Es gab enge Verbindungen zwischen Verfassungsschutz, dem NSU und
 dem Ku-Klux-Klan – der Neonazi Thomas Richter war V-Mann – sein 
Deckname: „Corelli“. Fragen und Antworten. 
 
Stuttgart - Immer wieder geht es um Thomas Richter: Der Neonazi hat 
jahrelang Gegendemonstranten bei rechten Aufmärschen fotografiert und 
denunziert. Er zieht im rassistischen Ku-Klux-Klan (KKK) in Schwäbisch 
Hall die weiße Kapuze über. Mitte der 2000er Jahre verschickt er CDs, 
die den Titel „NSU/NSDAP“
 tragen – und liefert damit mindestens sechs Jahre vor deren 
Selbstenttarnung Hinweise auf die mutmaßliche Rechtsterroristengruppe 
„Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Und: Thomas Richter spitzelt
 18 Jahre lang als V-Mann „Corelli“ für das Bundesamt für Verfassungsschutz
 (BfV). Für die Nachrichtendienstler eine „Topquelle“, deren 
Informationen den Agenten bis zum Tod Richters 2014 insgesamt 296 842,83
 Euro wert waren.
 
Der Tod des Spitzels regt bis heute die Fantasie vieler an: Im August
 und September 2012 fürchten Kölner Verfassungsschützer, dass die 
Enttarnung ihres Informanten droht: Eine Presseanfrage des 
Mitteldeutschen Rundfunks (mdr) könne die Identität „Corellis“ 
offenbaren. Deshalb wird Richter in ein Zeugenschutzprogramm 
aufgenommen, erhält eine neue Identität und wird schlussendlich in einer
 Wohnung im Paderborner Stadtteil Schloss Neuhaus untergebracht. Hier 
wird Richter am 7. April 2014 nachmittags tot von zwei Beamten seines 
Betreuungsteams aufgefunden. Die Obduktion ergibt, dass er an einer bis 
dahin unerkannten Diabetes verstorben ist.
 
Geheimbericht verweigert
 
			 
Kurz zuvor war dem Hamburger Verfassungsschutz eine CD mit dem Titel 
„NSU / NSDAP“ übergeben worden. Ihre Spur führte zu Thomas Richter, der 
diesen Datenträger offenbar 2006 verschickt hatte. Wenig später wurden 
ähnliche CDs in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und im BfV gefunden.
			Deshalb setzt das für die Kontrolle der deutschen 
Nachrichtendienste zuständige Parlamentarische Kontrollgremium des 
Bundestages den früheren Grünen-Bundestagsabgeordneten Jerzy Montag als 
Sonderermittler ein. Sein Auftrag: Er soll die Todesumstände Richters, 
dessen Beziehungen zum mutmaßlichen Terrortrio NSU, die Mitgliedschaft 
„Corellis“ im KKK sowie Hintergründe der NSU-CD untersuchen.
			Im Oktober stellt Montag seinen als „geheim“ eingestuften Report 
dem Parlamentarischen Kontrollgremium vor. Das reduziert den 300 Seiten 
dicken Bericht in einer öffentlichen Fassung auf 30 Seiten. Nur diese 
Fassung steht den Abgeordneten in den Untersuchungsausschüssen der 
Länder zur Verfügung. An diesem Freitag nun sagt Montag vor dem 
NSU-Gremium des baden-württembergischen Landtags aus – auf Grundlage des
 öffentlichen Berichts. Die Parlamentarier können Montag nach 
Informationen unserer Zeitung zu folgenden Punkten nicht befragen:
 
 
 Wie bekommt Richter Kontakt zu baden-württembergischen KKK-Mitgliedern?
 
 Über Newsletter und E-Mails erhält Richter 1998/1999 Hinweise auf 
KKK-Strukturen in Deutschland. Über Chatkanäle baut er den Kontakt zu 
Thomas B. auf, der den Kanal „Vaterland“ auf der Kommunikationsplattform
 „undernet“ betreibt. B. bietet Richter an, mit ihm gemeinsam in die USA
 zu fliegen, um dort „amerikanische Kameraden“ des KKK zu treffen. Über 
B. lernt Richter dann Achim Schmid aus Schwäbisch Hall kennen. Der 
V-Mann des LfV 
Baden-Württemberg ist zu dieser Zeit Mitglied der im Raum Heilbronn aktiven „International Knights of Ku-Klux-Klan“ (IK KKK).
 Wie wird Richter Mitglied des KKK?
 
 Im März 2000 treffen sich Schmid und Richter bei einem Skinheadkonzert 
in Dänemark. Das berichtet Richter seinem sogenannten V-Mann-Führer. 
Weil dessen Dienst „keine fundierten Erkenntnisse zu Sektionen der IK 
KKK“ hat, könne eine Mitgliedschaft Richters dort „wertvolle 
Erkenntnisse zu Aufbau, Veranstaltungen und internen Abläufen 
erbringen“. Richter wird deshalb vom BfV gegen seinen Willen gedrängt, 
engen Kontakt zu Schmid und dem IK KKK zu halten. Am 21. und 22. Juli 
2000 wird Richter als Anwärter im Rahmen einer feierlichen Zeremonie in 
den IK KKK aufgenommen. Dessen in Baden-Württemberg lebender 
Europabeauftragter Paul Edmond ist bei dem Ritual anwesend.
 
