MDR-Magazin: Fremdenfeindlichkeit hat im Osten eine lange Tradition / Historiker recherchiert rund 700 Vorfälle
Von Roland herold
 Leipzig. Eine der hartnäckigsten Legenden aus DDR-Zeiten lautet,
 dass es im Arbeiter- und Bauernstaat keine Fremdenfeindlichkeit gegeben
 habe. Der MDR hat einen Fall nun neu aufgerollt, der in beklemmender 
Weise an die jüngsten Bilder von Heidenau  oder auch Ebeleben erinnert. 
Und ganz offenbar war er kein Einzelfall.
 Am 12. August 1979 kommt es in der Diskothek "Saaletal" im 
sachsen-anhaltischen Merseburg (heute Saalekreis) zu einer 
Kneipenschlägerei zwischen Kubanern und Einheimischen. Worum es damals 
geht, lässt sich heute nicht mehr sagen. Danach aber beginnt eine 
regelrechte Hetzjagd auf die Kubaner. Ein Anwohner beobachtet, wie auf 
einer rund 100 Meter entfernten Brücke weiter geprügelt wird, nun auch 
mit Knüppeln, Metallstangen oder ähnlichem. In Todesangst springen die 
Kubaner in die Saale. Doch es ist noch nicht vorbei. Die Einheimischen 
sammeln Ziegelsteine auf und werfen sie den Flüchtenden hinterher. Drei 
Tage später wird die Leiche von Delfin Guerra (18) aus der Saale 
gezogen, am Tag darauf die von Andres Garcia (21). Die sichere 
Todesursache lässt sich nicht mehr ermitteln, weil die Leichen zu lange 
im sommerlich warmen Wasser gelegen haben. 
Kripo und Staatsanwaltschaft nehmen die Ermittlungen gegen fünf 
Verdächtige auf. Eine Zeugin gibt an, mit einer Weinflasche auf einen 
Kubaner geworfen zu haben, der "zeitweilig unter Wasser geriet". Doch 
die Akten werden rasch geschlossen. Partei- und Staatschef Erich 
Honecker, Innenminister Friedrich Dickel und Stasi-Chef Erich Mielke 
ziehen die Notbremse. Die Beziehungen zum Bruderstaat Kuba sollen nicht 
überschattet werden.
Kein Einzelfall, wie der Berliner Historiker Harry Waibel in Stasi-Akten
 recherchiert und im April im Gespräch mit  der Leipziger Volkszeitung 
veröffentlicht hat. Geschändete jüdische Friedhöfe, rassistische Hetze, 
brutale Gewalt gegen Ausländer. Bisher rund 700 belegbare Vorfälle, "in 
denen es mindestens zwölf Tote gegeben hat, die Verletzten sind nicht 
gezählt". Er schätzt, dass es Tausende gewesen sein müssen. Und in aller
 Regel erfolgten die Übergriffe spontan.
Einer der Hauptgründe war offenbar, dass Kubaner, Vietnamesen, 
Mosambikaner und Angolaner isoliert in Wohnheimen lebten. 
Unkontrollierte Begegnungen mit Einheimischen waren nicht erwünscht und 
meist sogar untersagt. Der einstige DDR-Kriminalist Bernd Wagner 
erinnert sich, dass es verpönt war, sich mit Ausländern sehen zu lassen 
oder gar einen Kaffee zu trinken. An dem Klischee "Ausländer sind 
kriminell" habe sich aber nichts geändert. Ob die Kubaner 1979 ermordet 
wurden, "müsste man heute noch feststellen", sagt Waibel. "Da Mord nicht
 verjährt, wäre es sicher nötig, zu bestimmen, kann man da juristisch 
heute noch vorgehen oder nicht." 
 Das Magazin "Fakt" berichtet heute ab  21.45 Uhr in der ARD von dem Vorfall.
