Gewalt-Eskalation bei Demos: So schlimm traf es Leipzig lange nicht
Von Frank Döring
 Als am Augustusplatz die ersten Böller detonieren, hat die Kundgebung 
der "Offensive für Deutschland" (OfD) noch nicht einmal begonnen. 
Weniger als 100 Rechtsextremisten haben sich an diesem Sonnabend gegen 
14.45 Uhr vor dem Gewandhaus um Ex-Legida-Chef Silvio Rösler versammelt,
 später werden es nach Angaben der Polizei bis zu 350 sein. Es 
dominieren junge Männer im Hooligan-Outfit und mit aggressiver Pose. Ein
 komplett Vermummter wird von der Polizei zur Identitätsfeststellung 
abgeführt.  
 Der Kundgebungsort ist hermetisch abgeriegelt. An den Absperrgittern 
drängen sich hunderte Gegendemonstranten. Sie waren in fünf Aufzügen ins
 Stadtzentrum geströmt - allein 1000 aus Connewitz und rund 500 vom 
Rabet. Es kommt zu ersten Rangeleien zwischen Protestierern und der 
Polizei. Antifa-Anhänger greifen noch vor Beginn der OfD-Demo an. Sie 
werden in Gewahrsam genommen, ein Beamter erleidet Verletzungen. In 
Absprache mit OfD-Anmelder Rösler wird die Aufzugsstrecke verkürzt bis 
zum Wilhelm-Leuschner-Platz. 
Entlang der Route versuchen Gegendemonstranten durchzubrechen und 
Barrikaden zu errichten. Einige tragen Quarzsandhandschuhe. Sie rütteln 
an den Absperrgittern, provozieren die Polizisten. Auch aus den Reihen 
der Neonazis fliegen Böller. 800 Beamte von Bundespolizei, sächsischer 
Bereitschaftspolizei und Polizeidirektion Leipzig sind bei dieser 
dritten Demo innerhalb von sechs Tagen im Einsatz. 
 Am Leuschnerplatz kommt es gegen 16.15 Uhr zu einer solch massiven 
Eskalation, die selbst das Demo erprobte Leipzig lange nicht erlebt hat.
 Ein vermummter Chaot schleudert einen Pflasterstein in Richtung der 
OfD-Demo, trifft einen Polizisten am Kopf. Das Geschoss kracht gegen den
 Helm des Beamten, der daraufhin zu Boden geht. Dann prasselt ein Hagel 
von Flaschen und Steinen nieder. Auch Teilnehmer der 
Anti-Nazi-Kundgebung "Leipzig nimmt Platz" werden von Linksautonomen 
beworfen, einer wird nach Angaben des Netzwerks No Legida später in die 
Notaufnahme gebracht. "Kurzzeitig mussten auch ein paar Bullen einige 
Steine fressen", heißt es in einem Statement, das später auf dem linken 
Internetportal Indymedia veröffentlicht wird. "Das war jedoch alles 
halbgare Kost und ein kurzer Spaß." Die Randalierer reißen 
Baustellen-Absperrungen um, greifen die Polizeidirektion in der 
Dimitroffstraße an. Unbeteiligte schlagen schockiert die Hände vors 
Gesicht, eine Frau steht zitternd da und weint. Es kommt zu regelrechten
 Jagdszenen. Beamte greifen außerordentlich robust durch. "Haut ab!", 
werden zwei Mädchen angeschrien und zu Boden gestoßen. 
Erst allmählich normalisiert sich die Lage. Während der OfD-Aufzug 
wieder in Richtung Augustusplatz führt, fahren dort Wasserwerfer und ein
 Räumpanzer vor. Auch die Gegendemonstranten machen sich auf den Weg zum
 Gewandhaus. Noch einmal kommt es zu tumultartigen Szenen. Ein 
Demonstrant spült sich mit Mineralwasser die Augen aus, nachdem er 
Reizgas abbekommen hat. Die OfD-Abschlusskundgebung wird von lautstarken
 Protesten begleitet, schwere Zwischenfälle bleiben aus. Gegen 17.45 Uhr
 geleiten Polizeitrupps die OfD-Anhänger zum Hauptbahnhof. Einige 
Neonazis provozieren, suchen die gewaltsame Ausein-andersetzung. Doch 
dazu kommt es nicht mehr. 
Die Bilanz des Nachmittags: 13 verletzte Polizeibeamte, 17 beschädigte 
Einsatzfahrzeuge. Die Zahl der verletzten Zivilisten ist noch unklar. 
Zwölf Randalierer kommen in Gewahrsam, Ermittlungen wegen 
Körperverletzung und Landfriedensbruchs laufen. Wie die Polizei 
bestätigt, hat Ex-Legida-Chef Rösler für nächsten Monat eine weitere 
Demo der "Offensive für Deutschland" angemeldet.
