„Tröglitz ist leider kein Einzelfall“

Erstveröffentlicht: 
17.12.2015
Andreas Buchheim, Feuerwehr-Einsatzleiter nach dem Brandanschlag von Tröglitz, prangert Kommunikationsversäumnisse an

VON STEFFI ROBAK

 

Tröglitz/Magdeburg. „Der Ablehnung gegen Flüchtlingsunterkünfte begegnet man am besten mit gnadenlos offensiver Informationspolitik. Das können und müssen wir alle aus Tröglitz lernen.“ Dieses Fazit zieht Andreas Buchheim, der Wehrleiter der Gemeinde Elsteraue (Sachsen-Anhalt/Burgenlandkreis), zu der Tröglitz gehört. „Tröglitz ist bei Weitem leider nicht der Einzelfall, als welcher das Ereignis oft hingestellt wird.“ 2015 sind deutschlandweit 817 Angriffe auf Flüchtlinge und Unterkünfte zu verzeichnen, hat er recherchiert. 26 davon waren Brandstiftungen.

 

Der 35-Jährige fungiert als Einsatzleiter, als in den frühen Morgenstunden des 4. April nach einem Brandanschlag in Tröglitz ein Feuer gelöscht werden muss – in einer geplanten Flüchtlingsunterkunft. Letzteres weiß der Gemeindewehrleiter zu dem Zeitpunkt nicht. Heute bezeichnet er diese Informationslücke als ein großes Versäumnis.

 

Bei der jüngsten Dienstberatung mit den Stadt-und Gemeindewehrleitern, zu der Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) jährlich Gemeindewehrleiter aus ganz Sachsen-Anhalt begrüßt, zieht Buchheim vor rund80 Anwesenden sein Fazit: „Auch wenn ich den Wunsch nach Zurückhaltung verstehen kann: Es bringt nichts, die Dinge so lange unter Verschluss zu halten, bis sie hochkochen und dann außer Kontrolle geraten. Nicht nur Feuerwehrleute, auch alle anderen Bürger müssen sich einstellen können auf das, was auf sie zu kommt.“ Etwa vor einem Jahr macht Tröglitz erste Schlagzeilen. In dem Ort sollen 60 Flüchtlinge untergebracht werden. Das verlautet aus einer nicht öffentlichen Ratssitzung. Sofort wird über verschiedene Objekte spekuliert, dass sie für Flüchtlinge genutzt werden. Am 4. April eskaliert die Lage in dem Brandanschlag.

 

Bis dahin weiß der Wehrleiter nur, dass im Ort eine Flüchtlingsunterkunft eingerichtet werden soll, jedoch nicht, in welchem Objekt. „Ich bin bis heute entsetzt, wie wenig Vertrauen die Gemeindeverwaltung der Feuerwehr entgegen bringt“, so Buchheim. Nach anderthalb Stunden sei das Feuer gelöscht gewesen. Das war 3.30 Uhr. Den weitaus größeren Zeitaufwand, nämlich bis 18 Uhr, hätten die Nachfolgearbeiten in Anspruch genommen, darunter ein riesiges Presse- beziehungsweise Medieninteresse, wie es der Einsatzleiter schildert. Zur Dienstberatung empfiehlt er den anwesenden Stadt- und Gemeindewehrleitern: „Nur der Einsatzleiter darf den Medien Auskunft geben. Auf diese Disziplin müssen alle unbedingt eingeschworen sein.“ Unüberlegte und von Fremdenhass geprägte Kommentare von Kameraden in sozialen Netzwerken hätten ihn zusätzlich unter Rechtfertigungsdruck gesetzt. Er empfiehlt für Einsätze, bei denen ein besonders hohes Medieninteresse absehbar ist, einen Pressesprecher zu benennen.

 

Für Buchheim ist der Brandanschlag noch nicht ad acta gelegt: In Flüchtlingsunterkünften mit zahlenmäßig hoher Belegung müssten Rettungsanweisungen mehrsprachig vorliegen, fordert er. Vor Ort gehört eine Verbindungsperson, und Ausweichunterkünfte sind zu stellen. Die Feuerwehrführungskräfte nimmt Buchheim in die Pflicht: „Bringen Sie sich ein in Ihren Stadt- und Gemeinderäten. Machen Sie Verwaltungskräfte und Kommunalpolitiker auf die besonderen Verhältnisse und Gefahren bei einem Einsatz wie in Tröglitz aufmerksam.“ Die Städte und Gemeinden benötigten auch den finanziellen Rückenhalt aus der Politik. Flüchtlingsunterkünfte bräuchten einen zweiten und dritten Rettungsweg. Bei Neuausstattungen von Feuerwehren sollte auf Sprungpolster das Augenmerk liegen. Buchheim: „Die Feuerwehr ist das letzte Zahnrad im Getriebe. Es kann nicht sein, dass die Kameraden Versäumnisse ausbaden, die im Vorfeld auf politischer Ebene gemacht wurden.“