Schengen-Ausnahmen: Sachsens Innenminister bleibt trotz Gegenwind bei seinen Forderungen
Von Andreas Debski und Jürgen Kochinke
 Dresden. Sachsen lässt es zur Machtprobe mit der Bundesregierung 
kommen: Kaum hatte Innenminister Markus Ulbig (CDU) gestern seine 
Forderung nach verstärkten Grenzkontrollen exklusiv in der Leipziger 
Volkszeitung öffentlich gemacht, reagierte die Bundesregierung - mit 
deutlicher Ablehnung und harscher Kritik. Es werde "keine Veränderung 
des Schengener Grenzkodex" angestrebt, hielt Regierungssprecher Steffen 
Seibert in Berlin entgegen und betonte, dass die vorübergehende 
Wiedereinführung von Grenzkontrollen an "außergewöhnliche Umstände und 
strenge Bedingungen" geknüpft sei. Und da die Kontrollen bis gestern 
liefen, seien die Berichte über die Folgen sowieso "nur vorläufiger 
Natur".
 Die bisherigen Zahlen sprechen allerdings eine klare Sprache. Im Umfeld
 des G7-Gipfels im bayerischen Elmau waren die Kontrollen seit dem 26. 
Mai verstärkt worden, um gewalttätige Gegner des Treffens zu stoppen. 
Fündig wurden die Polizisten zwar - aber nicht bei Gipfelgegnern. 
Deutschlandweit wurden allein bis zur Halbzeit 6600 Menschen wegen 
unerlaubter Einreise aufgegriffen, so das Bundespolizeipräsidium. 
Daneben gingen den Beamten etwa doppelt so viele Kriminelle wie unter 
normalen Umständen ins Netz. Auf Sachsen entfiel der größte Anteil (300 
von 450 Straftaten). Verstöße waren unter anderem Drogen- oder 
Waffenbesitz, Urkundenfälschung, Fahren ohne Fahrerlaubnis. Außerdem 
wurden 50 Personen, die zur Fahndung ausgeschrieben oder per Haftbefehl 
gesucht waren, festgenommen. Laut Ansicht der Gewerkschaft der Polizei 
(GdP) haben die Kontrollen "große Sicherheitslücken" aufgedeckt.
Kein Wunder, dass Ulbig von einem erfolgreichen Einsatz spricht. Nach 
den Erfahrungen rund um den G7-Gipfel könne man nicht einfach zur 
Tagesordnung  übergehen, hatte der Innenminister gegenüber der LVZ 
klargemacht - und stellt sich damit gegen die Bundesregierung, die ihn 
nun stoppen will. Zwar könne das Schengen-Abkommen nicht ausgehebelt 
werden, erklärte Ulbig, es müsse aber darüber nachgedacht werden, 
bestehende Ausnahmeregelungen zu erweitern. Deshalb wird Sachsen bei der
 Innenministerkonferenz in der nächsten Woche an seinen Plänen 
festhalten: Mit seinem bayerischen Amtskollegen Joachim Herrmann (CSU) 
wird Ulbig eine entsprechende Initiative starten. 
Die Stoßrichtung ist eindeutig: Ausnahmen von Schengen sind nur mit sehr
 triftigen Gründen möglich - etwa bei der Bedrohung der inneren 
Sicherheit, und darauf scheinen Sachsen und Bayern abzuzielen. "Durch 
stärkere Kontrollen steigen die Chancen, Straftäter zu fassen", trotzt 
Sachsens Innenminister dem Gegenwind aus Berlin. Das sieht die 
Handwerkskammer Dresden genauso. "Diesen Vorstoß kann das Handwerk nur 
befürworten", sagt Kammerpräsident Präsident Jörg Dittrich. Zahlreiche 
Betriebe seien in den vergangenen Jahren zum Teil mehrfach durch 
Kriminalität betroffen gewesen, so Dittrich. "40 Prozent der 
Handwerksbetriebe in Ostsachsen bewerten die Sicherheitslage als 
schlecht. In den Regionen in Grenznähe fallen die Bewertungen noch 
negativer aus."
Änderungen können allerdings nur durchgesetzt werden, wenn die 
Bundesregierung mitzieht - und dafür müssen sich die Innenminister im 
Grundsatz einig sein. Fest steht bereits: Thüringen und Niedersachsen 
sind von den Plänen aus Dresden und München nicht begeistert. Widerstand
 baut sich ebenfalls in der sächsischen Regierungskoalition auf: "Ich 
bin da skeptisch, wir sollten das Schengen-Abkommen nicht aushöhlen. Wir
 sollten nicht mit undifferenzierten Forderungen nach mehr Kontrollen 
Mauern in den Köpfen wieder hochziehen", fährt SPD-Innenexperte Albrecht
 Pallas dem CDU-Minister in die Parade.
Die sächsische Opposition kritisiert Ulbig heftig - und weist umgehend 
auf hausgemachte Personaldefizite hin. "Die Forderung nach mehr 
Grenzkontrollen ist nicht mehr als eine aufmerksamkeitsheischende 
Scheinlösung. Der Fahndungsdruck auf den Straßen in Sachsen wurde längst
 dem finanzpolitischen Paradigma des Personalabbaus geopfert", kontert 
der Linken-Innenexperte Enrico Stange. "Nun soll der muffig-konservative
 Rückgriff auf anti-europäische Kleinstaaterei ihn ersetzen. Statt 
dieses Irrwegs brauchen wir eine besser ausgebildete und ausgestattete 
Polizei." 
Auch Valentin Lippmann, der innenpolitische Sprecher der 
Grünen-Fraktion, geht Ulbig hart an: "Wer seit Jahren Stellen bei der 
Polizei abbaut, braucht nicht wieder das Lied von den Grenzkontrollen 
zur Bekämpfung der Kriminalität zu singen. Diese Diskussionen gehen 
komplett am Problem vorbei." Das Fazit von Lippmann ist eindeutig: "Mit 
der Forderung nach mehr Grenzkontrollen versucht die CDU, ihr eigenes 
Versagen in der Sicherheitspolitik zu kaschieren."
