Kritik wegen fehlender Hundertschaften: „Die Polizeibeamten wurden verheizt“

Erstveröffentlicht: 
15.12.2015
Gewerkschaft: Nur die Hälfte der angeforderten Kräfte war gegen Autonomen-Krawalle in Südvorstadt vor Ort

VON FRANK DÖRING

 

War die Polizei gegen rund 1000 enthemmte Linksautonome hoffnungslos überfordert? Beamte, die bei den Straßenschlachten am Sonnabend rund um die Karl-Liebknecht-Straße im Einsatz waren, berichteten jetzt gegenüber der LVZ: „Obwohl die außerordentlich große Mobilisierung im militanten linksautonomen Lager bereits seit Wochen bekannt war, wurden für den Einsatz deutlich zu wenig Kräfte angefordert.“

 

Laut sächsischem Innenministerium waren 1600 Beamte aus vier Bundesländern in der Südvorstadt im Einsatz. Nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei (GdP) war das gerade mal die Hälfte von dem, was für den brisanten Einsatz als notwendig angesehen worden war. „Nach unserer Kenntnis wurden für Leipzig doppelt so viele Polizeikräfte angefordert“, erklärte GdP-Landesvorsitzender Hagen Husgen auf Anfrage. „Aber die kamen nicht.“ Gerade an einem Wochenende mit Fußballeinsätzen und anderen Veranstaltungen könne der Bedarf längst nicht mehr gedeckt werden. „In Leipzig wurden Kollegen in Unterzahl angegriffen und konnten sich kaum selbst schützen“, so Husgen. „Es gab Situationen, da stand eine Hundertschaft etwa 500 Gewalttätern gegenüber. Die Polizeibeamten wurden verheizt.“ Wie berichtet, wurden 69 Polizisten bei den Ausschreitungen von Linksautonomen verletzt, zwei davon schwer. Wohl auch deshalb, weil die Leipziger Polizei nicht genügend Unterstützung erfuhr.

 

Polizeisprecher Andreas Loepki räumte ein: „Es waren sicherlich zu wenige Polizeibeamte vorhanden, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung schneller wieder herstellen zu können.“ Doch auch ein größeres Aufgebot hätte Krawalle aus Sicht der Behörde nicht gänzlich verhindert. „Die Linksradikalen wollten offensichtlich zwingend agieren und hätten ihr Vorgehen auch bei mehr Polizeikräften gezeigt“, so Loepki. „Allerdings bemisst sich die Anzahl der eingesetzten Beamten neben dem objektiven Faktor der Verfügbarkeit nicht zuletzt an der Gefahrenprognose. Diesbezüglich mussten wir leider ein deutlich darüber liegendes Ausmaß der Gewaltattacken feststellen.“

 

Dass es angesichts der schwersten Gewaltexzesse seit Jahren lediglich 23 Gewahrsamsnahmen gab, ist nach Einschätzung von Beamten der Einsatzhundertschaften ebenfalls mit mangelhafter Personalausstattung zu erklären. „Es waren deutlich zu wenig Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) von Bund und Ländern da.“ Bisher seien diese speziellen Zugriffskräfte von der Leipziger Polizeidirektion „immer in großer Zahl angefordert“ worden, so die Insider. „BFE sind die einzige Option, hochmobilen Straftätern in diesen Lagen zu begegnen.“

 

In der Tat seien diese Einheiten „geschulter bei der beweissicheren Ergreifung und Festnahme“, erklärte Loepki. „Doch auch diese Kräfte müssen auf Eigensicherung achten und sind nicht unverwundbar. Sie konnten eben auch nicht die Distanzen zu den Angreifern derart schnell überbrücken, um mehr Zugriffe durchzuführen – insbesondere im Hagel der Wurfgeschosse.“ Außerdem habe es angesichts der Gewalteskalation über einen längeren Zeitraum klare Prioritäten gegeben: Lagebereinigung und -eindämmung ging vor Strafverfolgung.

