Vor G7 doppelt so viele Kriminelle dingfest gemacht / Innenminister Ulbig: Brauchen weitere Ausnahmen
VON ANDREAS DEBSKI UND JÜRGEN KOCHINKE
 Dresden.  Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) 
drängt auf stärkere Grenzkontrollen. Nach den Erfahrungen rund um den 
G7-Gipfel könne man "nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen", 
sagte Ulbig der Leipziger Volkszeitung. Zwar könne das Schengen-Abkommen
 nicht ausgehebelt werden - es müsse aber darüber nachgedacht werden, 
bestehende Ausnahmeregelungen zu erweitern. Sachsen plant bei der 
bevorstehenden Innenministerkonferenz eine entsprechende gemeinsame 
Initiative mit Bayern. Vor 30 Jahren war das Schengen-Abkommen zur 
Reisefreiheit unterzeichnet worden.
 Hintergrund ist, dass zuletzt rund um den G7-Gipfel im oberbayerischen 
Elmau an den deutschen Grenzen vorübergehend die Kontrollen wieder 
eingeführt wurden. Damit sollten gewalttätige Demonstranten an der 
Einreise gehindert werden. Dabei gingen den Beamten etwa doppelt so 
viele Kriminelle ins Netz wie unter normalen Umständen. Dies nimmt Ulbig
 zum Anlass seiner Initiative. "Mit Hilfe dieser zeitlich begrenzten 
Ausnahme von der allgemeinen Schengen-Regelung konnten viele Straftäter 
dingfest gemacht werden", begründete der Innenminister seinen Vorstoß. 
"Wir werten das als Signal dafür, uns in Zukunft verstärkt diesem 
Problem zu widmen."
Das soll so rasch wie möglich geschehen. "Ich habe mich mit meinem 
bayerischen Ministerkollegen Joachim Herrmann von der CSU darauf 
geeinigt, das Thema bei der Innenministerkonferenz in Mainz auf die 
Tagesordnung zu setzen." Gleichzeitig warnt Ulbig vor Schnellschüssen: 
Bei den aktuellen Fahndungstreffern handele es sich nicht selten um 
sogenannte Kontrolldelikte. "Wenn wir allerdings kontinuierlich 
Kontrollen durchführen würden, hätten sich die Kriminellen irgendwann 
wieder darauf eingestellt." Damit stellt sich der Minister gegen 
weitergehende Forderungen aus der Sachsen-CDU. So forderte der Leipziger
 EU-Abgeordnete Hermann Winkler (CDU) die Wiedereinführung der 
Grenzkontrollen. Ähnlich äußerte sich auch der Bautzner 
CDU-Landtagsabgeordnete Marko Schiemann. Ulbig hält davon nichts. "Wir 
können Schengen nicht einfach aushebeln, sondern müssen nach 
Möglichkeiten suchen, die Regelung den aktuellen Problemlagen 
anzupassen." Ziel der Initiative sei es, eine Diskussion anzustoßen: Man
 müsse sich anschauen, welche Ausnahmen die Schengen-Regelung zulässt. 
Es sei zu prüfen, ob diese nur für G7-Gipfel gelten oder ob es weitere 
Möglichkeiten gebe. "Dahinter steht die Frage, ob man die 
Ausnahmemöglichkeit erweitern und etwas häufiger davon Gebrauch machen 
kann", so Ulbig.
Erst kürzlich hatte sich auch der Chef der Gewerkschaft der 
Bundespolizei, Jörg Radek, für dauerhaft verstärkte 
Stichproben-Kontrollen in einem 30-Kilometer-Radius an den deutschen 
Außengrenzen ausgesprochen. Der stellvertretende Vorsitzende der 
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thomas Strobl, äußerte sich ähnlich. 
Schlagbäume soll es demnach zwar nicht wieder geben. Doch mehr 
Kontrollen seien "durchaus sinnvoll", sagte Strobl. FDP-Chef Christian 
Lindner bezeichnete die Unionspläne allerdings als "mittelalterliche 
Kleinstaaterei". 
Wenn Bürger nachts auf Streife gehen
Angst vor Kriminalität: Bürgerwehren patrouillieren in Ostsachsen / Polizei warnt vor Selbstjustiz
Von Rolf Ullmann
 Rothenburg. Weil sich die Einwohner an den Grenzen zu Polen und 
Tschechien nicht mehr sicher fühlen, werden sie selbst aktiv - und 
patrouillieren in Ost- sachsen auf eigene Faust. 
 Es wird Nacht im kleinen Rothenburger Ortsteil Dunkelhäuser. Entlang 
der Straße reihen sich auf beiden Seiten Einfamilienhäuser. Ein weißer 
Kleintransporter mit polnischem Kennzeichen rollt vorbei. Nicht 
ungewöhnlich - ist die Grenze zu Polen doch nur wenige Kilometer von dem
 Ort in der Oberlausitz entfernt. Doch der Wagen fährt auffällig 
langsam. Grund genug für eine selbsternannte Bürgerwehr, aktiv zu 
werden. Hände greifen zum Handy. Nur wenige Minuten später erscheint 
eine neue Nachricht auf der Facebook-Seite "Gegen Diebstahl in 
Rothenburg". "Achtung ein weißer Transporter fährt auffällig langsam 
durch Dunkelhäuser", ist im Internet zu lesen.
