Länder überfordert mit Flüchtlingsstrom

Erstveröffentlicht: 
12.09.2015

Seehofer attackiert Merkel: Zusage an Syrer war ein Fehler / Kritik auch aus SPD-Lager

 

Von Kristina Dunz

 

Berlin. International wird Kanzlerin Angela Merkel für ihre Offenheit gegenüber syrischen Flüchtlingen gelobt, es ertönt Beifall, wenn sie Asylunterkünfte besucht. Doch aus den Bundesländern ertönt Kritik, und das immer heftiger. Am weitesten hat sich jetzt der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer vorgewagt.


Der Regierungschef aus München äußerte sich zu der Entscheidung der Bundesregierung, die in Ungarn ankommenden syrischen Flüchtlinge ohne dortige Registrierung, wie es laut Dublin-Abkommen erforderlich wäre, nach Deutschland zu lassen. "Das war ein Fehler, der uns noch lange beschäftigen wird. Ich sehe keine Möglichkeit, den Stöpsel wieder auf die Flasche zu kriegen", erklärte Seehofer dem "Spiegel". Wegen der Masse an Flüchtlingen, die nun nach Deutschland wollten, sieht der CSU-Vorsitzende erhebliche Schwierigkeiten: "Wir kommen bald in eine nicht mehr zu beherrschende Notlage." Nicht nur seine Kritik an Merkel sorgt für Aufsehen, Seehofer ging auch einen Schritt, der international Aufmerksamkeit erzeugen dürfte: Er lud den umstrittenen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban zur nächsten Klausurtagung der bayerischen CSU-Landtagsfraktion ein. Das ist ein diplomatischer Affront: Orban gilt derzeit als größter Gegenspieler des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und als Symbolfigur einer Politik der Abschottung.


In Berlin reagierte eine Regierungssprecherin gelassen auf die Seehofer-Kritik: Alle Parteichefs der Koalition hätten den Kurs Merkels in der Flüchtlingsfrage einmütig abgesegnet.


Aber Seehofer ist es nicht allein, der mit Merkels Offenheit gegenüber den Flüchtlingen hadert. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) ging zwar nicht so weit, Merkels Politik offen abzulehnen, doch sie übte Kritik an den Verfahren, da ja die Bundesländer für die Aufnahme der Flüchtlinge verantwortlich sind. "Die Kanzlerin hat damals aus humanitären Gründen richtig gehandelt", sagte Dreyer, "allerdings müssen wir daraus lernen, dass solche Zusagen nicht gehen ohne eine klare Verabredung mit den Ländern, die letztlich die Flüchtlinge aufnehmen."


Bei einer Schaltkonferenz der Innenministerien von Bund und Ländern am Donnerstag ist deutlich geworden, wie überfordert einige Länder mit der gegenwärtigen Situation sind. Laut "Spiegel" haben sieben der 16 Bundesländer erklärt, keine freien Betten für neue Flüchtlinge mehr zu haben - so Baden-Württemberg, Hessen und das von Dreyer regierte Rheinland-Pfalz.


Seit Freitag vergangener Woche sind rund 50000 Flüchtlinge in mehr als 500 Zügen nach Deutschland eingereist, wie die Bahn mitteilte. Bundespräsident Joachim Gauck rief gestern dazu auf, die Zuwanderer "unbürokratisch" aufzunehmen. Die erfolgreiche Bewältigung der Aufgabe, Flüchtlinge aufzunehmen, sei das beste Mittel gegen fremdenfeindliche Stimmungen. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat für dieses Wochenende 4000 Soldaten in "Rufbereitschaft" versetzt, damit sie die Behörden bei der Aufnahme von Flüchtlingen unterstützen können. Die Soldaten sollten "im Notfall anpacken können", sagte die Ministerin.


Während man in Deutschland in diesem Jahr mit rund 800000 Flüchtlingen rechnet, womöglich gar mehr, wollen die USA rund 10000 syrische Flüchtlinge aufnehmen. Allerdings wird in Amerika eine strenge Prüfung vorgeschaltet: Bis zu 18 Monate lang sollen sie vorher vom "Terrorismus-Screening-Center" des FBI unter die Lupe genommen werden.