70 Insassen der JVA Freiburg haben das Essen verweigert, weil in der Küche ein homosexueller Häftling arbeitete. Das hält der Strafvollzugsexperte Bernd Maelicke für außergewöhnlich. Im Gefängnis würde sowas eigentlich anders gelöst. Mit Prügel. Oder Vergewaltigung.
BZ: Das Justizministerium vermutet hinter der Aktion im
 Freiburger Gefängnis eine Machtdemonstration russlanddeutscher 
Insassen. Macht das Sinn für Sie?
Strafvollzugsexperte Bernd Maelicke: Homosexuelle 
stehen generell in der Knasthierarchie ganz unten, sie sind häufig Opfer
 von Gewalt. In dieser Logik kann es durchaus eine Machtdemonstration 
sein, nach dem Motto: "Wir lassen uns von einem Schwulen das Essen nicht
 bereiten." Homophobie gehört ja in Russland regelrecht zur politischen 
Linie. Um den Fall gut beurteilen zu können, ist aber noch zu wenig 
bekannt darüber.
BZ: Wie gewöhnlich oder außergewöhnlich sind solche Protestaktionen in Deutschland?
Maelicke: Wenn es wirklich eine Art Hungerstreik gab, 
ist es ein außergewöhnlicher Fall. Im Gefängnis gibt es eine eigene 
Subkultur, die ihre eigenen Machtstrukturen hat. Normalerweise werden 
solche Probleme innerhalb der Subkultur erledigt: Der betreffende 
Häftling wird bedroht, verprügelt oder vergewaltigt, bis er den Platz 
verlässt. Es ist äußerst unüblich, daraus eine Machtdemonstration 
gegenüber der Anstaltsleitung zu machen.
				
				
BZ: Hat ein Einzelner die Chance, sich gegen diese Subkultur zu wehren?
Maelicke: Nein. Sie müssen sich das im Gefängnis so 
vorstellen: Es gibt die Hochkultur, den Behandlungsvollzug, den Beamte, 
Werkstätten und Programme dominieren. Und die Subkultur, die Unterwelt: 
Sie ist in allen unkontrollierten Räumen im Gefängnis präsent – in den 
Werkstätten, Duschen, beim Hofgang – und häufig auch dominant.
BZ: Der Freiburger JVA-Leiter Harald Egerer sagt, dass 
seit einigen Jahren subkulturelle Netze erhebliche Probleme bereiten. 
Was hat sich da verändert?
Maelicke: Der Ausländeranteil ist gestiegen. Durch den 
Wegfall der Grenzen gibt es zahlreiche Gruppen in den Gefängnissen: 
Russen, Albaner, Schwarzafrikaner, nun kommen noch die Islamisten neu 
dazu. Die Auseinandersetzungen haben zugenommen. In diesem Kampf der 
Gruppen muss sich jeder Gefangene überlegen, wem er sich anschließt. Das
 hängt vom Delikt ab, von der ethnischen Zugehörigkeit, vom Alter.
BZ: Was haben die Leitungen der Haftanstalten für 
Möglichkeiten, dagegen vorzugehen? Anders gefragt: Wie erpressbar ist 
eine Anstaltsleitung durch die Häftlinge?
Maelicke: Eine gute Leitung ist nicht erpressbar. Wenn ihr negative Einflüsse der Subkultur bekannt werden, muss sie intervenieren.
BZ: Und eine Form der Intervention ist dann die Verlegung von Problemhäftlingen, wie im Freiburger Fall?
Maelicke: Ja, das wird besonders bei gefährlichen 
Häftlingen gemacht, die werden nach einem bundesweiten System verlegt, 
sobald sie beginnen, wieder ein Netzwerk zu entwickeln. Das ist ein 
bewährtes Instrument. Allerdings löst es das Problem nicht – Gruppen 
gibt es ja in der neuen Anstalt auch. Sonst gibt es noch Strafverfahren 
oder Disziplinarmaßnahmen wie Einzelunterbringung oder das Streichen von
 Privilegien.
BZ: Im Jugendgefängnis Adelsheim wird nach einer 
Massenschlägerei zwischen Häftlingen russischer und albanischer Herkunft
 der Hofbereich stärker überwacht und mit Zäunen abgeteilt. Sind das die
 neuen Realitäten im Strafvollzug?
Maelicke: Ich nenne das Notwehrmaßnahmen. Es hat nichts
 mit den intendierten Zielen zu tun, gerade im Jugendstrafvollzug. Aber 
es gibt wohl zurzeit keine andere Lösung.
BZ: Was könnte denn eine Lösung sein?
Maelicke: Kleinere Anstalten oder solche mit 
Dorfcharakter, die mehr Gruppenorientierung zulassen. Vor allem aber 
kann man Schädigungen durch die Subkultur verhindern, indem möglichst 
wenige Leute ins Gefängnis kommen – indem ambulante Programme und die 
Bewährungshilfe ausgebaut werden.
