Nach den Krawallen am Samstag am Rand eines rechtsextremen Aufmarsches in Leipzig reagiert die Leipziger Polizei im Interview mit LVZ.de auch auf Kritik aus den Reihen der Gegendemonstranten.
Leipzig. Bei den gewalttätigen Ausschreitungen von Gegendemonstranten am Rand einer Neonazi-Demonstration am Samstag in Leipzig wurden nach Polizeiangaben 69 Beamte verletzt. 40 Polizeifahrzeuge seien zum Teil erheblich beschädigt worden. Die Südvorstadt glich nach mehreren brennenden Barrikaden am Abend einem Schlachtfeld. Im Nachgang der Ereignisse gab es aber auch Kritik am Vorgehen der Beamten. LVZ.de sprach darüber mit Polizeisprecher Andreas Loepki.
Frage: War aus Sicht der Polizei mit einer gewalttätigen Eskalation zu rechnen?
Andreas Loepki: Ja, mit Gewalttätigkeit war zu rechnen. Dies wurde im Vorfeld ja auch kommuniziert. Allerdings war das Ausmaß überraschend.
Andere Medien berichten, am Samstag sollen in Leipzig weniger Beamte im Einsatz gewesen sein, als von der Polizeidirektion beantragt wurden. Stimmt das?
Andreas Loepki: Zu konkreten Maßnahmen der Einsatzvorbereitung erfolgen keine Angaben. Dies hat einsatztaktische Gründe – insbesondere im Hinblick auf künftige Einsätze – und ist auch deshalb nicht zielführend, weil die ursprüngliche Ausgangssituation mit drei sternförmigen Aufzüge in Connewitz nicht der letztlich beschiedenen Situation entsprach. Eine Einsatzvorbereitung ist ein dynamischer Prozess und vielerlei Änderungen unterworfen – gerade beim Kräftemanagement.
Nach Bekanntwerden der geplanten Aufmarschrouten der Rechtsextremen auch durch den alternativen Stadtteil Connewitz, gab es wochenlang Mobilisierung von allen Seiten. Hätte sich die Polizei einen anderen Demonstrationsort gewünscht?
Andreas Loepki: Die Polizei kann sich keine Demonstrationsorte wünschen, sondern muss durch Versammlungsbehörden genehmigte Versammlungen absichern. Dass der Ort mit seiner Nähe zu Connewitz problematisch werden würde, lag auf der Hand und war ein Grund, bereits vorab Gewalttätigkeiten befürchten zu müssen.
Gegendemonstranten beklagen, dass aufgrund der weiträumigen Abschottung der Neonazis kein Protest in Hör- und Sichtweite möglich war. Auch dies habe möglicherweise zu Aggressionen geführt. Hätte es andere Möglichkeiten der Absicherung gegeben?
Andreas Loepki: Diese Argumentation ist – um es in aller Höflichkeit auszudrücken – nicht durchdacht. Der Vorwurf, legitimen Protest seitens der Versammlungsbehörde in Hör- und Sichtweite „verunmöglicht“ und damit Aggression geschürt zu haben, bedeutet im Umkehrschluss, dass linksradikale Kriminelle also lieber friedlich an der Strecke gestanden hätten. Das ist einfach nur lächerlich. Zudem ist es weder rechtlich noch logisch begründbar, Gegenprotest nur in Hör- und Sichtweite ausüben zu können. Der Protest richtet sich vorzugsweise an die breite Öffentlichkeit und es wäre ein Armutszeugnis, wenn er nur direkt neben der Aufzugsstrecke von Rechtspopulisten wahrgenommen werden könnte, deren Köpfe ohnehin als verlorenes Gut angesehen werden müssen. Gegenkundgebungen und Gegenprotest wurden in größtmöglicher Nähe gestattet – nicht zuletzt um zu verhindern, dass sich gewaltbereite Chaoten untermischen und von dort agieren. Natürlich unterstelle ich keiner Versammlungsanmeldung, dem bewusst Vorschub leisten zu wollen, aber ich erwarte insbesondere von erfahrenen Versammlungsanmeldern mehr als der Frage zugrunde liegende Worthülsen. Es reicht mir nicht, wenn darauf verwiesen wird, solche Versammlungen dann selbstverständlich sofort zu beenden – die kriminellen Chaoten wären schließlich noch immer vor Ort. Wer solche Vorwürfe in bewusster Form, irgendwo zwischen Naivität und Hinterhältigkeit, äußert, will oder kann die Reichweite eigener Verantwortung jenseits des niedergeschriebenen Versammlungsrechts nur unzureichend begreifen.
Im ersten Fazit der Polizei am Samstagabend heißt es, die friedlichen Demonstranten hätten sich zu wenig von den Gewalttätern distanziert. Aus Reihen der Gegendemonstranten heißt es aber, sie hätten kaum Möglichkeiten dazu gehabt. Man habe sich (räumlich) gar nicht distanzieren können, ohne den Gegenprotest grundsätzlich zu verlassen, weil nur der schmale Korridor auf der Karl-Liebknecht-Straße verblieben wäre. Wie sehen Sie diese Argumentation?
Andreas Loepki: Auch diese Argumentation kann ich nicht nachvollziehen. Es sei die Gegenfrage erlaubt, ob friedlicher Gegenprotest und Gewalt überhaupt zur gleichen Zeit am gleichen Ort stattfinden und wahrgenommen werden können? Wenn Vermummte auftauchen, Steine, Flaschen und Pyrotechnik werfen, dann müssen Menschen, die sich friedlich gegen rechte Hasstiraden versammelt haben, auch ein Zeichen gegen diese Form der Gewalt setzen. Das dürfte keine Forderung, sondern eine Selbstverständlichkeit darstellen. In Anbetracht der Eigengefährdung kann dies aus meiner Sicht wiederum nur durch Verlassen des Ortes und durch verbale Kundgabe der Ablehnung erfolgen. Vor Ort zu bleiben, kommt leider einer stillschweigenden Duldung gleich, diskreditiert die Absicht, Gewalt abzulehnen, und geht mit dem Risiko einher, von polizeilichen Zwangsmittel betroffen zu werden. Und wenn sich der friedliche Gegenprotest insgesamt verlagert, verlässt ihn auch niemand, sondern wandert mit ihm an einen anderen Ort.
Von Matthias Puppe