Von Andreas Debski und Jürgen kochinke Dresden. Schon seit vielen Monaten zeichnet sich ab, dass Asyl das Thema des Jahres sein wird. Steigende Flüchtlings-Zahlen, übervolle Asylbewerberheime sowie Demos und Proteste halten die CDU/SPD-Staatsregierung in Atem. So werden nach neuesten Prognosen in diesem Jahr 40700 Asylbewerber nach Sachsen kommen, rund 10000 mehr als noch vor einem Monat prognostiziert. Verschärft wird die Problemlage durch hoffnungslos überforderte Behörden - von der Landesdirektion bis hin zum Innenressort. Jetzt hat Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU) reagiert und gemeinsam mit seinem Stellvertreter Martin Dulig (SPD) das längst überholte bisherige Konzept runderneuert.
Was ist neu am Plan?
  
 Um es kurz zu sagen: Nicht viel. Das Konzept, die Erstaufnahmeeinrich- 
tungen in den drei Großstädten Leipzig, Dresden und Chemnitz zu 
konzentrieren, liegt seit mehr als einem Jahr vor. Aus insgesamt 
geplanten 5000 dauerhaften Plätzen werden nun 10000, zudem sollen 
weitere 3500 als Reserve vorgehalten werden. Richtig neu ist, dass neben
 der Außenstelle Schneeberg (280 Plätze) nun eine weitere in Zwickau 
(700 Plätze) hinzukommen soll. Ansonsten wurden die Zahlen aufgrund der 
rasant steigenden Flüchtlingszahlen nach oben korrigiert: In Leipzig und
 Dresden sollen künftig jeweils 3600 Asylbewerber in Erstaufnahmen 
untergebracht werden, in Chemnitz 1800. Um Asylanträge künftig schneller
 bearbeiten zu können, sollen unter anderem pensionierte Beamte 
reaktiviert werden.
 Wird sich an der derzeitigen Situation schnell etwas ändern?
  
 Wohl kaum. Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU) wollte sich gestern 
wegen der komplizierten Baugesetzgebung und der schwierigen 
Flächenbeschaffung nicht festlegen, wann die neuen Unterkünfte zur 
Verfügung stehen werden - deshalb werden wohl für zwei bis drei Jahre 
weiterhin Interimsquartiere die neu ankommenden Flüchtlinge beherbergen 
müssen. Das heißt: Der Freistaat wird in dieser Zeit eigene Immobilien -
 wie Turnhallen - zur Unterbringung nutzen oder Gebäude - wie Wohnheime,
 Hotels oder ähnliches - anmieten. Und das heißt auch: Bis die 
dauerhaften Unterkünfte existieren, werden Flüchtlinge weiterhin über 
ganz Sachsen in Interims-Erstaufnahmen verteilt. Dabei dürfe es "keine 
Denkverbote" geben, machte Vize-Regierungschef Martin Dulig (SPD) klar. 
Deshalb kommt es jetzt vor allem auf ein deutlich besseres 
Krisenmanagement als zuletzt an.
 Was sagen Tillich und Dulig?
  
 Beiden geht es um zwei Dinge: Erstens sollen die Flüchtlinge 
menschenwürdig untergebracht werden, zweitens erwarten sie, dass jeder 
Sachse die Situation zur Kenntnis nimmt und die Flüchtlinge "in sein 
Herz einschließt", wie es Tillich formulierte, "Nächstenliebe ist nicht 
nur ein Wort". Deshalb müssten alle dafür sorgen, dass "die Flüchtlinge 
ordentlich behandelt werden, denn daran wird Deutschland, daran wird 
Sachsen gemessen". Dulig stellte fest: "Wir sind von den Zahlen 
überrollt worden und befinden uns in einer sehr ernsten Situation. Was 
heute beschlossen wird, kann nur eine Momentaufnahme sein, weil es keine
 Sicherheit gibt." Beiden ist wichtig: Bis Ende Oktober sollen die 
Zeltstädte der Vergangenheit angehören und alle Erstaufnahmen in Sachsen
 unter Dächern sein. 
 Was ist die heimliche Botschaft?
 
