Der Behördenchef schmeißt hin - und die Kanzlerin schickt ihren Aufräumer ins Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Von Dieter Wonka
Berlin. Einmal im Jahr holt Frank-Jürgen Weise, ein Oberst der Reserve, seinen Tarnanzug aus dem Schrank. Dann geht er für ein bis zwei Wochen an die Front, etwa in Afghanistan. Nun bekommt Weise eine Mission, die womöglich noch viel komplizierter ist. Eine Uniform benötigt er dafür allerdings nicht. Weise, ehemals Chef der Bundesagentur für Arbeit, soll als Angela Merkels erster Reformer das überlastete und massiv kritisierte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu einer schlagkräftigen Behörde umbauen. Nach dem Rücktritt des bisherigen Amtschefs Manfred Schmidt soll nun Weise als Berater Raum für neues Denken schaffen.
Gestern überschlugen sich die Ereignisse rund um dieses Bundesamt. Der 
Präsident nahm aus persönlichen Gründen seinen Abschied - und schon 
wurde über größere politische Zusammenhängen spekuliert. Von einem 
"Bauernopfer" spricht Grünen-Chefin Simone Peter. Mit Schmidts Abgang 
wolle die Bundesregierung den in der Flüchtlingspolitik überfordert 
wirkenden Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) im Amt retten.
Das träge Regelwerk des BAMF hatte zuletzt die Ministerpräsidenten der 
Bundesländer auf die Palme gebracht. Viermal ist in den vergangenen 
Monaten in diversen Spitzengesprächen verabredet worden, dass 
Asylanträge schneller bearbeitet und neue Unterkünfte systematisch 
geschaffen werden müssen. Schmidt hatte zuletzt selbst eingeräumt, man 
habe die jüngste Antragswelle "unterschätzt". Sein Amt geht noch immer 
von rund 800000 Flüchtlingen in diesem Jahr aus, während die aktuellen 
Zahlen aus den Ländern auf mindestens 1 bis 1,2 Millionen schließen 
lassen. Aber handelt die Behörde wirklich frei und unabhängig? Die 
Regeln für seine Arbeit gebe der Bundesinnenminister vor, erklärte 
Schmidt.
Den Vorwurf, dass der Minister der eigentliche Bremsklotz sei, erheben 
sogar Parteifreunde de Maizières. Der Minister habe zwar schon im 
vergangenen Jahr auf eine große Flüchtlingswelle hingewiesen, aber seine
 Planungen nicht darauf ausgerichtet, lautet einer der zentralen 
Vorwürfe beispielsweise aus der Gruppe der Unions-Innenexperten.
Jetzt könnte der Berater ausbügeln, was der Innenminister bisher nicht 
hinbekommen hat. In seinem Hauptberuf ist Frank-Jürgen Weise ein 
gelernter Mann der Wirtschaft, außerdem ein Experte für die Verwaltung. 
Und er hat einen guten Draht zur Bundeskanzlerin. Sie hätte den 
amtierenden Chef der Bundesagentur für Arbeit vermutlich längst schon 
zum Staatssekretär, vielleicht sogar zum Minister gemacht, wäre da nicht
 Parteifreund de Maizière gewesen. Für den Innenminister, der sich auch 
in diesen Tagen der heftigen Flüchtlingsbewegung vor allem als erster 
Beamter seiner Kanzlerin versteht und nicht als Gestalter, dürfte eine 
schneidige Verwaltungsreform eine eher grausame Vorstellung sein. Die 
"Einhaltung der Regeln" müsse in jedem Fall gewährleistet sein, lautet 
schließlich eine der Maximen de Maizières. Die Totalrenovierung einer 
Behörde, wie sie Weise einst bei der Bundesanstalt für Arbeit 
erfolgreich durchexerziert hat, passt nur schwer mit des Ministers 
traditionellem Beamtendenken zusammen.
Die Kanzlerin hat sich nun, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsbewegung, 
auf Leute wie Weise besonnen. Im vertrauten Kreis von CDU/CSU-Politikern
 benannte Angela Merkel bereits den strategischen Reformer als ihren 
Mann. "Wir schaffen das!" Die Umsetzung dieses Merkel-Versprechens hängt
 auch davon ab, ob es schnell gelingen kann, den zähen 
Entscheidungsprozess beim Bundesamt drastisch zu beschleunigen.
Immerhin sei doch die Zahl der "Entscheider", die über einen Asylantrag 
zu befinden haben, zuletzt von 265 auf 550 gestiegen, ließ der 
Bundesinnenminister kürzlich erklären. Das sei doch "ein einmaliger 
Vorgang" bei einer Behörde, fügte er hinzu. Die Ministerpräsidenten der 
Länder sehen es ähnlich - und im Kanzleramt teilt man mehr und mehr 
diese Kritik. Den 550 Entscheidern sollen nun 2000 weitere folgen. 
Das haben Ministerpräsidenten und Parteipolitiker seit Monaten 
gefordert, mittlerweile beginnt langsam die Aufstockung. Zu langsam, zu 
zögerlich, zu planlos lautet die Kritik von Rainer Haseloff, dem 
christdemokratischen Regierungschef von Sachsen-Anhalt. Stephan Weil, 
sozialdemokratischer Regierungschef in Hannover, sieht es ähnlich.
Als der Bund beim jüngsten Flüchtlingsgipfel am Montag seine Liste mit 
40000 Notfall-Erstaufnahmeplätzen vorlegte, stellte sich heraus, dass 
viele der zugesagten "neuen" Plätze längst belegt und vergeben waren. 
Insgesamt festigte das den Eindruck, dass die Behörden, die für diese 
Panne verantwortlich sind, kräftig auf Vordermann gebracht werden 
müssen. Vielleicht war das der Anfang vom Ende des Behördenleiters 
Schmidt.
Auf den Innenminister warten unterdessen neue Kraftproben. Sein 
Ministerium hat einen 120-seitigen Gesetzentwurf zur Reform des Asyl- 
und Asylbewerberleistungsgesetzes entwickelt. Ziel ist es, schnellere 
Entscheidungen zu garantieren. Angestrebt wird eine Zeit von maximal 
drei Monaten, in der jeder Fall entschieden sein soll. Abschiebungen 
abgelehnter Asylbewerber sollen ebenfalls innerhalb von höchstens drei 
Monaten laufen, um Unterkunftsplätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen 
frei zu bekommen. Die Liste sicherer Herkunftsstaaten soll zudem 
erweitert werden, dies betrifft insbesondere die Staaten des südlichen 
Balkans. Asylbewerber, die EU-Staaten als Transitländer genutzt haben, 
um nach Deutschland zu kommen, sollen nach Möglichkeit keine 
finanziellen Leistungen mehr erhalten, sondern nur noch eine 
"Reisebeihilfe", um zurück ins Land ihrer Erst-Registrierung zu 
gelangen.
Genug politischer Sprengstoff ist in diesen Vorschlägen aus dem Hause de
 Maizières enthalten. Von einem "rechtswidrigen Hauruckverfahren" 
spricht Pro-Asyl-Geschäftsführer Günther Burkhardt. Ziel sei es, 
"Menschen quasi auszuhungern". Dabei weiß der Bundesinnenminister, dass 
er für seinen Gesetzesplan auch die Zustimmung der Grünen benötigt. 
"Einen Plan hat der Minister vielleicht, aber keine Idee", urteilt die 
Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt.
