Erstes Wochenende für Flüchtlinge im Interim Ernst-Grube-Halle / Ab Dienstag Sichtschutzwände zwischen den Liegen
VON ANGELIKA RAULIEN
 Radelnde Ausflügler entlang des Elsterflutbeckens. Vereinzelt ein 
neugieriger Blick gen Westeingang der Ernst-Grube-Halle auf dem 
Uni-Sportcampus an der Jahnallee, wo ein kleiner Trupp 
Securitas-Sicherheitsleute in gelb-schwarzen Westen den Eingang hütet: 
Eine wohltuende sonntägliche Vormittagsruhe lag da gestern über dem 
Areal. Nachdem zig Hilfskräfte am Freitag in einer Holterdipolter-Aktion
 die Ankunft erster Flüchtlinge aus dem Erstaufnahmelager Chemnitz - 
vorwiegend Männer, aber auch Frauen und Kinder - vorzubereiten hatten, 
hat sich die Hektik nunmehr gelegt. 
 Gleich im Hallen-Foyer stehen auf einer Bierzeltgarnitur Wasser, Saft 
und Tee bereit. Zeichenblockblätter, notdürftig per Hand auf Arabisch, 
Englisch und in einigen weiteren Sprachen beschrieben und an Säulen wie 
Glaswände geklebt, weisen den Ankömmlingen den Weg. "Zum 
Aufenthaltsraum" etwa. Im Aufenthaltsraum, der Grube-Halle selbst - ein 
Meer von 500 Liegen. Auch wenn eine Privatsphäre unter den Umständen 
gleich Null ist, wer eine Liege zugewiesen bekommen hat, hat seine paar 
Habseligkeiten säuberlich darunter oder daneben gepackt. Einige sitzen 
auf "ihrem Stück Bett", falten wie zum Zeitvertreib immer wieder ihre 
Sachen neu. Eine Hose, oder - wie beiläufig aufzuschnappen war - das 
eine gute Hemd, das man bei sich hat, um bei den Behörden in Deutschland
 ordentlich zu erscheinen.
 "Das macht man gern"
 "Momentan haben wir 110 Personen hier. Soweit man's überblicken kann, 
vor allem aus Pakistan, Syrien, dem Irak, Afghanistan und Eritrea", so 
Kevin Herrmann, der Abschnittsleiter der hiesigen Johanniter, die sich 
noch am späten Freitagnachmittag bereiterklärt hatten, die 
Interimsunterkunft vorerst zu betreiben. Der junge Mann sieht müde aus. 
Schon seit Samstag ist er hier vor Ort. "Das macht man gern", winkt 
Herrmann das Thema vom Tisch. "Wir sind ständig mit Chemnitz in Kontakt.
 In der Sekunde wissen wir zwar noch nicht, wann die nächsten 
Flüchtlinge kommen. Doch wir werden hier noch voll", blickt er auf die 
jetzt noch vielen  freien Liegen.
"Die Zusammenarbeit mit allen Kräften hier läuft beeindruckend gut", 
zollt derweil Securitas-Niederlassungschef Hardy Tennhardt Respekt. Auch
 seine Firma war Freitag quasi erst in letzter Minute noch gebeten 
worden, den Sicherheitsjob in der Grube-Halle zu machen. "Eine sensible 
Geschichte. Man braucht auf alle Fälle qualifiziertes und motiviertes 
Personal. Bin schon bisschen stolz, dass man da uns gefragt hat", gibt 
er zu erkennen. Und einer seiner Mitarbeiter, so im Vorbeigehen, wirft 
ein: "Es macht so viel aus, wenn du das hier mit einem freundlichen 
Lächeln machst. Das nehmen die Flüchtlinge so dankbar auf. Naja, und ein
 bisschen fühlen wir uns ja auch mit als Gastgeber!"
