Die Idee ist bestechend: In festungsartigen Bergtresoren lagern Europas Millionäre ihre Schätze - und sparen immense Steuern einfach dadurch, dass sie sie dort nicht wegbewegen. Das Geschäft mit den Zollfreilagern boomt, aber die Zweifel an der Legalität dieses Steuertricks werden zumindest in der Schweiz immer stärker.
Von Jörg Köpke
Berlin. Es sind gewaltige Festungen aus Granit, Tuff oder Basalt. Mit meterdicken Natursteinmauern ohne Fenster, allenfalls mit ein paar schmalen Schlitzen versehen, die an Schießscharten erinnern. König Friedrich Barbarossa hätten diese Bollwerke vermutlich gefallen. Doch die Trutzburgen der Moderne schützen keinen von Mythen umrankten Staufer-Herrscher. Sie beherbergen die Schätze der Gegenwart: wertvolle Gemälde und Skulpturen, Gold, Platin und Diamanten, Uhren, Oldtimer oder kostbare alte Weine. Die Luxusbunker stehen in Steuerparadiesen wie der Schweiz, Liechtenstein, Luxemburg, Singapur oder Hongkong. Für Superreiche und von Niedrigzinsen und Euro-Krise geplagte Steuermuffel sind sie vor allem aus einem Grund hochinteressant: wegen ihrer Funktion als Zollfreilager.
Einer dieser Superreichen ist Claus Richter (Name geändert). Sein Vater 
baute in Deutschland nach dem Krieg einen erfolgreichen Konzern auf. 
Nach dem Tod  des Gründers verkauften die Erben das Unternehmen für 
einen dreistelligen Millionenbetrag an einen amerikanischen Hedgefonds. 
Das Geld investiert der heute 65-jährige Sohn seither in Kunst, vor 
allem in wertvolle Bilder und seltene Möbel. "Irgendwann wurde unsere 
Villa in Baden-Baden zu klein. Und zum Tauschen und Weiterverkaufen sind
 Zollfreilager ideal", schwärmt Richter, der auch edle Bordeaux-Rotweine
 aus längst vergangenen Epochen durchaus zu schätzen weiß. 
Doch was genau haben Wohlhabende davon, wenn sie ihre Pretiosen an 
solchen Orten verschanzen? "Für Investoren ist es natürlich ein Anreiz, 
Edelmetalle außerhalb der EU zu besitzen", wirbt das 
deutsch-schweizerische Handelsunternehmen Pro Aurum in 
Hochglanzbroschüren für seine Zollfreilager in der Schweiz und in 
Hongkong. "Lagern Sie Ihre Zukunft zollfrei", lautet der Slogan. Der 
Mindesteinlagewert liegt bei 10000 Schweizer Franken. Auch wenn die 
findigen Händler "die stabilen politischen Verhältnisse in der Schweiz" 
als Motivation anpreisen, wird schnell klar, worum es eigentlich geht: 
"19 Prozent Mehrwertsteuer werden erst fällig, sobald die Schätze die 
Schweiz in Richtung Deutschland verlassen", erklärt der Schweizer 
Pro-Aurum-Geschäftsführer René Buchwalder. 
Eigentum verpflichtet, heißt es in Artikel 14 des deutschen 
Grundgesetzes. Soll heißen: Wer etwas besitzt, muss darauf Steuern 
zahlen. "Kommunistisches Geschwätz" nennt das Multimillionenerbe Richter
 und räkelt sich genüsslich in seinem braunen Ledersessel, einem antiken
 Stück aus Kolonialzeiten in "Belgisch Kongo". Richter lässt seine 
Kostbarkeiten schon lange nicht mehr nur aus Platzmangel von Baden-Baden
 in die Schweiz bringen. Denn bleiben die Wertstücke gut verwahrt im 
voll klimatisierten Bunker, können die eingesparten Steuern - bei 
Einlagen mit Milliardenwerten durchaus beträchtliches Kapital - in der 
Zwischenzeit andernorts Früchte tragen. Repräsentative Verkaufshallen 
mit Videokonferenzsälen geben den Mietern von Natursteintresoren die 
Möglichkeit, ihren Picasso gegen ein paar Kilogramm Gold oder exquisite 
Wein-Raritäten zu tauschen. Steuerfrei, versteht sich, denn nichts von 
alledem muss dafür auch nur einen Zentimeter bewegt werden. Der Mann von
 Geld tauscht Ware gegen Ware im steinernen Verlies. Zu allem Überfluss 
sind die Lager hinsichtlich Geheimhaltung und Kontrollvorschriften 
ähnlich konzipiert wie Offshore-Finanzplätze. Und die kennen Millionäre 
mit einem Faible für gewisse Steuersparmodelle nur zu gut.
