Neuer, strenger Blick auf Asylbewerber vom Balkan

Erstveröffentlicht: 
28.07.2015

Flucht vom BalkanAuch Politiker der Grünen wollen Zuwanderer, die offensichtlich nicht politisch verfolgt sind, nicht mehr in Asylverfahren sehen

 

Von Norbert Mappes-Niediek und Isabel Guzmán

 

Stuttgart/Berlin. Am 13. März wird in Baden-Württemberg ein neuer Landtag gewählt. Wer sich dieser Tage in Stuttgart nach dem mutmaßlichen Hauptthema des Wahlkampfs erkundigt, bekommt vieles zu hören - aber unter der Hand nur "drei Dinge": "Flüchtlinge, Flüchtlinge und noch mal Flüchtlinge."


Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Deutschlands einziger grüner Regierungschef, hat erspürt, dass sich was dreht im Land. Immer mehr Deutsche fragen, warum die Politik, die genug mit syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen zu tun hat, tatenlos dem gleichzeitigen Zustrom von Asylbewerbern aus dem westlichen Balkan zusieht. Bei den Menschen vom Balkan liegt am Ende der monatelangen Asylverfahren die Quote derer, die als politisch verfolgt anerkannt werden, unter einem Prozent. Kretschmann ahnt: Wenn er von seinen baden-württembergischen Wählern, von denen viele sehr konservativ sind, als weltfremder Gutmensch einsortiert wird, ist er bald nicht mehr im Amt. Andererseits muss er seine Grünen im Auge behalten, von denen einige seit Langem den Verdacht haben, "der Kretsch" tendiere allzu weit nach rechts.


Was nun? Gestern war Kretschmann Gastgeber eines bundesweiten Gipfels zur Flüchtlingspolitik in Stuttgart. Zum Thema Balkan ließ er sich schon mal vorab etwas einfallen: einen Plan, mit dem er weder naiv erscheint noch fremdenfeindlich.


Es müsse, sagte Kretschmann der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", etwas geschehen "zur Minderung des Migrationsdrucks aus den Staaten des Westbalkans". Man brauche "ein maßgeschneidertes Einwanderungsangebot". Zum Beispiel könne man "Einwanderungskorridore für die hiesigen Mangelberufe, etwa für das Pflegepersonal, schaffen". Der Westbalkan gehöre zu Europa und müsse stabilisiert werden.


Und dann sagte Kretschmann etwas, das man bei den Grünen sonst nicht oft hört: Man werde die Beratung gezielt verstärken, damit abgelehnte Asylbewerber freiwillig zurückkehren. "Aber wir werden auch über Restriktionen reden, wenn abgelehnte Asylbewerber sich der Rückführung entziehen".


Kretschmann schließt zudem die Deklarierung von Albanien, Montenegro und dem Kosovo zu sogenannten sicheren Herkunftsstaaten nicht kategorisch aus. "Für sinnvolle Maßnahmen, für die sich eine Wirkung nachweisen lässt, bin ich immer offen." Kretschmann war es auch, der der Bundesregierung geholfen hatte, im Bundesrat die Kategorisierung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien als sichere Herkunftsstaaten durchzusetzen. Kanzleramtschef Peter Altmaier hatte den Deal mit dem Grünen aus Stuttgart ausgehandelt - und wurde dafür in der Union als kluger Schwarz-Grün-Stratege gelobt.


Seit Monaten ringen Bund und Länder um neue Konzepte im Umgang mit den Asylbewerbern vom Balkan. Fast alle werden zwar abgewiesen. Doch schon die Anerkennung von einem Prozent der Bewerber macht den generellen Ausschluss juristisch schwierig. Zudem hält sich die Beschleunigung der Verfahren bislang in Grenzen: Dauerten die ­Verfahren bei Bewerbern aus Albanien, Montenegro und dem Kosovo in 2014 durchschnittlich 7,1 Monate, so sind es derzeit noch 5,3 Monate. "Der Rückgang ist noch nicht ganz so deutlich, wie wir uns das vielleicht wünschen", heißt es im Bundesinnenministerium.


Ressortchef Thomas de Maizière (CDU) will erreichen, dass der Aufenthalt dieser Flüchtlinge innerhalb von drei Monaten beendet wird - und zwar direkt aus der Erstaufnahmeeinrichtung heraus. Auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), zeigte sich offen dafür, Lager für bestimmte Flüchtlinge einzurichten. Seit Anfang des Jahres wurden insgesamt 190000 Asylanträge in Deutschland gestellt, 78000 davon von Menschen aus Albanien, Montenegro und dem Kosovo.


Rund 200000 Asylanträge wurden 2014 in Deutschland registriert, für 2015 wird mehr als das Doppelte erwartet, rund 450000. Die meisten Menschen kommen aus dem Bürgerkriegsland Syrien. Es ist unstrittig, dass sie schutzbedürftig sind. Im ersten Halbjahr 2015 lagen aber der Kosovo, Albanien und Serbien auf den Plätzen zwei bis vier der wichtigsten Herkunftsländer.


Experten sehen die Asylanträge vom Balkan als eine Art Missverständnis. Es gehe sehr oft um junge Leute, die in Deutschland schlicht einen Job suchten. Oft hätten sie gute Deutsch- und EnglischkenntnissesowietechnischeQualifikationen. Allerdings seien sie mit dem Asylverfahren auf dem falschen Weg.