Mehr als 550.000 Asylanträge werden in diesem Jahr hierzulande erwartet. Um dem Ansturm Herr zu werden, hat Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretzschmann vorgeschlagen, mehr Antragsteller in den bevölkerungsärmeren Osten zu schicken. Sachsen-Anhalts Regierungschef Haseloff hat dafür überhaupt kein Verständnis. Mit dem Königsteiner Schlüssel existiere bereits ein gerechtes und gut funktionierendes Verteilsystem. Unterstützung erhält Haseloff auch von Experten und Bundesinnenminister de Maiziere.
Die Zahl der Asylanträge in Deutschland wächst unaufhaltsam. Wurden im vergangenen Jahr bereits mehr als 200.000 Anträge gestellt, so erwarten die Bundesländer für dieses Jahr gut 550.000. Und ein Ende des Migrantenstroms ist nicht in Sicht. Die mit der Unterbringung der Antragsteller betrauten Kommunen stöhnen bereits jetzt. Die Verteilung der Asylbewerber auf die einzelnen Bundesländer regelt der Königsteiner Schlüssel, der die Finanzierung gemeinsamer Angelegenheiten entsprechend des Steueraufkommens und der Bevölkerungszahl regelt. Doch vor allem in den bevölkerungs- und finanzstarken West-Bundesländern mit hoher Beschäftigung ist Wohnraum für die Unterbringung der Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge knapp.
Kretschmann will Flüchtlinge in Osten abschieben
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte deshalb vorgeschlagen, Asylbewerber bevorzugt in den entvölkerten Regionen des Ostens unterzubringen. Dafür steckte er reichlich Kritik ein. Am Mittwoch verteidigte der Grünen-Politiker dennoch seinen Vorstoß im ZDF-"Morgenmagazin". Der Vorschlag habe nichts mit Zynismus zu tun, erklärte Kretschmann. Die Erstaufnahmekapazitäten in Baden-Württemberg seien ausgeschöpft: "Wir haben Wohnungsmangel in den großen Städten." Es gehe deshalb darum, in der jetzigen Notlage auch dort Flüchtlinge unterzubringen, wo Wohnungen sind und sogar abgerissen werden. Das sei im Osten der Fall. Mit Blick auf mögliche Anschläge auf die Flüchtlingsunterkünfte riet Kretzschmann seinen ostdeutschen Amtskollegen, die Liegenschaften besser zu bewachen und die Bevölkerung besser über ihre humanitäre Verpflichtung aufzuklären.
Haseloff lehnt Vorschlag ab
In den ostdeutschen Ländern stößt 
Kretschmanns Vorschlag auf kein Verständnis. Sachsen-Anhalts 
Ministerpräsident Reiner Haseloff sagte "MDR aktuell", er halte die 
"Abschiebung von Asylbewerbern in den Osten" für keine gute Idee. "Wir 
haben den Königsteiner Schlüssel als gut funktionierendes und bewährtes 
Verteilsystem, das auch ein gutes Modell für Europa wäre. Das ist die 
Grundlage für unsere Arbeit. Und deswegen sag ich ganz klar: Dieser 
Vorschlag wird abgelehnt." 
Sachsen-Anhalt sei nicht in der Lage,
 zusätzliche Lasten zu tragen, die andere Bundesländer nicht mehr 
glauben, tragen zu können. Auch das Argument, Asylbewerber könnten in 
den unter Abwanderung leidenden Regionen Ostdeutschlands für einen 
Ausgleich sorgen, sieht Haseloff kritisch: "Dies kann keine Begründung 
sein, dass der Königsteiner Schlüssel nicht mehr angewendet werden soll.
 Schließlich braucht man für die Integration von Flüchtlingen auch eine 
Infrastruktur. Und da bieten sich auch gerade mittlere und größere 
Städte an." Zudem gebe es auch in Baden-Württemberg oder Bayern dünn 
besiedelte Gebiete.
Eine Reform des Königsteiner Schlüssels hatte
 nach Kretschmanns Vorstoß auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière 
bereits umgehend zurückgewiesen.
"Wir haben alle die gleichen Spielregeln. Und jede Landesregierung ist gut beraten, diese Spielregeln auch einzuhalten."
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff
"MDR aktuell"
Experte: Ökonomische Verhältnisse nicht unterschätzen
Auch Fachleute halten Kretschmanns Vorstoß für äußerst fraglich. Der 
Stadtsoziologe Jürgen Friedrichs von der Universität Köln sagte "MDR 
aktuell", dass bei der Auswahl von Unterbringungsmöglichkeiten für 
Flüchtlinge vor allem die ökonomischen Bedingungen eine Rolle spielen 
müssten. In den Regionen müsse es Arbeitsplätze geben, eine gute 
Infrastruktur und auch passende Standorte für die Unterkünfte. "Ein 
Wunschtraum für Kommunen und Städte ist natürlich, dass eine Stadt 
zwischen verschiedenen Standorten wählen kann", sagte Friedrich.
Auch
 die Wahl der Stadtviertel spielt aus Sicht des Soziologen eine große 
Rolle: "Der ideale Ort für die Unterbringung von Flüchtlingen ist 
sicherlich keine Neubausiedlung, sondern ein Gebiet innerhalb der Stadt 
in einem eher bürgerlichen Viertel mit einer guten Verkehrsanbindung und
 Möglichkeiten für Freizeitgestaltung und Unterbringung der Kinder."