Seit Anfang des Jahres gibt es die Seite. Innerhalb weniger Tage 
schlossen sich ihr mehr als 1000 Nutzer an. Inzwischen ist sie nicht 
mehr öffentlich, sondern nur noch als geschlossene Gruppe mit derzeit 
knapp 1100 Mitgliedern aktiv. Längst gehören ihr auch Menschen aus 
anderen ostsächsischen Orten wie Niesky, Kreba-Neudorf oder Trebus an. 
Ihr Motto, so steht es auf der Seite: "Grenzkriminalität stoppen!" Ins 
Leben gerufen haben die Bürgerinitiative Eric Roitsch und Henry 
Witschel. Weil sie und andere, so sagen sie, sich in Rothenburg nicht 
mehr sicher fühlen und etwas gegen die Grenzkriminalität tun wollen. Die
 Gruppe besteht aus einem festen Kern von etwa zehn Leuten. Regelmäßig 
gehen sie nachts mit zwei Autos "auf Streife". Dabei gebe es feste 
Regeln, so die Gründer: Keine Gewalt, keine ausländerfeindlichen Parolen
 - und niemals allein unterwegs sein.
Bestätigt sieht sich die Bürgerwehr durch Zahlen der Polizeidirektion in
 Görlitz: Gab es von November 2014 bis Mitte Januar in der Gegend 34 
Fälle von Eigentumskriminalität, wurden seit Januar bis Anfang Juni noch
 etwa 20 Fälle registriert, darunter vor allem Fahrraddiebstähle. 
"Inzwischen stellt Rothenburg in diesem Bereich keinen Schwerpunkt mehr 
dar", sagt Andrè Schäfer von der Polizeidirektion Görlitz. Von Beginn an
 arbeitet die Bürgerinitiative eng mit Polizei und Stadt zusammen. Nach 
Angaben des sächsischen Innenministeriums agieren die Bürgerwehren aber 
ohne rechtliche Grundlage. Zwar sei die Wachsamkeit der Bevölkerung 
wichtige Voraussetzung für polizeiliche Arbeit. Dennoch dürften die 
Bürgerwehren nicht die Grenze zur Selbstjustiz übertreten.
Das Landeskriminalamt hat keinen Überblick, wo überall in Sachsen Bürger
 Wache schieben. In Ostritz nahe der polnischen Grenze gibt es seit Ende
 2014 die Initiative "Sicheres Ostritz". In dem 2450-Seelen-Städtchen 
waren viele schon von Einbrüchen und Diebstählen betroffen. Hartmut 
Ehrentraut, der das Hotel Neisseblick direkt an der Grenze leitet, führt
 Statistik: Zwischen 2011 und 2015 zählte er 16 Einbrüche. Die drei 
Einbrüche in diesem Jahr hat Ehrentraut gar nicht erst zur Anzeige 
gebracht. "Solche Anzeigen haben gar keinen Zweck. Denn die Täter werden
 doch nicht gefunden."
Die Sorge kann Reinhard Gärtner vom Landesverband der Deutschen 
Polizeigewerkschaft verstehen - wenn er auch nichts von den Bürgerwehren
 hält. "Vor allem an der Grenze werden die Leute selbst aktiv. 
Personalabbau der letzten Jahre und Einsparungen rächen sich nun." 
Gerade in Ostsachsen seien die Einsatzgebiete groß und die Wege so weit,
 dass es mitunter lange dauere, bis die Polizisten etwa bei einem 
Einbruch vor Ort seien. "Das Problem lässt sich nur durch mehr Personal 
lösen", so Gärtner.
In den Städten und Gemeinden, die sich im grenznahen Bereich zu Polen 
befinden registrierte die Polizei 2013 insgesamt 13182 Straftaten - 
davon etwa zwei Drittel Eigentumsdelikte. 2014 lag die Zahl der 
Straftaten mit 14324 deutlich höher. Die Polizei vor Ort sieht die 
Tätigkeit der Bürgerwehr mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite 
begrüßt sie das Engagement, auf der anderen Seite sei bei der Bekämpfung
 der Kriminalität die Polizei verantwortlich. Der rechtliche Rahmen, in 
denen sich solche Bürgerinitiativen bewegen, wird durch das 
"Jedermannsrecht" geregelt. Demnach hat jeder Bürger das Recht, einen 
Tatverdächtigen so lange festzuhalten, bis die Polizei eintrifft. Wird 
der Täter beim Festhalten oder einer Verfolgung verletzt, kann sich der 
selbsternannte Aktivist strafbar machen. Zudem müssen auch Mitglieder 
der Bürgerwehren damit rechnen, angegriffen zu werden. Schäfer rät, 
abzuwägen, wie viel einem Rasenmäher oder Auto wert sind. "Sicher nicht 
die Gesundheit und schon gar nicht das eigene Leben." 
