Rechtsextremisten treten immer selbstbewusster öffentlich auf - in Dortmund gehen sie jetzt sogar mit einem eigenen "Stadtschutz" auf Patrouille
Von Carsten Bergmann und Thorsten Fuchs
Sie fühlen sich offenbar sehr stark. Selbstbewusst bewegen sich die Männer in den gelben T-Shirts durch die Dortmunder U-Bahn. "Stadtschutz" nennen sie sich, erklären, sie wollten "nur mal nach dem Rechten sehen", fragen Ältere, ob sie sich wirklich sicher fühlen, schüchtern Migranten ein. Sie wollten etwas "gegen die steigende Kriminalität" tun, brüsten sich die selbst ernannten Ordnungshüter. Doch die jungen Männer, die sich als Mischung aus besorgtem Kundenberater und strengem Wachmann inszenieren, sind Mitglieder der Partei "Die Rechte". Unverhohlen demonstrieren die Neonazis ihren Machtanspruch - so zeigen es die Bilder, die sie über Twitter und Facebook verbreiten.
Rechtsextremisten gehen in selbst gebastelten Uniformen Streife - ein 
PR-Coup, ähnlich wie die "Scharia-Polizei" von Islamisten in Wuppertal 
im vergangenen Jahr? Oder Zeichen eines neuen Selbstbewusstseins der 
rechten Szene? Seit einem Jahr schon gehen die Rechten in Dortmund auf 
Streife - neuerdings auch in Bussen und U-Bahnen. Die Stadt selbst will 
die Angelegenheit nicht zu hoch hängen. Den Neonazis gehe es mit 
"rechten Bürgerwehr" vor allem um öffentliche Aufmerksamkeit. 
Die Polizei dagegen nimmt die Rechtsextremisten ernst: Man verfolge 
deren Treiben genau, erklärt Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange. 
Die Polizei dulde keine Bürgerwehr - schon gar keine 
rechtsextremistische. Ein Mittel gegen den "Stadtschutz" hat jedoch auch
 die Polizei nicht. Mit einem Verbot waren die echten Ordnungshüter 
gescheitert. Ihr Argument, die Rechtsextremisten würden sich 
uniformieren, wiesen die Richter zurück. Die T-Shirts würden doch eher 
an Juggesellenabschiede erinnern, erklärten sie. Ernst nehmen klingt 
anders. Die Justiz scheint sich wenig Sorgen über die Rechtsextremisten 
zu machen - zu Unrecht, wie Experten meinen. 
Die Hemmschwelle, offen seine braune Gesinnung zu demonstrieren, sei 
jedenfalls massiv gesunken, beobachtet Hajo Funke, Politik-Professor am 
Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Ob bei den 
ausländerfeindlichen Demonstrationen vor Flüchtlingsheimen wie zuletzt 
im sächsischen Freital, bei Drohungen gegen Hoteliers, die Häuser an 
Asylbewerber vermieten wollen, oder bei den Einschüchterungen ihrer 
Gegner: Die Rechtsextremisten fühlen sich wieder salonfähig. 
In wenigen Städten lässt sich das so deutlich beobachten wie in Dortmund
 - einer der Hochburgen des Rechtsextremismus in Westdeutschland. Dort 
sitzen die Neonazis seit einem Jahr sogar im Stadtparlament.  Bei den 
Kommunalwahlen im Mai 2014 holte die Nazi-Partei "Die Rechte", 2012 
mitgegründet vom Hamburger Neonazi Christian Worch, einen Sitz. Es zog 
ein: Siegfried Borchardt, besser bekannt als "SS-Siggi", ein früherer 
Funktionär der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei. Wobei er in 
einem Interview einmal sagte, mit dem Namen "SS-Siggi" sei er nicht ganz
 glücklich - er würde lieber "SA-Siggi" heißen. Aus seinen 
Nazi-Überzeugungen machte er auch im Stadtrat nie ein Geheimnis, unter 
anderem verlangte er einmal eine Liste aller in Dortmund lebender Juden.
 Nach nur zwei Monaten legte Borchardt sein Mandat nieder - und machte 
den Weg für einen "jüngeren Kameraden" frei, wie es in der Diktion der 
"Rechten" hieß. Die Neonazis führten das Parlament ganz offen an der 
Nase herum. 
