Bundestagspräsident Norbert Lammert rechnet mit dem Verhalten des Kaiserreichs vor 100 Jahren ab / Zehntausende wurden ermordet
Von Christoph Sator
Berlin. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat die deutschen Kolonialverbrechen im heutigen Namibia als "Völkermord" bezeichnet. Wer vom Genozid an den Armeniern 1915 im Osmanischen Reich spreche, der müsse auch die Verbrechen gegen die Bevölkerung in Deutsch-Südwestafrika so bezeichnen, schreibt Lammert in einem Beitrag für die "Zeit". "An den heutigen Maßstäben des Völkerrechts gemessen war die Niederschlagung des Herero-Aufstandes ein Völkermord."
Deutschland zählte das heutige Namibia von 1884 bis 1915 unter dem Namen
Deutsch-Südwestafrika zu seinen Kolonien. Als die Herero 1904 einen
Aufstand begannen und mehr als 100 Deutsche getötet wurden, ordnete
General Lothar von Trotha die Vernichtung des Stammes an. Die
Herero-Bevölkerung vor dem Massaker wurde auf 50000 bis 80000 geschätzt,
es überlebten nur rund 15000 Menschen. Zuletzt waren erneut Forderungen
an Deutschland laut geworden, die Vergehen als Völkermord anzuerkennen.
Der Linken-Politiker Niema Movassat forderte, die Bundesregierung und
Bundespräsident Joachim Gauck müssten "diesen Völkermord endlich
anerkennen und in aller Form Namibia und die Nachfahren der Opfer um
Entschuldigung bitten".
Lammert bezeichnete den Krieg der Deutschen gegen die Herero als einen
"Rassenkrieg". "Nicht nur den Kampfhandlungen, sondern auch Krankheiten
und dem gezielten Morden durch Verdursten- und Verhungernlassen fielen
Zehntausende Herero und Nama zum Opfer, andere starben in
Konzentrationslagern oder bei der Zwangsarbeit", schrieb der
CDU-Politiker. Lammert hatte im April anlässlich der Vertreibung und
Vernichtung der Armenier vor 100 Jahren im Osmanischen Reich ebenfalls
von einem "Völkermord" gesprochen. Auch Gauck schloss sich dieser
Bewertung zur Verärgerung der Türkei an. Die Regierung in Ankara lehnt
den Begriff Völkermord entschieden ab. Sie zweifelt auch die Opferzahl
an, die von armenischer Seite mit bis zu 1,5 Millionen Menschen
angegeben wird.
Gerade in diesen Tagen wird an die Vorkommnisse im heutigen Namibia
erinnert. Als die Südafrikaner zu Beginn des Ersten Weltkriegs in
Deutsch-Südwestafrika einmarschierten, stießen sie nur auf geringen
Widerstand. Die Kolonialtruppen des deutschen Kaiserreichs kapitulierten
schnell: Sie waren zahlenmäßig unterlegen und fast ohne Nahrung, als
sie am 9. Juli 1915, heute vor genau 100 Jahren, ihre Niederlage
einräumten. Auch in der Bevölkerung fanden sie keine Unterstützung. Vor
allem seit ihrem blutigen Niederschlagen des Herero-Aufstands einige
Jahre zuvor waren sie bei den schwarzen Bewohnern der Kolonie verhasst.
In Bremen erinnert das bislang bundesweit einzige Mahnmal an das
Massaker der Deutschen.