogen. Der Mann also, extrem benebelt: »Waren hundertpro 
Dortmund-Fans.« Und dann, zum nächstbesten Radfahrer: »Mensch, runter 
vom Bürgersteig, sonst hol ich...!«
                                                        
					
                        Ich bin ja Reporterin, fröhne also der 
Leidenschaft für antizipierte Erzählperspektiven, denke daher sofort: 
Was für eine irre Szene! Und trete auf die Straße, weil da drüben mein 
Taxi kommt. In dem Moment rast ein Auto auf mich zu, ich kann gerade 
noch wegspringen, denke: Ha, Wahnsinn, die Araber-Prolls hier in 
Neukölln, immer Gas geben. Sehe: War aber ein Streifenwagen und 
hintendrein kommen noch zwei mit quietschenden Reifen wie im Film. Dann 
sitze ich sicher im Auto und muss kichern. Über meine Vorurteile und 
diese irrwitzige Geschichte, die ich meinen Söhnen morgen zum Frühstück 
erzählen kann: Hört mal, was eure alte Mutter Wildes erlebt hat. 
                                                        
					
                        Und dann sehe ich, dass die gewaltige Asterix-Szene, die ich da miterlebt habe, in den Berliner Nachrichten
 eine irre Welle macht. Zwölf Autos wurden beschädigt, ein Funkwagen 
angegriffen. Die Kollegen glauben, die Linken wollten sich rächen dafür,
 dass neulich ihr besetztes Haus in der Rigaer Straße durchsucht wurde. 
Das ist schon so lang besetzt, da gab es sogar noch den Dschungel, 
Anfang der Neunziger. Das müssen heute, denke ich, die Kinder oder 
Kindeskinder von den damaligen Besetzern gewesen sein; für die sogar ich
 mal demonstriert habe.
                                                        
					
                        Aber vielleicht sind die Autonomen auch ein 
bisschen beleidigt. Fühlen sich vergessen. Jetzt, wo überall 
randalierende Knallköpfe rumlaufen. Vielleicht wollen sie zeigen: Hey, 
wir sind auch noch da, ihr müsst auch Angst vor uns haben! Flugs spricht
 der Innensenator von Straßenterror. Morgen, hundertpro, sind es 
Terroristen. Im Wortsinn, ja, war das sehr erschreckend - aber wieso 
kann ich es nicht wirklich ernst nehmen? Wieso find ich es irgendwie 
kindisch? Bürger, denke ich in meiner zunehmenden Altersweisheit, bleibt
 besonnen, anstatt die völlig unterbesetzte Polizei in vollidiotische 
Häuser- und Straßenkämpfe zu verwickeln. Es gibt Wichtigeres jetzt!
