Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt (62) über Extremismus und Ausländerfeindlichkeit
Dresden. Der Politologe Werner Patzelt rechnet angesichts hoher Flüchtlingszahlen mit steigender Ausländerfeindlichkeit in Deutschland. Mit Blick auf die jüngsten Ereignisse in Heidenau müsse man Schlimmes befürchten, sagte er. Im Interview spricht der 62-jährige Experte der TU Dresden über Ursachen und Versäumnisse der Politik.
Warum ist die Stimmung Flüchtlingen gegenüber in Sachsen besonders schlecht?
 
 Seit der Wiedervereinigung hat es in Sachsen einen starken rechten Rand
 gegeben, war auch die NPD stark. Und von Anfang an beachtete man 
bundesweit kritisch die rechtsradikale Szene in Sachsen. So gab es schon
 1991 Aufforderungen an Künstler, Bühnen im "rechtsradikalen Dresden" zu
 boykottieren. Auch der Pegida-Xenophobie- Komplex ist eine 
Erscheinungsform dieses rechten Randes. Und die sich in ihm 
wohlfühlenden Gewalttäter ziehen jetzt in Heidenau in besonders 
widerliche Schlachten. 
 Welche Ursachen gibt es für die besondere "Rechtslastigkeit" der 
Sachsen? Eine Spätfolge aus dem früheren "Tal der Ahnungslosen"? 
 
 Das sehe ich nicht so. Viele von denen, die auf der Straße gewalttätig 
werden, sind doch junge Leute, deren Prägung sich erst nach dem Ende der
 DDR vollzogen hat. Schon gar nichts halte ich vom rassistischen 
Argument, es seien "die Sachsen" nun einmal rechtslastig. Wir müssen da 
schon auf kulturelle, sozialstrukturelle und politische Zusammenhänge 
achten. Zu den letzteren gehört sicher, dass Pegida im vorigen Winter 
das Einwanderungsthema ins öffentliche Gespräch gebracht hat. Damals 
taten allerdings die meisten in Deutschland so, als ginge es dabei um 
ein rein eingebildetes Problem von wirren Dummköpfen. 
 Welche Folgen hatte das Ihrer Meinung nach? 
 
 Mit Fleiß und Lust hat man damals alle in die rechtsextreme Ecke 
gedrängt, die sich Sorgen um das Einwanderungsgeschehen machten. Kein 
Wunder, dass die über beides aufkommende Empörung dann mehr und mehr 
wirkliche Rechtsradikale anlockte. Inzwischen scheint mit der 
Einwanderungspolitik auch die NPD wieder ein nicht bloß eingebildetes 
Thema gefunden zu haben. Haben wir beim Zulassen dieser Entwicklung 
wirklich politisch genug gekonnt?  
 Trägt die Politik eine Mitschuld? 
 
 Ja. Einesteils waren viele Reaktionen auf Pegida als Symptom unserer 
Einwanderungsprobleme zwar gut gemeint, doch schlecht getan. Andernteils
 bemüht sich die für die rechte politische Spielfeldhälfte zuständige 
CDU seit langem zu wenig darum, die Gewinnbaren vom rechten Rand an eine
 vernünftige Partei zu binden. Zunächst hat sie der NPD freien Raum 
gelassen, später der AfD. Und so kam es, dass viele den Rechtsradikalen 
überlassen wurden, die zwischen der CDU und dem rechten Rand auf der 
Kippe standen. 
 Bis Jahresende kommen noch mehr Flüchtlinge nach Sachsen als bislang
 bereits gekommen sind. Muss man angesichts der Ereignisse in Heidenau 
noch Schlimmes befürchten? 
 
 Ja, leider - und zwar nicht nur in Sachsen. Innerhalb der ohnehin im 
Vergleich zu Westdeutschland größeren Rechtsneigung in den neuen 
Bundesländern kommt hier außerdem hinzu: Wegen seiner Bevölkerungszahl 
und Wirtschaftskraft muss Sachsen nach dem Königsteiner Schlüssel mehr 
Flüchtlinge aufnehmen als manch anderes ostdeutsches Bundesland, somit 
auch mehr Unterkünfte bereitstellen. Das aber vervielfacht die 
Angriffsmöglichkeiten für kriminelle Rechtsradikale. Entwarnung wird 
also noch lange nicht zu geben sein. Interview:  Jörg Schurig 