 Tillich plant eine Art konzertierte Aktion, wobei alle mitziehen 
sollen: CDU- sowie SPD-Ministerien, die beiden Koalitionsfraktionen und -
 bedingt - auch Kommunen und Landkreise. Dahinter steht ganz offenbar 
die reichlich späte Einsicht, dass die Herausforderung beim Thema so 
groß ist, dass die Regierung das Feld nicht dem Innenministerium 
überlassen kann. Eine Folge davon ist, dass Tillich damit den 
überforderten Ressortchef Markus Ulbig (CDU) ein Stück weit entmachtet. 
Eine zweite besteht darin, dass das Thema von nun an Chefsache ist - mit
 der Konsequenz, dass Tillich für Erfolg oder Misserfolg geradestehen 
muss. Ab jetzt ist er gewissermaßen zum Erfolg verdammt.
 Was erhalten Städte und Landkreise?
 
 Weil Asylbewerber nur maximal drei Monate in den 
Erstaufnahmeunterkünften des Freistaats bleiben dürfen und dann auf 
Städte und Landkreise verteilt werden müssen, werden die Gelder für die 
Kommunen noch einmal aufgestockt. In diesem und im nächsten Jahr werden 
pauschal jeweils 30 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt. 
"Wir werden Mehreinnahmen und nicht verbrauchte Mittel dafür verwenden",
 erklärte Tillich. Andere Aufgaben sollen nicht darunter leiden. Mit dem
 Geld sollen in den Kommunen die Unterbringung und die Betreuung 
unterstützt werden. Fraglich ist schon jetzt, ob diese insgesamt 60 
Millionen Euro ausreichen werden - sie sind wohl eher als Beruhigung für
 die aufgebrachten Bürgermeister und Landräte gedacht.
 Handelt es sich um ein tragfähiges Konzept?
 
 Nicht wirklich. Das liegt an zwei objektiven Gründen: Erstens können 
die Prognosen zu Flüchtlingszahlen alsbald wieder überholt sein, 
zweitens verdeutlichen die Beispiele in Dresden und Leipzig, wie lange 
es dauert, neue Erstaufnahmeunterkünfte zu errichten. Beide werden wohl 
frühestens Ende 2016 fertig sein. Die gerade eröffnete Einrichtung in 
der Leipziger Friederikenstraße (450 Plätze) erscheint unter diesen 
Vorzeichen wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Zusätzlich verschärft 
wird die Lage dadurch, dass die rund 2100 Plätze in den Zeltstädten in 
wenigen Monaten verschwinden sollen.
 Was sagen die Koalitionsfraktionen?
 
 Die stehen hinter dem Plan der Regierung. Zwar gibt es laut CDU-Frak- 
tionschef Frank Kupfer auch kritische Stimmen zum Thema in eigenen 
Reihen. Wie sein SPD-Pendant Dirk Panter, geht Kupfer aber davon aus, 
dass die Koali- tion den Ansatz generell mitträgt.
 Was meint die Opposition?
 
 Die gibt sich ausgesprochen moderat. "Wir begrüßen die angekündigte 
deut- liche Aufstockung der Erstaufnahmekapazitäten", sagte 
Linken-Fraktionschef Rico Gebhardt. Und der Grüne Valentin Lippmann 
meinte: "Die angekündigten Schritte der Staatsregierung gehen im 
Grundsatz in die richtige Richtung. Endlich ist eine mögliche Planung zu
 erkennen." Das ist wesentlich freundlicher als alles, was man sonst von
 Oppositions-Vertretern gehört hat. Gleichzeitig fordern Linke und Grüne
 eine Sonder- sitzung des Landtags zum Thema - und diese Initiative wird
 von CDU und SPD sogar begrüßt.
