Bau-Staatssekretär Florian Pronold über den Stadtentwicklungs-Bundeskongress und den Flüchtlingszustrom
Leipzig. Der massive Andrang von Flüchtlingen wird auch den 9. 
Bundeskongress Nationale Stadtentwicklung bestimmen, der von morgen bis 
zum Freitag Fachleute aus allen Bundesländern in der Leipziger 
Kongresshalle am Zoo zusammenbringt. Wir sprachen mit dem Staatssekretär
 für Bau und Stadtentwicklung Florian Pronold (SPD) über die anstehenden
 Konflikte. 
  
 Integration ist das Leitthema des Bundeskongresses - als Reaktion auf die vielen Flüchtlinge?
 Uns geht es um das Zusammenleben aller, die in einer Stadt wohnen. Aber
 es ist schon richtig, dass die Integration von Flüchtlingen nun eine 
ganz andere Größenordnung bekommt. Mit rund 1000 Teilnehmern ist dieser 
Bundeskongress europaweit einer der bedeutendsten zum Thema 
Stadtentwicklung. Also  genau der richtige Ort, um über die aktuellen 
Anforderungen zu diskutieren.
 Welche vor allem?
 Wir werden sehr deutlich machen, dass wir mehr sozialen Wohnungsbau in 
unserem Land brauchen. Zwar sind wir auf einem guten Pfad. Im letzten 
Jahr wurden 240000 Wohnungen neu gebaut. Aber wenn wir davon ausgehen, 
dass 40Prozent aller Flüchtlinge dauerhaft bleiben, dann wird das nicht 
ausreichen. Der Bedarf wird bei 350000 Wohnungen oder noch höher liegen.
 Der Anspruch auf bezahlbaren Wohnraum gilt schließlich nicht nur für 
Flüchtlinge, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger. Und das betrifft 
vor allem die Großstädte, denn in Metropolregionen werden die meisten 
hinziehen. Es geht außerdem um die Organisation moderner 
Verkehrsbeziehungen bei gleichzeitiger Lärmreduzierung, die 
Barrierefreiheit und die energetische Sanierung. Kurz gesagt: Um einen 
neuen Konsens für das innerstädtische Zusammenleben.
 Besteht angesichts der Riesennachfrage die Gefahr großer Vorstadt-Ghettos? 
 Es ist sehr wichtig, Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Wir wollen 
keine Ghetto-Siedlungen von morgen bauen. Zum Glück konnte das in 
Deutschland durch kluge Städtebauförderung bisher weitgehend vermieden 
werden. Für die Quartiere, in denen sich bauliche und soziale Probleme 
bündeln, haben wir das Programm Soziale Stadt aufgestockt. Statt 
betonierter Problembereiche brauchen wir eine lebendige, demokratische 
und beteiligungsorientierte Stadt, die darauf setzt, dass Wohnquartiere 
durchmischt sind und es bezahlbare Wohnungen auch in den Innenstädten 
gibt. Angesichts der aktuellen Vorzeichen werden wir das allein mit 
öffentlichem Geld nicht schaffen. Deshalb sollte privat finanzierter 
Sozialwohnungsbau steuerlich besser gefördert werden als bisher, 
beispielsweise durch zusätzliche Abschreibungsmöglichkeiten. Sonst 
werden überwiegend private Luxuswohnungen in der Innenstadt gebaut.
 Kann man Bauherren den Anteil der Sozialwohnungen denn vorschreiben?
 Einige Städte sind schon dazu übergegangen, bei größeren 
Neubauprojekten etwa ein Drittel des Bestandes an Sozialwohnungen 
vorzugeben. Das ist wichtig für Alleinerziehende oder Menschen, die hart
 arbeiten und wenig verdienen. Aber genauso für Flüchtlinge, die 
dauerhaft hier bleiben. Auch sie müssen in den Arbeits- und den 
Wohnungsmarkt integriert werden. Diese Vielfalt in der Wohnungsbelegung 
ist das Erfolgsgeheimnis deutscher Stadtentwicklungspolitik  und wir 
wollen es weiterführen.
 Sachsen hat durch ausländerfeindliche Proteste traurige Berühmtheit erlangt. Ist Integration hier besonders schwierig?
 Ich habe früher viel zum Thema Rechtsextremismus gearbeitet und glaube,
 dass man solche Einstellungsmuster nicht an Regionen festmachen kann. 
Das ist vollkommener Unsinn. Es darf aber nirgendwo der Eindruck 
entstehen, dass sich Stadtplaner nur noch um das Thema Flüchtlinge 
kümmern. Wir müssen alle anstehenden Probleme und Konflikte lösen. 
Leipzig ist ja in puncto Stadtentwicklung ein positives Beispiel. Hier 
wurde, wie auch in Dresden, die Trendwende von der Abwanderung zum 
Wachstum geschafft. Zuwanderung bietet nun auch anderen Regionen die 
Chance, neue Einwohner zu integrieren und leerstehende Wohnungen nicht 
mehr abzureißen. So können Stadt und Land auf Dauer besser im 
Gleichgewicht gehalten werden.
 Gab Leipzigs Aufschwung den Ausschlag, den Bundeskongress hier abzuhalten?
 Leipzig ist Vorbild für kluge Stadtentwicklung. Hier hat der frühere 
Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee, der ja auch in der Kommunalpolitik
 nicht ganz unbekannt ist, vor acht Jahren die Leipzig-Charta 
vorgestellt, die eine moderne Stadtentwicklungspolitik für Europa 
beschreibt. Darin sind viele der Herausforderungen schon benannt, vor 
denen wir heute noch stehen und die wir angehen. Wir brauchen keine 
reinen Schlafsiedlungen oder Bürokomplexe, wo um 19Uhr alle Lichter 
ausgehen. Die Menschen finden es viel charmanter, wenn in jedem 
Stadtteil beinah alles möglich ist. Daran knüpft die Leipzig-Charta an. 
In Sachsens größter Stadt hat sich enorm viel bewegt, und dafür kann man
 Leipzig durchaus ein Kompliment machen. Interview:  Winfried Mahr
