Störung des Burgfriedens

Erstveröffentlicht: 
02.02.2016

Von Rainer Roeser

02.02.2016 - Frauke Petrys Schusswaffen-Äußerungen bringen auch das Wahlkampfkonzept ihres Ko-Sprechers Jörg Meuthen in Baden-Württemberg durcheinander. Statt in bürgerlich-liberalen Kreisen punkten zu können, muss er immer öfter Fragen zur Radikalisierung seiner Partei beantworten.

 

Eigentlich haben die AfD-Oberen eine Art Burgfrieden geschlossen. Nichts soll unnötigerweise den greifbar erscheinenden Triumph bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt in Gefahr bringen. Radikale Sprüche gegen Flüchtlinge: Ja und soweit es der Wählerstimmenmehrung dient. Schrille Töne, die innerparteilich für Zwist sorgen oder die Stimmung zum Kippen bringen könnten: Nein. Doch nicht der Gewohnheitsstörenfried Björn Höcke, sondern ausgerechnet die Bundessprecherin Frauke Petry und ihre Stellvertreterin Beatrix von Storch sorgten am Wochenende für Misstöne.

Eigentlich hatte Petry eines der gewöhnlichen, dutzendfach geführten Wahlkampfinterviews beim „Mannheimer Morgen“ abliefern wollen. Doch ihre beiden Gesprächspartner taten, was längst nicht mehr selbstverständlich ist in Zeiten des Liveticker- und Twitter-Journalismus. Sie hakten wieder und wieder nach, wollten wissen, wie denn genau die von der AfD-Chefin geforderten „umfassenden Kontrollen“ beschaffen sein müssten, „damit nicht weiter so viele unregistrierte Flüchtlinge über Österreich einreisen können“. Nach der sechsten Nachfrage bekamen sie zu hören, was AfDler so offen sonst nicht äußern: „Er (der Grenzpolizist, d. Red.) muss den illegalen Grenzübertritt verhindern, notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen. So steht es im Gesetz.“ Auf die siebte Nachfrage ergänzte Petry noch: „Zur Ultima Ratio gehört der Einsatz von Waffengewalt.“


„Paradebeispiel unglückseliger Kommunikation“

Was an kruden Forderungen sonst eher in Hinterzimmern geäußert oder anonym via Facebook gepostet wird – plötzlich war es schwarz auf weiß als Zitat der AfD-Sprecherin in der Zeitung nachzulesen. Dass Petrys Stellvertreterin, die AfD-Europaabgeordnte Beatrix von Storch, ihr zur Seite sprang und Schützenhilfe leisten wollte: „Wer das HALT an unserer Grenze nicht akzeptiert, der ist ein Angreifer. Und gegen Angriffe müssen wir uns verteidigen“, konnte die Situation auch nicht mehr retten. Im Gegenteil.

Petrys Ko-Sprecher Jörg Meuthen dürfte am Wochenende aus allen Wolken gefallen sein. Die Landtagswahl am 13. März soll ihn ins Stuttgarter Landesparlament tragen. Überschriften wie „Schießbefehl an der Grenze“ stören da nur. Nach AfD-Maßstäben gilt Meuthen als einer der Leisen im Lande; einige in der Partei missverstehen ihn gar als einen „Liberalen“. „Manche in meiner Partei halten mir auch vor, ich sei zu zurückhaltend und müsse mehr reinkeulen. Aber ich tue das nicht, denn in dem Moment bin ich nicht mehr ich selbst“, sagte er unlängst im Interview mit der „Stuttgarter Zeitung“ über sich selbst. Zu „Verbalradikalismus“ neige er nicht. Aber zum verbalen und nicht bloß verbalen Radikalismus muss er sich qua Funktion des Öfteren äußern. In Sachen Petry versuchte er es – zumindest öffentlich – mit einer Mischung aus Relativierung und sanftem Tadel. Meuthen sprach von einem „Paradebeispiel unglückseliger Kommunikation, weil aus einer Aussage etwas herausgelesen wurde, was so nicht gesagt wurde“. Gleichzeitig ließ er durchblicken, dass er es besser gefunden hätte, wenn sich Petry zum Thema gar nicht erst geäußert hätte.

Auch zuhause in Baden-Württemberg hat Meuthen Erklärungsbedarf. Da ist zum Beispiel der Landtagskandidat Markus Frohnmaier. „Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet, dann wird wieder Politik für das Volk und zwar nur für das Volk gemacht – denn wir sind das Volk“, hatte Frohnmaier bei einer der Erfurter AfD-Demonstrationen ins Mikrofon gerufen. „Meiner Meinung nach haben Leute wie Claudia Roth hier mittelbar mitvergewaltigt“, hatte er nach der Kölner Silvesternacht erklärt und – was es kaum besser machte – ergänzt: „Nicht im juristischen Sinne, aber im übertragenen Sinne.“


