„Rennt! Jetzt kommen die Nazis!“

Erstveröffentlicht: 
14.12.2015
Sechs Delitzscher müssen nach Überfall auf Konzertbesucher im Jahr 2012 heute mit Urteil rechnen

VON ALEXANDER BLEY

 

Leipzig/Delitzsch. Eine richtige Abreibung wollten sie ihm verpassen, diesem Tony M. Eine, bei der der „Zecke“ Hören und Sehen vergeht! Genug Mut hatten sich die Kerle aus der rechten Szene in einer Kneipe am Bahnhof schon angetrunken und sogar einen Plan ausgeheckt, wie sie dem Ska-Konzertveranstalter aus Delitzsch und weiteren Besuchern auflauern wollten. So ist es in den Ermittlungs-Unterlagen des Staatsschutzes notiert.

 

All das wurde am 18. März 2012 in Delitzsch, im Norden Sachsens, traurige Realität. Um 6.40 Uhr gingen an jenem Sonntagmorgen gleich mehrere Notrufe bei der Polizei ein. Neonazis, so hieß es, hätten eine Gruppe angeheiterter Konzertbesucher angegriffen. Aus mehreren Richtungen stürmten sie auf die Gruppe los. Offensichtlich eine Hetzjagd auf Tony M., der sich in der linken Szene engagiert. „Wo ist der Tony? Wir wollen den Tony haben“, schrie damals einer der Täter einen jungen Mann an, der geistesgegenwärtig in eine andere Richtung zeigte. So konnte der 30-Jährige entkommen. Petr D. nicht. Der Tscheche wurde brutal niedergestreckt. Mit zwei Schlägen.

 

Schon der erste Treffer zerstörte das Auge des 36-Jährigen, der seitdem fünf Mal operiert wurde. Schwer sehgeschädigt, kann er seitdem auf dem rechten Auge nur noch Konturen wahrnehmen. Weil bei der Tat ein Schlagring eingesetzt wurde, fiel die Verletzung so schwer aus. Im Nachgang schlug eine weitere Person auf den wehrlosen Petr D. ein. Eine junge Delitzscherin wurde ebenfalls geschlagen. Von hinten, mit der Faust, wie mehrere Zeugen, die durch Hilferufe geweckt worden waren, vor Gericht berichteten.

 

Seit Anfang November müssen sich sechs Männer aus Delitzsch und Umgebung deshalb vor dem Landgericht Leipzig verantworten. Heute will die 6. Strafkammer mit dem Vorsitzenden Richter Jens Kaden das Urteil fällen. Einer der mutmaßlichen Schläger muss sich wegen schwerer Körperverletzung verantworten, der Rest wegen gefährlicher Körperverletzung. Nico R., 28 Jahre alt, gilt als Hauptverdächtiger. Er gestand die Tat während der Verhandlung bereits. Einen „Tunnelblick“ habe er gehabt und dabei wohl irgendwie den Schlagring aufgesetzt. Aus der Bewegung schlug er zu.

 

Bereits davor sprachen die Indizien gegen den 28-jährigen, großgewachsenen Mann. Der Zoll hatte im Sommer 2013 seine Wohnung im Wohngebiet Delitzsch Nord durchsucht. Dabei wurde auch der Schlagring entdeckt, auf dem die DNA des Opfers nachgewiesen wurde. Allerdings erfolgte der Zugriff damals nicht wegen des Überfalls, sondern weil Nico R. zu einem Trio gehörte, das bandenmäßig mit Crystal Meth handelte. In Tschechien kauften die drei Neonazis die Drogen auf dem Asia-Markt, um sie nach Deutschland zu schmuggeln und zu verkaufen. Dabei wurden sie von den Fahndern beobachtet. Deshalb summiert sich auch die Strafe, die für Nico R. erwartet wird. Gut acht Jahre könnte er ins Gefängnis wandern.

 

Die fünf Mitangeklagten erwarten Bewährungsstrafen bis zu zwei Jahren. Fest steht bereits auch, wer die Gruppe zu der Tat angestachelt hatte: der 40-jährige Sören D.