 Durfte der Verfassungsschutz zu diesem Zeitpunkt den KKK beobachten?
 
 Der frühere Präsident des LfV Baden-Württemberg, Helmut Rannacher, 
sagte am 17.  Juli im Untersuchungsausschuss aus, das BfV habe im 
Frühjahr 2001 bei allen Verfassungsschutzämtern nach Erkenntnissen zum 
KKK angefragt. Bis zu diesem Zeitpunkt sei die Gruppe ein sogenannter 
Prüffall gewesen: In dieser Zeit dürfen Geheimdienste lediglich offen 
verfügbare Informationen aus Zeitungen oder dem Internet über eine 
Organisation sammeln. Nachrichtendienstlich – also mit V-Männern oder 
Telefonüberwachungen – dürfen sie erst tätig werden, wenn die 
Organisation zum „Beobachtungsobjekt“ erklärt wurde. Rannacher sagte, 
„dass zum 1. August 2001 der Ku-Klux-Klan Beobachtungsobjekt des 
Verfassungsschutzes wurde“. Also weit nachdem Richter auf den KKK 
angesetzt worden war.
 
 Was macht Richter bei den European Knights of KKK?
 
 Im Oktober 2000 gründet Schmid seinen eigenen Klan, den EWK KKK in 
Schwäbisch Hall. Richter soll in den ostdeutschen Bundesländern weitere 
Mitglieder für den Klan rekrutieren. Unter anderem bringt er den 
radikalen Neonazi Martin E. in die Gruppe. 2001 fliegt er auf Kosten des
 BfV in die USA, um sich mit anderen KKK-Angehörigen zu treffen. Ab 
2001/2002 berichtet Richter über baden-württembergische Polizisten im 
EWK KKK. Er benennt Timo H. sowie Jörg W.. Zudem berichtet er vom 
Interesse von drei weiteren Polizisten an der Rassistentruppe. Als 
Schmid zu Pfingsten 2002 für den KKK eine Rallye im Raum Schwäbisch Hall
 anberaumt, soll Richter dem BfV und LfV Baden-Württemberg helfen, 
Mitglieder und deren Fahrzeuge zu identifizieren. Dazu soll in seinem 
Rucksack ein Peilsender versteckt werden. Dessen Signal soll ein 
Hubschrauber auffangen. Mutmaßlich ein Mitarbeiter des LfV verrät 
offenbar die Operation an Schmid und zwei seiner Adjutanten.
 
 Was hat Richter mit der NSU-CD zu tun?
 
 Offenbar Mitte der 2000er Jahre verschickt Richter eine CD mit dem 
Titel „NSU/NSDAP“ an einen Neonazi, der V-Mann des LfV Hamburg ist. Der 
findet die CD im Februar 2014 beim Aufräumen wieder und übergibt sie den
 Verfassungsschützern. Der Datenträger enthält die „erste umfangreiche 
Bilddaten-CD des Nationalsozialistischen Untergrunds der NSDAP (NSU)“. 
Enthalten sind Fotos, Videos und Grafiken mit rechtsextremistischem 
Inhalt. Bei Hausdurchsuchungen in Krakow am See und Lugau finden 
Polizisten zwei weitere CDs mit demselben Titel und ähnlichen Inhalten. 
Im Spätsommer 2014 taucht auch eine CD beim BfV auf. Diese hatte 
„Corelli“ offenbar am 16. August 2005 übergeben. Ausgewertet worden war 
sie nie. Brisant sind die CDs, weil der Begriff NSU erst nach dem 
Auffliegen der mutmaßlichen Terrorgruppe im November 2011 bekannt wurde.
 Ein sogenannter Hashwert-Abgleich ergibt, dass der unverwechselbare 
Datei-Fingerabdruck einiger Datenbanken mit denen identisch ist, der auf
 Rechnern und Datenträgern gefunden wurde, die den fünf im Münchner 
NSU-Verfahren Angeklagten zuzuordnen sind.
 
 Warum ermittelt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft gegen Richter?
 
 Die Ankläger führen Ende der 2000er-Jahre zwei Ermittlungsverfahren 
wegen Volksverhetzung gegen Richter. Er vertrieb über ein in Stuttgart 
gemeldetes Internetauktionshaus indizierte Tonträger. Richters Wohnung 
wird durchsucht. Die dabei sichergestellten Asservate sind zeitweilig 
unauffindbar. Sie werden zufällig gefunden, als ein Ermittler 
pensioniert und sein Büro ausgeräumt wird. Die Verfahren – inzwischen 
bei den Staatsanwaltschaft Jena zusammengeführt – werden am 22. August 
2011 eingestellt.