Rechtsausleger keine Einzelfälle

Frohnmaier ist nicht irgendwer: Er sitzt im Landesvorstand, ist einer der Bundessprecher der „Jungen Alternative“, setzte als einer der Erstunterzeichner seinen Namen unter die „Erfurter Resolution“, die die AfD im vorigen Jahr nach rechts drängte. Im Bedarfsfall halten die älteren Semester vom Rechtsaußenflügel der Partei ihre Hand schützend über ihn. Mit ihm legt sich auch ein Landessprecher besser nicht an. Also gibt sich Meuthen nachsichtig: „Was Markus Frohnmaier angeht: Er ist noch sehr jung und schießt manchmal übers Ziel hinaus.“

In Baden-Württemberg ist der Rechtsausleger Frohnmaier kein Einzelfall. Im 14 Mitglieder zählenden Landesvorstand hat der explizit rechte Flügel großes Gewicht. Insbesondere in Gestalt der Unterstützer der „Erfurter Resolution“. Zu den bekannt gewordenen Unterzeichnern zählen mit Bernd Grimmer einer der drei Landessprecher sowie mit Rüdiger Klos und Christina Baum zwei der drei stellvertretenden Sprecher. Unterschrieben haben die „Resolution“ zudem die drei Beisitzer Alfred Bamberger, Carola Wolle und eben Frohnmaier. Als Schriftführer gehört zudem Joachim Kuhs zum Vorstand. Kuhs arbeitete früher in den Vorständen der „Patriotischen Plattform“ auf Bundes- und Landesebene mit. Aktuell fungiert er als stellvertretender Sprecher der „Christen in der AfD“ (ChrAfD).


„Zuweilen sogar reaktionär“

Auch unter den Landtagskandidaten sind die „Erfurter“ reichlich vertreten. In mindestens 20 von 70 Wahlkreisen treten Unterzeichner der Resolution an. Hinzu kommen zwei ehemalige Funktionsträger der „Patriotischen Plattform“: neben Kuhs auch Eberhard Brett, den die rechte Pressure Group bis ins Jahr 2015 auf Bundesebene als Mitglied ihres Vorstands führte. Auch als sich in Baden-Württemberg im Mai 2014 ein Landesverband der „Plattform“ bildete, war Brett als Vorstandsmitglied mit von der Partie. In der neuen, nach rechts gewendeten AfD ist Brett zum Präsidenten des Bundesschiedsgerichts aufgestiegen.

Doch nicht nur die in Gruppen des rechten Flügels verbundenen AfD-Politiker sorgen für eine Radikalisierung der Partei. Da ist zum Beispiel der Karlsruher Philosoph Marc Jongen. Schon vor zwei Jahren wusste er: „Genuin liberal zu sein, heißt heute, konservativ zu sein. Zuweilen sogar reaktionär.“ Inzwischen ist er stellvertretender Landessprecher und Programmkoordinator der AfD Baden-Württemberg sowie Mitglied der Bundesprogrammkommission. Im von ihm mitverantworteten Programm zur Landtagswahl ist zu lesen: „Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien, allen voran die Bundeskanzlerin, ziehen alle Register der Massenpsychologie und Massensuggestion, um die Bevölkerung zu täuschen. Sie werden darin von einer weitgehend gleichgeschalteten Medienlandschaft unterstützt.“ Merkel locke „hunderte Millionen Armutsflüchtlinge nach Deutschland. Wird dieser Zustrom nicht gestoppt, ist das Ende der deutschen und europäischen Kultur besiegelt“.


Aushängeschild für die bürgerliche Fassade

Ob diese Sätze liberal seien oder konservativ, oder ob es sich nicht um Verschwörungstheorien handele, die darauf abzielten, die Menschen zu hysterisieren, wollten die Interviewer der „Stuttgarter Zeitung“ von Meuthen wissen. Er antwortete auch in diesem Fall erst einmal ausweichend: „Das eine oder andere Adjektiv hat für mich einen reißerischen Duktus, der nicht unbedingt meiner ist.“ An anderer Stelle sagte er: „Wenn ich den Text allein geschrieben hätte, dann wäre die Diktion an dem einen oder anderen Punkt womöglich etwas moderater.“ Der Begriff der „gleichgeschalteten Presse“ etwa käme ihm „nie über die Lippen“. Dass „Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien, allen voran die Bundeskanzlerin“ nichts anderes als „Hasardeure“ seien, wie es im Programm heißt: Auch diese Aussage mochte Meuthen nicht teilen. Es bleibt der Eindruck eines Spitzenkandidaten, der sich – und sei es noch so vorsichtig – von Kernaussagen seines Programm distanziert.

„Die Frage ist doch“, sagt einer der Interviewer, „ob Sie sich als das liberal-konservativ-bürgerliche Aushängeschild für eine Partei hergeben, hinter deren Fassade es ganz anders zugeht.“ Nach den Äußerungen von Petry und Storch, nach den Ausfällen von Frohnmaier und anderen, angesichts der Situation in seinem Landesverband lässt sich vermuten, dass diese Frage schon keine Frage mehr ist.