Kommentar Von André Böhmer
Diese Bilder will niemand haben
Hubschrauber über der City, Wasserwerfer am Augustusplatz, die Reiterstaffel am Gewandhaus, Angriffe und Provokationen von Neonazis und ein entfesselter linksautonomer Mob, der mit Pflastersteinen gegen die Polizei seine kriminellen Intentionen nachwies: Kurz vor dem Jahrestag der Friedlichen Revolution gehen von Leipzig gewalttätige Bilder aus, die niemand sehen will. Der Schock sitzt tief, bei Augenzeugen, bei Touristen, bei Händlern, bei den Verantwortlichen der Stadt. Denn die gespenstischen Jagdszenen in der Innenstadt verbreiteten eine Atmosphäre der Angst. Die zwischen allen Fronten stehende Polizei, die in der ganz speziellen Leipziger Demo-Woche - Montag Legida, Mittwoch Legida, Sonnabend "Offensive für Deutschland", heute wieder Legida - längst oberhalb ihrer Belastungsgrenze angekommen ist, steht dabei als Prügelknabe da. Dass in der aufgeheizten Gemengelage nicht jede polizeiliche Maßnahme mit dem feinen Florett ausgefochten werden kann, ist sicher kritikwürdig, andererseits aber auch nachvollziehbar.
 Die Gewaltspirale, das bleibt festzuhalten, haben die Chaoten aller 
Coleur, vor allem aber aus dem linksradikalen Spektrum in Gang gesetzt. 
Dass dabei sogar in Kauf genommen wurde, friedliche Demonstranten, die 
gegen den Aufmarsch der Rechtsextremen protestierten, zu verletzen, 
spricht Bände über die kriminelle Energie des schwarzen Blocks. Höchste 
Zeit, dass sich darüber alle im Klaren sind. Wer jetzt noch verniedlicht
 oder verharmlost, ist mitverantwortlich dafür, dass auf die Stadt der 
Friedlichen Revolution ein Schatten der Gewalt fällt, der am Ende zur 
Belastung für alle wird.
 a.boehmer@lvz.de
Autonome klagen über "Entsolidarisierung"
Schon Mitte August, mehr als fünf Wochen vor der rechtsextremen Demo vom Sonnabend, mobilisierten Teile der linken Szene unter der Überschrift "Handreichung für einen schönen 26. September". Mit Plakaten und auf dem Internetportal Indymedia warb eine "AG Eventmanagement" für "wohlweislich vollführtes Chaos", um "Bullenstrategien durchkreuzen" zu können. Gestern meldeten sich die Verfasser erneut via Indymedia zu Wort, diesmal unter der Überschrift "Anmerkungen zu einem halbschönen 26.09.". Darin bezeichnen sie "die massive Entsolidarisierung aus dem vermeintlich eigenen Lager" als eigentlichen Skandal. Gemeint ist die Kritik von Pfarrer Christian Wolff und des Netzwerks No Legida an den gewaltsamen Ausschreitungen (Lesen Sie dazu auch die "Stimmen"). F. D.
Markttage-Start mit Hubschrauber-Lärm
Von Lucas Grothe
 Bunte Stände in der Innenstadt, doch weniger Besucher als sonst: Die 
39. Auflage der traditionellen Leipziger Markttage wurden zur Eröffnung 
am Sonnabend vom Demo-Geschehen in der City überschattet. Zwar 
beschränkten sich die Versammlungen auf den Bereich um den Augustus- und
 den Wilhelm-Leuschner-Platz, die Markthändler registrierten aber 
dennoch ein Kunden-Minus.
 "Die Stimmung ist zwar gut, aber wir haben leider noch wenig Zulauf", 
beschrieb Händlerin Margitta Kolbe am Samstagnachmittag ihre ersten 
Eindrücke. Die Verkäuferin von Kinderbekleidung ist noch bis zum 4. 
Oktober mit ihrem Stand auf dem Markt vertreten, kommt auch im Advent 
immer nach Leipzig. Die ständigen Demonstrationen in der Innenstadt 
seien unter den Händlern in diesem Jahr durchaus ein Thema, sagte sie. 
Alle seien dadurch in ihren Erwartungen "etwas verhalten". Denn: "Einige
 Besucher schrecken die Demos sicherlich ab." Auch würden Straßenbahnen 
teilweise nicht fahren, was den Markttage-Start ebenfalls 
beeinträchtige. 
Langos-Händler Fred Schmöhl registrierte am Eröffnungstag ebenfalls 
deutlich weniger Besucher als in vorangegangenen Jahren. Das beeinflusse
 natürlich das Geschäft, sagte er. Da er extra aus Mecklenburg angereist
 sei, wisse er nicht viel über die Demos in der Messestadt, die negative
 Stimmung unter den Händlern sei allerdings spürbar.  Einmal rannten am 
Samstag einige Polizisten kurz an seinem Stand vorbei. Schmöhl zuckte da
 nur mit den Schultern. 
Passant Herbert Seemann, der zur Markttage-Eröffnung mit dem Auto 
gekommen war, hatte sich die Kurz-Reise nach Leipzig vorab "gut 
überlegt, denn das ist alles schon sehr bedenklich, was hier seit Wochen
 läuft". Letztendlich war der Lützener dann doch froh, da zu sein. "Die 
Händler sind immer unheimlich nett, ich mag die Stimmung auf dem Markt",
 sagte er und fügte hinzu: "Dadurch, dass heute nicht so viel los ist, 
haben wir wenigstens genug Platz." 