Über Jahrzehnte dienten die  Katakomben, Betonhallen und ehemaligen 
Alpenbunker als kurzfristige Transitdepots für Importeure und 
Weiterverkäufer. Längst jedoch sind sie zu geheimen Dauereinrichtungen 
im steuerrechtlichen Niemandsland geworden. Seit dem Bröckeln des 
Bankgeheimnisses entstehen immer mehr dieser mysteriösen Schatzkammern. 
Allein in der Schweiz gibt es laut einem Bericht der Eidgenössischen 
Finanzkontrolle (EFK) von 2013 mittlerweile 245 offene Zolllager mit 
Werten von insgesamt 14 Milliarden Euro. Hinzu kommen zehn 
Zollfreilager, deren Inhalt Versicherer auf wenigstens 100 Milliarden 
Euro taxieren.
Das größte von ihnen ist ein sechs Stockwerke hoher Steinklotz bei Genf 
mit etwa 100000 Quadratmetern - einer Fläche, die 14 Fußballfeldern 
entspricht. Das Genfer Lager, das auch Multimillionär Richter nutzt, 
soll nach Schätzungen von Kunstliebhabern allein 300 Gemälde von Picasso
 beherbergen. Es wäre damit die zweitgrößte Picasso-Sammlung der Welt. 
Das Zollfreilager St. Gotthard 90 Kilometer südlich von Zürich wirbt gar
 mit"kugel- und explosionssicheren Türen". 
Weil die Schweizer Bergtresore längst aus allen Nähten platzen, entsteht
 bis Anfang 2017 am Rande der Liechtensteiner Gemeinde Mauren ein neues 
riesiges Lager - "voll klimatisiert und hoch gesichert", wie Birgit 
Vikas, Geschäftsführerin des Wiener Logistikunternehmens Kunsttrans, 
versichert. Vor gut einem Jahr nahm bereits der Luxemburger Freeport 
seinen Betrieb auf. In dem hochmodernen Bau achten die Betreiber unter 
anderem peinlich genau darauf, dass Temperatur und Luftfeuchtigkeit 
stets gleich bleiben. Wein kann so vibrationsfrei reifen. 80 Prozent der
 Luxemburger Fläche sind bereits vergeben. An wen? Kein Kommentar. 
Diskretion geht über alles.
Ganz ungestört laufen die Geschäfte allerdings nicht mehr ab. 
Geldwäscheskandale und spektakuläre Fälle von Steuerhinterziehung haben 
zumindest in der Schweiz die Steuerfahnder auf den Plan gerufen. Der EFK
 ist es ein Dorn im Auge, dass Güter zum Teil jahrzehntelang in den 
Zollfreilagern verwahrt werden. Zudem keimt der Verdacht, die 
eingelagerten Kunstschätze könnten mit "schmutzigem Geld" bezahlt worden
 sein. Allein 2014 wechselten weltweit Kunst und Antiquitäten im Wert 
von 47 Milliarden Euro die Besitzer. Vieles davon landete in 
Zollfreilagern der Eidgenossen und wird seither kaum noch bewegt. Laut 
jüngstem EFK-Bericht ist das Risiko des Missbrauchs "für vielerlei 
Delikte von Steuerhinterziehung über Geldwäsche bis zu verbotenen 
Geschäften mit Rohdiamanten und Kulturgütern erheblich". Die Behörde 
fürchtet einen "Reputationsverlust für den Standort Schweiz" und hat 
daher dem Parlament des Alpenlandes, dem Bundesrat, empfohlen, bis Ende 
dieses Jahres eine Strategie zu entwickeln, wie künftig verfahren werden
 soll. Kunsthandel, so heißt es, sei inzwischen sogar "ein probates 
Mittel zur Finanzierung von Terrororganisationen". 
Auch in Deutschland wächst das Unbehagen. Offiziell erklärt das 
Bundesfinanzministerium zwar, es lägen "keinerlei Erkenntnisse darüber 
vor, dass eine Neigung deutscher Steuerpflichtiger besteht, in 
Zollfreilagern wertvolle Kunstgegenstände dauerhaft einzulagern". Hinter
 vorgehaltener Hand spricht ein Steuerfahnder jedoch Klartext: "Was 
früher die dubiosen Bankkonten waren, sind heute die Bunker und 
steinernen Tresore - der Verdacht, dass dort Steuerhinterziehung im 
Spiel ist, liegt nahe." 
Noch bunkern die Superreichen ihre Kostbarkeiten aber weitgehend 
ungehindert in den steinernen Hightech-Festungen. Und scheuen keine 
Mühen bei der Erhaltung ihrer Werte: In einem Depot in der Schweiz liegt
 eine mehrere Millionen Euro teure Stradivari-Geige. Das Klima in der 
Berggrotte bekommt dem wertvollen Instrument indes nicht besonders gut. 
Also hat sein Besitzer kurzerhand einen Konzertgeiger engagiert. Zweimal
 pro Woche spielt der nun die Geige im Bunker, auf dass die Stradivari 
ihren Marktwert möglichst lange behält.
