Flüchtlingskrise: Position des Parteichefs scharf kritisiert
VON JüRGEN KOCHINKE
 Dresden.  Der Aufruf hat eine knappe 
Überschrift, darunter geht es zur Sache. "Unsere Grundwerte sind nicht 
verhandelbar" lautet der Tenor, im Text greifen die Verfasser unverblümt
 ihre eigene Parteispitze an. "Es geht gegen jedes sozialdemokratische 
Verständnis innerparteilicher Demokratie, dass SPD-Kabinettsmitglieder 
auf Bundes- oder auch Landesebene Grundwerte unserer Partei öffentlich 
zur Disposition stellen", heißt es dort. Dann nehmen sich die Autoren 
SPD-Landeschef Martin Dulig zur Brust. Forderungen, schreiben sie, "die 
Flüchtlingswelle einzudämmen, sie zeitweise zu stoppen", seien 
inakzeptabel. "Sätze wie diese sind es, die uns kopfschüttelnd 
zurücklassen."
 Der Aufruf stammt vom SPD-Ortsverein Dresden Neustadt
 und sorgt jetzt für reichlich Wirbel, auch weil er gegen Landeschef und
 Wirtschaftsminister Dulig zielt. Schließlich war er es, der in seiner 
Festrede zum 3. Oktober im Landtag seine bisherige Haltung zur 
Asyl-Krise und Willkommenskultur korrigiert hat - und dabei genau jene 
Worte benutzte. "Wir müssen die Flüchtlingswelle eindämmen", hatte er 
gesagt, "ja, sie zeitweise stoppen". Nur so sei ein menschenwürdiger 
Umgang mit Flüchtlingen zu erreichen.
 Daran hatte es schon vor Tagen
 Protest aus SPD-Reihen gegeben. So hatten die sächsischen Jusos Dulig 
umgehend angezählt, und auch die SPD-Arbeitsgemeinschaft Migration 
meldete sich unter der Überschrift "Flucht-Ursachen bekämpfen, nicht 
Flüchtende" kritisch zu Wort. Jetzt aber sammelt sich der Protest. So 
war gestern zu beobachten, wie die Zahl der Unterstützer des Appells des
 Dresdner Ortsvereins im Internet fast im Minutentakt anstieg - darunter
 sogar SPD-Mitglieder aus Vorpommern/Rügen sowie Hannover. Am späten 
Nachmittag hatten bereits mehr als 60 unterschrieben.
 Auch zwei 
prominente SPD-Mitglieder aus dem Freistaat sind mit dabei. Beide sitzen
 als Abgeordnete im sächsischen Landtag, sie heißen Sabine Friedel und 
Henning Homann. "Es stünde der SPD gut zu Gesicht, beim Thema Hilfe für 
Menschen in Not mindestens so klar zu stehen wie Angela Merkel", sagte 
Friedel gestern auf Anfrage mit Blick auf die Bundeskanzlerin vom 
Koalitionspartner CDU. Homann wiederum ist sogar SPD-Fraktionsvize und 
verweist auf das im Grundgesetz festgelegte Recht auf Asyl. "Das ist 
eine rote Linie", sagte er gestern. Zwar unterschreibe er "nicht jeden 
einzelnen Satz in dem Aufruf". Er nehme aber den Wunsch der Parteibasis 
wahr, "mehr in Entscheidungsprozesse eingebunden zu werden". Letzteres 
steht auch genau so im Aufruf. "Wir als SPD-Neustadt verlangen von 
unseren Kabinettsmitgliedern und Mandatsträgern die verstärkte 
Rückkopplung mit der Parteibasis", heißt es dort. "Einigkeit kann nicht 
von oben bestimmt werden, sondern muss innerparteilich ausgehandelt 
werden."