 

Hinzu kam, dass die Autonomen of­­­fen­bar erfolgreich auf eine Taktik zurück­griffen, welche sie laut Polizei schon bei früheren Krawallen einsetzten. Anwohner berichteten, dass sich Gewalttäter nach Aktionen in Hinterhöfe zurückzogen und dort ihre typische schwarze Kluft wendeten oder wechselten – um mit farbigen Klamotten in der Menge untertauchen zu können – als unverdächtige Passanten.

 

Die GdP forderte gestern eine „sofortige lückenlose Aufklärung der Geschehnisse“. Antworten erwarte man unter anderem auf die Frage, warum die Leipziger Polizei für dieses heikle Wochenende offenbar zu wenig Personalunterstützung erhielt. Und: Was wolle die Stadtführung unternehmen, um mit den häufigen Gewaltexzessen aufzuräumen?

 


 

OBM beziffert Schäden auf über 100 000 Euro

Allein bei LVB Zerstörungen an 40 Haltestellen

Die bei den Krawallen entstandenen Schäden sind gewaltig. Sie betragen nach den Worten von Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) „weit über 100 000 Euro“. Die Polizei gab sich gestern zurückhaltender, da noch nicht alle Zerstörungen erfasst sind. Von ihr waren 40 Einsatzfahrzeuge zum Ziel von Attacken geworden.

 

Bei den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB) liegt die Schadenssumme in fünfstelliger Höhe, wie LVB-Sprecher Marc Backhaus mitteilte. „Insgesamt hatten wir zirka 40 Schäden in Haltestellenbereichen, beschädigt wurden Werbeträgertüren, Fahrplankästen und Schutzgeländer.“ Nach Angaben des mit den Reparaturen beauftragten Stadtmöblierers JCDecaux Deutschland GmbH werden die Arbeiten noch bis zum Mittwoch andauern. „Um die Schäden so schnell wie möglich zu beseitigen, haben wir neben den Kollegen aus Leipzig auch zusätzlich Personal aus Dresden im Einsatz“, sagte JCDecaux-Sprecherin Frauke Bank. „Es gab sehr viel Glasbruch, beschädigte Werbeträger und Fahrplanaushänge. Man kann schon von einer regelrechten Verwüstung sprechen.“

 

Von Pflastersteinen getroffen wurden am Samstag auch Fenster von Bankfilialen und eines Supermarktes in der Karl-Liebknecht-Straße, am Connewitzer Kreuz und am Südplatz.

 

Neben den Straßenbahnhaltestellen der LVB war auch das S-Bahn-Netz rund um die Messestadt zum Ziel von Angriffen geworden. Im Raum Plagwitz und in Connewitz führten Brände in Kabelschächten zu Störungen im Zugverkehr. „Sowohl in Richtung Zentrum als auch in die Gegenrichtung ging zeitweise nichts mehr“, erklärte Jens Damrau von der Bundespolizei. Der Schaden durch die beiden Brände liegt laut Damrau „definitiv im vierstelligen Bereich“.

 

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft sind bis zum Montag gegen mindestens 36 Personen Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Ihnen wird unter anderem Landfriedensbruch, Sachbeschädigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen. Bislang wurde keiner der mutmaßlichen Täter in Untersuchungshaft gebracht. F. D./bfi



 

Ermittlungen nach Anschlag auf Ex-Legida-Chef


Nach dem Angriff auf die Wohnung von Ex-Legida-Chef Silvio Rösler ermittelt das Operative Abwehrzentrum der Polizei. „Es ist von einem linksextremistischen Hintergrund auszugehen“, sagte gestern Polizeisprecherin Maria Braunsdorf auf Anfrage. Unbekannte hatten während der von Rösler organisierten Neonazi-Demo am Sonnabend dessen Wohnung in Leutzsch verwüstet (die LVZ berichtete). Nach einem im Internet veröffentlichten Bekennerschreiben zerstörten die Einbrecher Teile des Inventars mit einer Axt und verteilten sechs Liter Bitumen. Noch am Tattag sei die Kriminaltechnik vor Ort gewesen, so die Polizei. F. D.