 Auf ein Wort schwer zu erwischen an diesem Vormittag ist Abdulaziz 
Bachouri. Der Arabistik-Student der Leipziger Universität - seine Heimat
 ist Syrien - ist seit den Morgenstunden vor Ort, gehört zu dem knappen 
Dutzend Dolmetschern, die ehrenamtlich für ein Minimum an Kommunikation 
sorgen. "Dass die Flüchtlinge kommen, habe ich in der Vorwoche hier 
erfahren - ich treibe sonst hier Sport. Klar habe ich gleich meine Hilfe
 angemeldet", so der 28-Jährige knapp - er ist anderweitig erneut 
gefragt. Am Nachmittag will er noch rund 30 Flüchtlinge rüber in die 
Arena zum Erstligisten-Handballspiel begleiten. Die Einladung gab es von
 den SC-DHfK- Handballern. "Finde das gut", so Bachouri noch fix. "Da 
kommen die Leute gleich mal raus hier und erleben schon mal ein kleines 
Stück Integration."
 "Fein, dass Malteser und ASB helfen"
 Während die Uhrzeiger gen Mittag steuern und die Essenversorgung des 
Studentenwerkes in der Halle anläuft, ist vor der Halle 
Johanniter-Regionalvorstand Wieland Keller auszumachen. Er diskutiert 
mit den Seinen ein Unverständnis. "Die Flüchtlinge hier müssen nun die 
Tage irgendwie noch mal zurück nach Chemnitz gebracht werden. Zur 
Registrierung. Behörden arbeiten halt übers Wochenende nicht". 
Kopfschütteln in der Runde. Ansonsten ist Keller froh, dass seine rund 
40 ehrenamtlichen Mitstreiter, seit Freitag im Dreischichtsystem und 
allesamt Katastrophenschutz-Profis, den Betrieb soweit in "geordnete 
Bahnen" lenken konnten. "Was schwer hinzukriegen ist. Fein, dass uns 
Malteser, ASB und unter anderem der Flüchtlingsrat unterstützen." Oder 
auch Johanniter-Landesverbandsarzt Detlef Brock, der auch gleich 
Freitagabend herbeigeeilt kam. Ein paar Fälle von Zahnschmerzen und 
einige kleine Akutsachen galt es bisher zu behandeln. An diesem Sonntag 
bieten zudem weitere Leipziger Mediziner ihre Hilfe an. Schlimmeren 
Erkrankungen müsse sich jedoch die Landesdirektion annehmen, sagt 
Keller. Mit letzterer will er sich am Montag überhaupt noch mal 
zusammensetzen. (Zumal die Johanniter zum Sonntagnachmittag aus Chemnitz
 vage Signale ereilen, am späten Abend sei mit weiteren Menschen zu 
rechnen). "Wir sind gern bereit, alle auch weiterhin zu betreuen. Nur - 
ehrenamtlich ist das auf Dauer nicht durchzuhalten", sagt Keller. 
 Als dann Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) eine 
Visite macht, meint sie: "Das hier ist keine optimale Lösung." Doch 
Obdachlosigkeit und Zeltstädte ließen sich so eben erst mal vermeiden. 
Köpping verspricht: "Ab Dienstag wird es hier zunächst zwischen den 
Liegen einen Sichtschutz geben. Wir drängen zudem darauf, dass die 
Menschen bald auf Kommunen, Landkreise und kreisfreie Städte verteilt 
werden."
Von Leipzigs Stadtverwaltung ist übers Wochenende niemand in der 
Grube-Halle zu entdecken. Ausführlich informiert sich am Sonntag indes 
beispielsweise Christine Clauß. "Das hier ist mein Wahlkreis und 
wichtig", so die Leipziger Landtagsabgeordnete (CDU). "Und weil das hier
 keine einmalige Situation bleiben wird, brauchen wir  - ganz schnell  -
 analog zum Asyllenkungsausschuss des Landes auch ein dezentrales, 
regionales Gremium, wo Land und Stadt zusammenarbeiten müssen", so ihr 
Fazit.
