Spitzel gegen Linke wohl rechtswidrig

Erstveröffentlicht: 
26.08.2015

Polizei schickte Spion in Heidelberger Studentenszene – Richter sehen Einsatz skeptisch

Karlsruhe. (lsw) Neun Monate lang hat ein Polizeispitzel die Heidelberger Studentenszene ausspioniert. Und das offenbar rechtswidrig. Zu dieser Auffassung gelangte das Verwaltungsgericht Karlsruhe am Mittwoch nach einer mündlichen Verhandlung. Denn eine Gefahr für Recht und Ordnung ging von den Bespitzelten nicht aus.

 

Von Sandra Cartolano

 

Mittellange blonde Haare, Koteletten, sympathisches Gesicht: Mit einem Spion, wie man ihn sich vorstellt, hatte der angebliche Heidelberger Germanistikstudent „Simon Brenner“ auf den ersten Blick nichts gemein. Doch er war ein Polizeispitzel – im Einsatz unter Heidelberger Studenten.

Geklagt hatten sechs damalige Bekannte und Freunde von Brenner. Sie wollten erreichen, dass das Gericht den Einsatz rückwirkend als rechtswidrig einstuft. Dass Brenner ein Spion war, hatte keiner von ihnen vermutet. Das sei wirklich eine gruselige Geschichte, sagt Kläger Jasper M., der heute als Verleger arbeitet.

Demos und Flugblätter

Er habe nie etwas Verbotenes gemacht, beteuert der 29-Jährige, der 2010 in Heidelberg Politik und Philosophie studiert hatte. Seine Beteiligung an Demonstrationen und Flugblattaktionen könne auf keinen Fall rechtfertigen, dass er bis ins Privatleben hinein ausspioniert worden sei.

In der Einsatzanordnung der Polizei kam M. nicht vor, ganz anders als der siebte Kläger, Michael Dandl. Er war eine der vier Ziel- und Kontaktpersonen von Brenner, sollte also ausspioniert werden. Doch dafür konnte das Verwaltungsgericht am Mittwoch keinen eindeutigen Grund erkennen. Sie habe Probleme, eine konkrete Gefahr zu sehen, die von Dandl ausgegangen sein soll, sagte die Vorsitzende Richterin. Dass er Kontakt zu jemandem hatte, in dessen Keller Molotowcocktails gefunden worden waren, reiche nicht aus.

Geschwärzte Akten

Das Polizeipräsidium Mannheim, das im Prozess das Land Baden-Württemberg vertritt, begründete den Einsatz damit, politische Straftaten verhindern zu wollen. Es habe eine klare Gefährdungsprognose gegeben. Ein Anlass sei der Fund von Molotowcocktails bei einer Kontaktperson eines der Kläger im Kraichgau gewesen. Details wollte die Polizei auch auf Nachfrage des Gerichts nicht nennen. Und auch aus den Polizeiakten zum Spitzeleinsatz konnte es kaum etwas ableiten – die meisten Seiten waren zum Großteil geschwärzt, ein Teil der Akten lag gar nicht erst vor – aus polizeitaktischen Gründen, wie es hieß. Auch wenn es berechtigte Gründe dafür gebe, die Nichtvorlage der Akten gehe zulasten der Beklagten, sagte die Vorsitzende Richterin.

Wen genau Brenner ausspioniert und was er dabei herausgefunden hat, konnte das Gericht nicht klären. Es schenkte aber den sechs ehemaligen Studenten Glauben, die nicht in der Einsatzanordnung auftauchten, aber dennoch nach eigenen Angaben bis ins Private von Brenner ausgeforscht wurden. Die Kläger, die Brenner nach seiner Enttarnung zur Rede stellten, sagten aus, er habe zugegeben, auch Daten über sie gesammelt zu haben. Er habe Datensätze über seine Bekannten angelegt und sie alle zwei Wochen weitergegeben. Es sei um politische und soziale Kontakte gegangen. Sogar Wohnungsskizzen habe Brenner angefertigt. Die Polizei bestreitet dies.

Auch Eltern überwacht

Der Polizeispitzel habe von Hunderten Menschen im ganzen Bundesgebiet Daten gesammelt – nicht nur von Leuten aus dem linken Spektrum, auch von ganz normalen Studenten und sogar von Eltern, sagt Dandl. Seinen Auftraggebern sei es um die Aufhellung der gesamten linken Szene gegangen. Dandl vermutet, dass Brenner nur die Spitze des Eisbergs war. Anders als Freiburg oder Ulm habe Heidelberg 2010 gar nicht im Fokus der Ermittler gestanden, sagt er. Warum also einen Spitzel nach Heidelberg schicken, aber nicht nach Freiburg oder Ulm – oder auch Berlin oder Hamburg? Das spreche doch nur dafür, dass auch in anderen Universitätsstädten verdeckte Ermittler eingesetzt würden.

Einen endgültigen Beschluss fasste das Gericht am Mittwoch noch nicht. Dazu seien weitere Beratungen nötig, sagte ein Sprecher. Aber aller Voraussicht nach werde der Klage der ehemaligen Studenten stattgegeben.