Warum gerade Dortmund, die Arbeiterstadt im sozialdemokratisch 
dominierten Ruhrgebiet? Arbeitslosigkeit und Abstiegsängste seien es 
jedenfalls nicht allein, die die Rechtsextremisten hier stark werden 
ließen. Lange Zeit, meinen Experten, wurde das Problem unterschätzt. 
"Die Politik hat das Problem anfangs nicht ernst genommen", sagte der 
Bochumer Sozialwissenschaftler Jan Schedler im Interview mit der "Zeit".
 Die Stadt, die Polizei, sie alle seien den Neonazis lange Zeit 
allenfalls halbherzig entgegengetreten. Wird sich schon erledigen, 
dachte man lange Zeit. Was sich als Irrtum erwies.
Ein ganzes Stadtviertel beanspruchen die Rechtsextremisten inzwischen 
für sich. Dorstfeld, eine unauffällige Mischung aus Bergbauarchitektur 
und Wohnblöcken, betrachten Neonazis als "national befreite Zone". 
Aktivisten sind gezielt dorthin gezogen, und wer sich dort mit seiner 
Kamera offen als Journalist zu erkennen gibt, macht schnell mit jungen 
kräftigen Männern Bekanntschaft, die nicht gerade Freunde von Recherchen
 über ihr Viertel sind. 
Im Februar dieses Jahres dann eine weitere Provokation: 
Rechtsextremisten veröffentlichten Todesanzeigen mit den Namen von 
Journalisten und anderen bekannten Kritikern. Einer von ihnen war Robert
 Rutkowski, Mitarbeiter im Büro von Landtagsabgeordneten der Piraten und
 einer von denen, die sich in Dortmund offen gegen rechts stellen. Sein 
Haus wurde mit Hakenkreuzen beschmiert, er wird auf der Straße offen 
bedroht ("Robert, was willst du hier? Keine Angst vor Angriffen?"), und 
im Frühjahr fielen sogar Schüsse auf das Büro, in dem er arbeitet. "Das 
hat schon eine neue Qualität", beklagt Rutkowski. Das sieht Dorothea 
Moesch ähnlich. Die SPD-Kommunalpolitikerin, Rollstuhlfahrerin, erhielt 
im Juli ebenfalls anonyme Anrufe, nachdem sie eine 
Pro-Flüchtlings-Demonstration angemeldet hatte. "Du Hexe, du wirst 
brennen", drohte jemand.
In Dortmund geht man inzwischen längst engagiert gegen die 
Rechtsextremisten vor. Die Stadt hat eine Koordinierungsstelle für 
Vielfalt und Toleranz gegründet, die Polizei hat eine eigene 
Ermittlungsgruppe gegen Rechtsextremismus eingerichtet. Doch die 
Neonazis versuchen zurzeit offenbar, Sorgen wegen der anschwellenden 
Flüchtlingsströme nach Deutschland für sich zu nutzen - und Anschluss an
 verbreitete ausländerfeindliche Stimmungen zu finden, wie sie etwa 
Pegida formulierte. 
Die rechtsextremistischen Gruppierungen wie die NPD, "Die Rechte" oder 
auch der "Dritte Weg" machen sich die Flüchtlingsdebatte zunutze, um ihr
 braunes Gedankengut zu verbreiten, und spielen mit den Ängsten der 
Bevölkerung. "Der Anlass ist die Herausforderung durch die 
Flüchtlingswelle. Die Rechtsextreme nutzte rassistische Bekundungen wie 
bei Pegida, um zu mobilisieren und zuzuspitzen", erklärt der 
Extremismusforscher Funke. Das erreiche eine völlig neue Qualität, sagt 
er und belegt es mit den dramatisch angestiegenen Zahlen von Angriffen 
auf Flüchtlingsunterkünfte. Der Berliner Forscher fürchtet sogar, dass 
es künftig noch weit mehr gewalttätige Übergriffe geben könnte: "Eine 
neue Terrorwelle ist nicht mehr ausgeschlossen."
Der selbst ernannte Dortmunder "Stadtschutz" geht solange anscheinend 
weiter auf "Streife". Auf einem Foto, das die "Rechten" im Netz 
verbreiteten, posieren zwei Mitglieder auf einem Autobahn-Parkplatz, von
 dem sie offenbar Schwule vertrieben haben. Es scheint sie niemand daran
 zu hindern, durchzusetzen, was sie unter Ordnung verstehen.
