Rassistisch, menschenfeindlich, volksverhetzend: In sozialen Netzwerken ist der Ton rau - und mitunter strafbar
Von Dirk Schmaler
Die kleinen Schuhe, die nassen Haare, das Gesicht im Sand. Das Foto des toten syrischen Flüchtlingsjungen Aylan Kurdi an einem türkischen Strand hat Menschen auf der ganzen Welt berührt. Einem 26-Jährigen aus Berlin-Hellersdorf fiel zu dem Foto ein Satz ein, der es nun ebenfalls zu trauriger Berühmtheit gebracht hat. Er schrieb in einem Facebook-Eintrag zum Tod des Jungen: "Wir TRAUERN NICHT sondern wir FEIERN ES."
Fremdenfeindliche Hetze ist in sozialen Netzwerken wie Facebook längst 
keine Seltenheit mehr. Organisierte Gruppen nutzen die Plattformen für 
ihre Propaganda, aber auch Unzählige ohne Organisationen im Rücken 
fühlen sich am Computer offenbar derart unangreifbar, dass sie trotz 
Klarnamenzwang keine Hemmungen haben, menschenverachtende Kommentare zu 
veröffentlichen. Im Fall des Berliners hatte die Hetze im virtuellen 
Raum letztlich sehr reale Folgen: Nachdem Dutzende Strafanzeigen bei der
 Polizei eingegangen waren, stand diese am Wochenende vor seiner Tür, 
sie ermittelt nun wegen des Verdachts auf Verunglimpfung des Andenkens 
Verstorbener und Volksverhetzung.  
Allerdings ist die Verfolgung oft schwierig. "Wenn Inhalte bei Facebook 
volksverhetzend oder Aufrufe zur Gewalt sind, drohen zwar Geld- und 
Freiheitsstrafen", sagt Peter Matzneller, Geschäftsführer vom Institut 
für europäisches Medienrecht. Die Ermittlungen seien jedoch oft sehr 
schwierig. 
Zudem reagiert Facebook bisher nur äußerst zögerlich auf Hinweise von 
Nutzern, die problematische Kommentare melden. Zuletzt hatte sogar 
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) über die rassistischen Einträge 
bei Facebook geklagt - und darüber, dass der US-Konzern oft keinen Grund
 sieht, die Inhalte zu löschen. Zwar würden Fotos von nackten 
Körperteilen konsequent aus dem Netz genommen, auch wenn sie rechtlich 
nicht problematisch seien. Volksverhetzende Einträge hingegen würden 
auch dann durchgewunken, wenn Nutzer den Artikel als problematisch 
gemeldet hätten. Maas will Mitte des Monats bei einem Termin mit 
Facebook-Vertretern nach Lösungen suchen.
Viel hat er dabei allerdings rechtlich nicht in der Hand. Zwar ergeben 
sich etwa aus der europäischen E-Commerce-Richtlinie durchaus 
Handlungspflichten für Plattformen wie Facebook bei rechtswidrigen 
nutzergenerierten Inhalten, wenn der Betreiber Kenntnis davon erhalte, 
erklärt Medienrechtler Matzneller. "Eine rechtliche Durchsetzung wird 
aber erschwert, wenn sich außereuropäische Unternehmen auf den 
Standpunkt stellen, nicht an deutsche und europäische Standards gebunden
 zu sein." Ein ausstehendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu 
dieser Frage könnte in den nächsten Wochen etwas Aufschluss geben. 
Jan Philipp Albrecht, innen- und justizpolitischer Sprecher der Grünen 
im Europaparlament, fordert angesichts der zunehmenden Hetze in sozialen
 Netzwerken eine europäische Antwort. "Wir brauchen dringend EU-weit 
einheitliche klare Regeln zu der Frage, was auf Plattformen wie Facebook
 eine Grenzüberschreitung ist und was nicht", sagt er dem 
RedaktionsNetzwerk Deutschland, dem diese Zeitung angehört. Die vielen 
unterschiedlichen Gesetze machten es Facebook einfach, sich aus der 
Verantwortung zu ziehen und eigene Regeln aufzustellen. "Das kann nicht 
funktionieren, wenn Europa 28 Vorstellungen davon hat, was bei Facebook 
erlaubt ist und was nicht."
Gleichzeitig fordert Albrecht neuartige europäische Ermittlungsteams, 
die die Strafverfolgung in sozialen Netzwerken wie Facebook effektiv 
aufnehmen. "Wir brauchen eine eigene Abteilung bei Europol, die in 
Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden die Foren systematisch 
durchsucht und wirksame Strafverfolgung auch über Grenzen hinweg 
organisiert", sagt Albrecht. Eine solche Facebook-Polizei könne an das 
europäische Anti-Cyberkriminalitätszentrum in Den Haag angegliedert 
werden.
Das eigentliche Problem allerdings, meint der Grünen-Politiker, sei 
nicht mit dem Strafgesetz lösbar. "Man hat zugelassen, dass 
menschenfeindliche Positionen wieder salonfähig sind. Dagegen müssen wir
 arbeiten." 
