Er lernt fleißig Deutsch, findet Arbeit und spielt Fußball im Verein - mustergültiger kann Integration kaum laufen. Dennoch soll ein Flüchtling abgeschoben werden. Der tragische Fall zeigt exemplarisch das Dilemma der aktuellen Flüchtlingspolitik in Europa.
Eine Familie aus Müllheim nimmt einen Flüchtling aus Gambia bei sich 
auf. Der junge Mann lernt fleißig Deutsch, findet Arbeit und spielt 
Fußball im Verein – mustergültiger kann Integration kaum laufen. Dennoch
 soll er abgeschoben werden. Auch ein Brief der Bürgermeisterin vermag 
das Blatt nicht zu wenden. Mittlerweile hat der junge Mann Zuflucht im 
Kirchenasyl gefunden. Der tragische Fall zeigt exemplarisch das Dilemma 
der aktuellen Flüchtlingspolitik in Europa.
Die Nacht, als die Polizei vor ihrem Haus steht, sturmklingelt und durch
 die Fenster leuchtet, werden Christian Stolzenbach und ihr Mann Martin 
Klingler-Stolzenbach so schnell nicht vergessen. Zum Glück sind die 
Kinder nicht aufgewacht, sagt Christiane Stolzenbach rückblickend. "Was 
hätte ich ihnen erzählen sollen?" Als die Beamten anrücken, ist ihr 
Gast, ein 18 Jahre alter Gambier, nicht da. Die drohende Abschiebung hat
 den jungen Flüchtling so stark belastet, dass er wegen Suizidgefahr in 
einer Klinik behandelt werden musste. Seine Abwesenheit hatten die 
Stolzenbachs weitergegeben. Offenbar aber hatte die Nachricht die 
entsprechenden Stellen nicht rechtzeitig erreicht.
Weil ihr gambischer Mitbewohner schon einmal nicht Zuhause anzutreffen 
war, hatte das Regierungspräsidium in Karlsruhe sogar eine 
Hausdurchsuchung bei den Stolzenbachs beantragt. Das aber ging den 
Richtern am Verwaltungsgericht Freiburg offenbar zu weit. Der Antrag 
wurde abgewiesen, die Verunsicherung aber ist geblieben. "Das war so 
heftig, dass wir uns nicht getraut haben aufzumachen", erzählt 
Christiane Stolzenbach an dem Tag, an dem sie ihren gambischen 
Hausfreund endlich in Sicherheit wähnt. Nach dem Klinikaufenthalt floh 
der Gambier nach Freiburg ins Kirchenasyl. Mittlerweile hat auch ein 
zweiter Flüchtling aus Müllheim dort Zuflucht gefunden.
Was die Stolzenbachs nicht verstehen können: Warum wird ein junger Mann,
 der auf dem besten Weg der Integration ist, nach Italien 
zurückgeschickt? Die Situation sei für Helfer und Flüchtlinge sehr 
belastend, weiß Samuel Gebert, der sich im Müllheimer Helferkreis 
engagiert. 22 weitere Flüchtlinge hätten mittlerweile einen 
entsprechenden Bescheid erhalten. Viele von ihnen sind seit Monaten in 
Müllheim. Und könnten vermutlich auch noch länger bleiben, sofern sie 
den Stichtag für die Abschiebefrist überstehen. Für die meisten liegt 
der Termin im Juli – sechs Monate nachdem sie ihren Asylantrag gestellt 
haben.
Was die Sache verkompliziert: Bei vielen Flüchtlingen ist das 
Asylverfahren überhaupt noch nicht angelaufen, wenn sie nach Müllheim 
kommen. Der Grund: Die zentrale Erstaufnahmestelle in Karlsruhe ist 
überlastet. Und so werden Menschen mit ungeklärtem Status an die 
Kommunen weitergereicht – was übrigens aus Datenschutzgründen weder die 
aufnehmenden Gemeinden noch der zuständige Landkreis erfahren.
Oft vergehen Monate, bis die Sache endlich ins Laufen kommt. Monate des 
Wartens, in denen die Integration fortschreitet und Hoffnungen wachsen. 
Umso schmerzlicher ist es dann, wenn das mühsam aufgebaute neue Leben 
droht, mit einem Federstreich zunichte gemacht zu werden.
Die Rückführung nach Italien gilt als sicherer Weg in die 
Obdachlosigkeit. Vielen, die sich um die Integration der Flüchtlinge vor
 Ort bemühen, drängt sich zudem der Eindruck auf, dass nur nach Schema F
 entschieden wird. Christiane Stolzenbach hat einen Brief an die 
Härtefallkommission verfasst, auch Müllheims Bürgermeisterin Astrid 
Siemes-Knoblich hat sich für den jungen Mann eingesetzt. Umsonst. Die 
Antwort aus dem zuständigen Ministerium: Nach sechs Monaten sei noch 
niemand integriert. Dabei war auch dort bekannt, dass der junge Mann die
 Integrationsklasse besuchte und bereits einen Antrag auf 
Arbeitserlaubnis gestellt hatte.
Für Siemes-Knoblich zeigen dieser und andere Fälle deutlich das Dilemma 
der aktuellen Flüchtlingspolitik, aber auch der aktuellen Rechtslage. 
Für sie ist ganz klar: "In einem Rechtsstaat muss man sich an geltende 
Regeln halten." Bei der Frage, ob sie diese geltenden Regeln der 
aktuellen Situation aber für noch angemessen hält, kommt von ihr 
freilich ein deutliches Nein. "Wir lassen diese Menschen an den Früchten
 schnuppern, aber sie dürfen letztlich doch nicht zubeißen." Diese 
Situation führe zu großen menschlichen Tragödien, wie jetzt bei den 
Müllheimer Flüchtlingen immer wieder zu beobachten sei. "Das ist ganz, 
ganz bitter."
Die meisten der in Müllheim untergebrachten Flüchtlinge kommen aus 
Afrika. Sie sind extrem motiviert, sich hier eine neue Existenz 
aufzubauen. Siemes-Knoblich vergleicht diese Situation mit der 
Geschichte der Auswanderer, die aufgrund von Hungersnöten, 
wirtschaftlicher Misere und politischer Verfolgung im 18. Jahrhundert 
aus unserer Region nach Amerika aufgebrochen sind. Auch da gab es einen 
ungeheuren Willen, die Chance für einen Neuanfang zu nutzen.
Probleme sind das, das wissen natürlich auch die Rathauschefin und die 
Vertreter des Helferkreises, die weit über den Müllheimer, ja eigentlich
 sogar über den nationalen Horizont hinausgehen und letztlich in einer 
großen gesellschaftspolitischen Debatte auf europäischer Ebene münden 
müssten.
Um die aktuelle Situation etwas entschärfen zu können, wäre es laut 
Siemes-Knoblich aber schon einmal sehr hilfreich, wenn mehr Kapazitäten 
für die Erstaufnahme geschaffen würden – um so zu verhindern, dass 
Menschen weitergeschickt werden, bei denen noch unklar ist, ob sie 
überhaupt hier in Deutschland einen Asylantrag stellen können.
