Bundespolizeidirektion Pirna: 2015 über 3000 illegale Migranten registriert und 200 Schleuser festgenommen
Von Jörg Schurig
 Pirna/Breitenau. Der Funkspruch kommt gegen 1.30 Uhr. An einer 
Tankstelle in Pirna (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) sind 
urplötzlich Menschen aufgetaucht, suchen dort vor einem Gewitterregen 
Schutz. Der Nachtdienst der Tankstelle hat das gemeldet. Den 
Bundespolizisten Patrick Thomas und Torsten Bastian ist sofort klar: Das
 können nur Flüchtlinge sein. Dass sie im Stadtgebiet von Pirna 
ausgesetzt worden sind, passt zu einem Muster. Schleuser wollen in der 
Regel nur kurz die Autobahn17 (Prag-Dresden) verlassen. Sie fahren auf 
dem Autobahnzubringer nach Pirna und setzen ihre Passagiere auf der 
Straße ab, manchmal sogar auf der Autobahn.
 Bastian und Thomas verlassen ihren Beobachtungspunkt an der A17, die 
zur sogenannten Balkanroute gehört. Im Regen geht es in Windeseile nach 
Pirna. Als die beiden Polizeihauptmeister an der Tankstelle eintreffen, 
sind Kollegen schon vor Ort. Drei Familien aus Syrien drängen sich eng 
aneinander, acht Kinder haben sie dabei. Alle wirken ausgehungert und 
erschöpft, aber auch glücklich. Ein junger Vater spricht etwas Englisch.
 Zwei der Familien seien aus Aleppo, eine aus der syrischen Stadt 
Kobane. Mehr ist nicht über ihr Schicksal zu erfahren.
Eine Beamtin kann den Blick von der Gruppe kaum abwenden: "Als Mutter 
bewegt mich das schon. Man hat sich aber auch daran gewöhnt." Dass die 
Betroffenen illegal nach Deutschland gekommen sind und damit deutsche 
Gesetze verletzt haben, ist jetzt zweitrangig. Zunächst geht es darum, 
sie in die Dienststelle der Bundespolizeiinspektion Berggießhübel zu 
bringen. Dort können sie etwas essen, sich duschen und auch in einem 
Feldbett schlafen. Vielleicht das erste Mal seit Tagen. Wenn später alle
 Personalien aufgenommen sind, kommen sie zur zentralen Erstaufnahme 
nach Chemnitz.
Auf der Rückfahrt zur A17 ärgert sich die Streife, dass sie den 
Schleuser nicht erwischt hat. "Die werfen die Leute einfach raus und 
überlassen sie ihrem Schicksal", sagt Thomas. Er weiß von Menschen, die 
ihr letztes Geld für die Flucht hergaben und sich sogar verschuldeten. 
Klar, auch die Schleuser seien letztlich nur "kleine Lichter". Man 
brauche aber ihre Aussagen, um an die Organisationen heranzukommen. Auch
 Bastian verspürt Wut im Bauch, wenn er an die Skrupellosigkeit denkt. 
"Mit dem Elend von Menschen wird Geld verdient."
Immer häufiger registriert die Bundespolizei "Großschleusungen", bei 
denen 30 Leute und mehr nach Deutschland gebracht werden. Oft geschieht 
das unter Bedingungen, die an Sklaventransporte vergangener Jahrhunderte
 erinnern. Da werden wie kürzlich 81 Menschen auf eine Ladefläche 
gepfercht, gefahren wird manchmal zwei Tage lang ohne Unterbrechung. 
Pausen für Toilette oder Essen sind nicht vorgesehen. Die Schleuser 
wollen möglichst schnell wieder zurück, Zwischenstopps wären ein 
zusätzliches Risiko.
Früher, sagt der 40-Jährige, seien die Kollegen vom Bundesgrenzschutz 
schon mal als "Menschenjäger" bezeichnet worden. "In den 1990er-Jahren 
kamen die Flüchtlinge zu Fuß über die grüne Grenze." Doch diese Zeiten 
seien lange vorbei. In den meisten Fällen werden Asylsuchende heute in 
Kleintransportern gebracht. Darauf richtet sich vor allem der Blick, 
wenn Thomas und Bastian mit ihrem Streifenwagen kurz hinter der 
tschechisch-deutschen Grenze in einer Zufahrt zur Autobahn stehen und in
 Sekundenschnelle entscheiden müssen, ob sie dem Fahrzeug folgen oder 
nicht.
