Eine Frage der Schuldfähigkeit

Erstveröffentlicht: 
02.12.2015

Ein 29-Jähriger aus Winnenden soll einer Frau mehrfach gedroht haben, sie umzubringen, eine andere mit Fäusten geschlagen und eine weitere zu Boden geschubst haben. Die Staatsanwaltschaft empfiehlt die Unterbringung in einem Psychiatrischen Krankenhaus.

 

Wenn er sich schlecht behandelt fühlt, insbesondere von Frauen, scheint es bisweilen vorzukommen, dass ihm die Sicherungen durchbrennen. Ein 29-Jähriger aus Winnenden muss sich seit Mittwoch vor dem Stuttgarter Landgericht wegen mehrerer Anklagen verantworten, die im Kern wohl ähnliche Auslöser gehabt haben. So soll er einer Frau über eine Internetplattform neunmal damit gedroht haben, sie umzubringen. Eine andere soll er auf offener Straße mit der Faust ins Gesicht und in den Magen geschlagen und eine weitere so heftig geschubst haben, dass sie rücklings auf die Straße gefallen ist. Die Staatsanwaltschaft geht aber davon aus, dass die Fähigkeit des Mannes, Unrecht einzusehen, aufgrund einer organisch bedingten Persönlichkeitsstörung erheblich eingeschränkt ist und plädiert deshalb für eine Unterbringung in einem Psychiatrischen Krankenhaus.

Die Taten räumt der Angeklagte vor Gericht ohne Wenn und Aber ein. Er sehe auch ein, dass es nicht in Ordnung war, was er getan habe, sagt der Mann – teils selbst in einfacher Sprache oder mit Hilfe einer Gebärdendolmetscherin, denn er ist von Geburt an stark hörgeschädigt. Immer, wenn es abstrakt wird, stößt das Gericht unter Vorsitz von Rainer Gless jedoch an Grenzen. Auf Nachfragen, wie er sich gefühlt hätte, wenn er mit dem Leben bedroht worden wäre oder was er damit habe bewirken wollen, erntet der Richter vom Angeklagten verständnisloses Stirnrunzeln.

 

Stimmenfang für die NPD

 

Die Facebook-Bekanntschaft, die er im vergangenen Jahr nach einem Treffen in einer Kneipe im Weissacher Tal mit Mails wie „Wenn du nicht feste Beziehung, dann bekommen irgendwann dein Leben zu Ende“ traktiert hatte, hat vor Gericht freilich noch eine kuriose Randbegebenheit offenbart. Die junge Frau, die dem Angeklagten gefallen hatte, wie er einräumte, soll als Bedingung für eine mögliche Beziehung seinen Beitritt in die rechtsextreme NPD gefordert haben. Als der 29-Jährige dies ablehnte, war ihr anfangs angedeutetes vermeintliches Interesse schlagartig erlahmt, was ihn wiederum zu den wütenden E-Mails veranlasste. Der Rechtsbeistand des Angeklagten hat recherchiert, dass sich die Frau im kommenden Jahr für die NPD in zwei Wahlkreisen östlich von Stuttgart um ein Landtagsmandat bewerben will.

Auch der Vorfall von Anfang dieses Jahres, als der 29-Jährige eine Frau, die in der gleichen betreuten Einrichtung in Winnenden lebt wie er selbst, plötzlich mit Fäusten traktiert haben soll, ist mit normalem Verhalten nicht zu erklären. Es habe ihn wahnsinnig gemacht, dass die Frau, mit der er wenige Tage zuvor zusammen gekommen war und sich gleich verlobt hatte, nur wankelmütig zu ihrer Beziehung bekannt habe. Weil sie ihm schließlich den Verlobungsring zurück gegeben habe, habe er ein Gespräch mit einem Betreuer gefordert. Als sie das verweigerte, habe er sich nicht anders zu helfen gewusst, als zuzuschlagen.

 

Angeklagter steht bereits unter Bewährung

 

In dem Prozess vor dem Landgericht, für den noch zwei weitere Verhandlungstage angesetzt sind, wird die 7. Strafkammer weniger den Beweis führen müssen, dass sich die Taten so abgespielt haben, wie sie die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift aufgeführt hat. Es wird vielmehr darum gehen, inwiefern der offenkundig geistig etwas eingeschränkte Angeklagte dafür verantwortlich gemacht werden kann und welche Hilfe er braucht, damit sich seine Verhaltensmuster nicht wiederholen. Zwar ist der 29-Jährige seit gut einem Jahrzehnt immer wieder in Behandlung gewesen. Einen anhaltenden Erfolg hat das aber offenkundig nicht gezeitigt. Wie der Richter am ersten Verhandlungstag andeutete, steht der junge Mann nach einem Urteil einer anderen Strafkammer des Landgerichts bereits unter Bewährung.