Händlerin Karin Lamya bekam von den Demonstrationen selber gar nichts 
mit. Nervig aber sei der Polizei-Hubschrauber gewesen. "Den hattest du 
die ganze Zeit im Ohr", klagte sie.
"Einige Störer haben ständig provoziert"
 Auch bei dem Großeinsatz am Sonnabend war Leipzigs Polizeichef 
Bernd Merbitz selbst vor Ort, erlebte verbale Anfeindungen und tätliche 
Angriffe auf seine Beamten. 
  
Die Gewaltbereitschaft bei Demonstrationen nimmt offenbar immer 
weiter zu. Stellt das, was sich am Sonnabend ereignete, auch für Sie 
eine neue Qualität dar? 
Es ist schockierend und grenzwertig, mit welcher Brutalität da agiert wurde. Das waren die schwersten Auseinandersetzungen, die wir bei Demonstrationen in jüngster Zeit erleben mussten.
 Wie geht es den 13 verletzten Beamten?
 
 Nach meiner Kenntnis ist zum Glück keiner von ihnen schwer verletzt, 
obwohl einige durch Pflastersteine getroffen wurden. Einer erlitt durch 
Böller ein Knalltrauma. Zur Zahl der übrigen Verletzten liegen uns noch 
keine konkreten Zahlen vor. 
 Es war zu beobachten, dass einige Einsatzkräfte auch massiv gegen 
friedliche Gegendemonstranten durchgegriffen haben. Liegen bei den 
Beamten nach drei Demos in einer Woche die Nerven blank?
 
 Natürlich ist die Belastung außerordentlich hoch. Einige Störer haben 
es auch deshalb darauf angelegt und ständig provoziert. Wer aber einer 
Aufforderung zur Räumung nicht nachkommt, muss damit rechnen, dass 
Polizisten dies durchsetzen. Ich stehe hundertprozentig hinter unseren 
Beamten.
 Welche Konsequenzen muss es für die nächsten Demos geben?
 
 Die Frage, ob wir mehr Polizeikräfte bekommen, ist sicher zu 
diskutieren. Andernfalls müssen wir prüfen, ob wir noch in der Lage 
sind, das Versammlungsgeschehen abzusichern oder ob es auf stationäre 
Kundgebungen beschränkt werden muss. Alle Versammlungen zu verbieten, 
wäre aber der falsche Weg.
 Interview: Frank Döring
Stimmen
Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD): Hunderte haben am Samstag wieder friedlich gegen Rassismus und nationalistische Hetze in Leipzig demonstriert und einmal mehr klar gemacht, dass rechtsextremes Gedankengut in dieser Stadt keinen Platz hat. Mein Dank gilt auch der Polizei, die in den vergangenen Tagen gleich drei Mal gefordert war, um Demonstrationen abzusichern. Am Samstag aber gab es 13 Verletzte unter den Polizisten, weil Kriminelle aus dem augenscheinlich linken Spektrum Steine gezielt warfen. Dies ist aufs Schärfste zu verurteilen, und zwar von allen demokratischen Parteien. Ich bin sprachlos, wenn eine im Landtag vertretene Partei solche Gewalt als "uncool" zu verniedlichen versucht. Wir müssen hier ganz klar sagen: Weder ein brauner Mob ist in Leipzig willkommen noch ein schwarzer Block.
 Christian Wolff, emeritierter Pfarrer,   Organisator von 
Anti-Legida-Demos und am Sonnabend Zeuge eines Angriffs auf ein 
Polizeifahrzeug: Einen Stein in die Windschutzscheibe eines PKW zu 
werfen, ist ein mutwilliger, vorsätzlicher Angriff auch auf Menschen, 
die im Auto sitzen. Diejenigen, die dafür verantwortlich sind, gehören 
gefasst und in einem ordentlichen Verfahren bestraft. Leider aber hat 
die Polizei überhaupt nicht reagiert, was ich absolut nicht 
nachvollziehen kann. Aber das ist angesichts der Schwere der Straftat 
nebensächlich. Diejenigen, die die Pflastersteine geworfen haben, sollen
 wissen: Das hat mit Politik, auch mit dem Kampf gegen den 
Rechtsradikalismus und mit "Links" nichts, aber auch gar nichts zu tun. 
Das ist nur feige, dreist und - eine widerliche Straftat.
 Aktionsbündnis No Legida (via Facebook): Steine werfen, Scheiben der 
Polizeistation einschmeißen? Seriously? Da haben wir keinen Bock drauf. 
Weder auf Polizisten, noch auf Schlechtmenschen und auch nicht auf 
eigene Leute. Selbst die Kundgebung von "Leipzig nimmt Platz" wurde 
beworfen. Einer unserer Freunde liegt jetzt in der Notaufnahme. Viele 
andere sind durch die folgenden Polizeiaktionen verletzt worden, einfach
 nur weil sie dastanden. Das ist, neben allem anderen, vor allem 
unsolidarisch und zum jetzigen Zeitpunkt ein völlig falsches Signal.