Bis zum nächsten Parkplatz haben sie nur ein paar Kilometer lang Zeit, 
die Lage zu checken. Zunächst wird herangefahren, um das Kennzeichen zu 
prüfen. Ein Transporter, der mit abgedunkelten Scheiben fährt, ist schon
 mal verdächtig. Wenn Kennzeichnen früherer Ostblock-Staaten 
hinzukommen, ist man besonders wachsam. Aber auch Schweden sind als 
Schleuser schon aufgefallen. Dann soll es direkt nach Skandinavien 
gehen. Von "Edelschleusungen" spricht man hier dann, wenn gut gekleidete
 Flüchtlinge in ganz normalen Autos kommen.
Bis der Funkspruch zu den Syrern eintrifft, verläuft die Nachtschicht 
ruhig. Zuerst wird ein Fernbus kontrolliert, der aus Prag kommt. Der 
Fahrer berichtet, dass zuletzt immer ein paar Flüchtlinge an Bord waren.
 Allerdings habe er gar nicht die Befugnis, Pässe zu kontrollieren. 
Diesmal gibt es im Bus keinen "Treffer". Die Bundespolizei wünscht gute 
Weiterfahrt. Später wird ein Kleinbus mit zehn Mongolen untersucht. Sie 
haben für Tschechien einen Aufenthaltstitel und wollen für eine Woche 
nach Paris. Eine Frau hat für ihr Baby das erforderliche Kärtchen mit 
dem Aufenthaltsstatus nicht dabei. Immerhin ist das Kind in ihrem Pass 
eingetragen. Breitenau ist in dieser Nacht international. Auch 
Portugiesen, Türken, Bulgaren oder eine Gruppe deutscher Studenten 
werden kontrolliert.
Für Thomas und Bastian ist das Alltagsgeschäft. Nur wenn Schleusungen 
aufgedeckt werden, wächst der Stress- pegel. "Das geht einem schon an 
die Nieren", sagt Bastian. "Wenn man alles an sich heranlässt, geht man 
kaputt", fügt Thomas hinzu. Nach zwei, drei "Großaufgriffen" sei man 
psychisch schon ziemlich fertig. Jeder müsse das für sich selbst 
verarbeiten. "Man muss trennen zwischen Beruf und Familie.
Wenn sich die beiden Bundespolizisten einem Fahrzeug nähern, bleibt auch
 für sie ein gewisses Restrisiko. Hundertprozentig lässt sich nicht 
vorhersehen, wie die Betroffenen reagieren. Schusssichere Weste, 
Pistole, Schlagstock, Reizgas und Handschellen gehören deshalb zur 
Ausrüstung. Bundespolizist Stefan Ehrlich, im Revier Breitenau für 
Öffentlichkeitsarbeit zuständig, hat aber gerade bei Flüchtlingen die 
Erfahrung gemacht, dass sie erleichtert auf das Auftauchen der 
Bundespolizei reagieren. "Die sind froh, dass sie da sind. Aggressionen 
gibt es im Grunde gar nicht", sagt Ehrlich.
Die Bundespolizeidirektion Pirna hat 2015 schon mehr als 3000 illegale 
Migranten registriert und über 200 Schleuser festgenommen. Damit sei 
bereits jetzt annähernd das Niveau des gesamten Vorjahres erreicht, sagt
 Sprecher Bernd Förster. Für eine Schleusung müsse ein Flüchtling in der
 Regel gut 500 Euro je Grenze zahlen. Auf diese Weise kämen mehrere 
Tausend Euro zusammen. "Je mehr Geld sie haben, desto schneller kommen 
sie voran", sagt Bastian. Auch alleinreisende Kinder und Jugendliche 
sind unterwegs: "Eltern verschulden sich, um ihren Kindern eine bessere 
Zukunft zu ermöglichen."
Zweieinhalb Stunden vor Ende der Nachtschicht fischen Thomas und Bastian
 noch einen Fernbus von Wien nach Berlin heraus. Drei der Insassen 
können die Fahrt nicht fortsetzen. Eine junge Frau aus Sarajevo hat 
keine gültigen Papiere mehr und ist im zentralen Erfassungssystem mit 
einem Kreditkartenbetrug vermerkt. Zwei Männern aus Serbien und Albanien
 ist bereits in Italien und Ungarn die Einreise in den Schengen-Raum 
untersagt worden. Den Rest ihrer Schicht haben Thomas und Bastian nun 
mit Schreibkram zu tun. Dabei würden sie viel lieber Schleuser jagen.
