Nur eine Ausnahme - oder typisch deutsch? Nach dem Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim steht ein ganzer Ort im In- und Ausland unter Generalverdacht. Von Klaus Wallbaum Tröglitz. Hundert Meter von dem Haus mit dem ausgebrannten Dachstuhl entfernt steht eine kleine Gruppe. Feierabendzeit, man plauscht am Gartenzaun. Ein Ehepaar Mitte 40, ein jüngerer Mann und ein älterer Herr mit Fahrrad, der hier das Wort führt. Leiter des nahen Betriebes für Industriepumpen sei er früher gewesen, sagt der Rentner. Seinen Namen aber will er nicht nennen. Die anderen auch nicht. "Man nennt uns ein Nazi-Dorf. Das alles wird hier langsam lästig", sagt der Mittvierziger. Der Herr mit dem Rad meint: "Sie stellen uns an den Pranger, halten uns für Braune. Dabei war hier früher doch nie was los."
Heute ist viel los in Tröglitz, vor allem hier an der Ecke 
Ernst-Thälmann-Straße/Karl-Marx-Straße, wo das vom Feuer teilweise 
zerstörte Flüchtlingswohnheim steht. Mit Flatterband ist die Stelle 
abgegrenzt, mehrere Polizeiwagen sind auf der Straße geparkt. 
Journalisten streifen auf der Suche nach Gesprächspartnern durchs Dorf. 
Ihre Geschichten werden in aller Welt gedruckt. 
Tröglitz in Sachsen-Anhalt, das steht plötzlich für ein neues 
Deutschland. Es ist kein schönes Deutschland. Für die amerikanische "New
 York Times" ist Tröglitz der Ort des "Triumphes der Neonazis", die den 
Bürgermeister verjagen - weil er sich nicht gegen die Aufnahme von 
Flüchtlingen wehrt. In Istanbul berichtet "Daily Sabah" täglich über die
 neuesten Wendungen. Die Leser des britischen "Independent" erfahren, 
dass "Neonazis" schleichend die Dörfer im Osten erobern und einem 
Landrat wegen seines Jas zum Asylheim die Köpfung androhen - unter 
"Weiteres zum Thema" finden sie noch einen Bericht zur Rekonstruktion 
des Führerbunkers.   
Der kleinen Gruppe an der Tröglitzer Straßenecke ist Aufmerksamkeit 
unangenehm. Der alte Herr mit dem Fahrrad sagt, "wir sind ein 
aufgeschlossenes Volk". Aber man wolle schon genau wissen, wer die 40 
Flüchtlinge seien, die nach den Plänen des Burgenlandkreises in dem 
2700-Einwohner-Ort heimisch werden sollen: "Anfangs hieß es, das seien 
Männer aus Kriegsgebieten. Dazu sage ich: Das sind keine Männer, sondern
 Pfeifen, die ihre Frauen und Kinder alleinlassen und fliehen." Die 
anderen nicken.
Der kleine Ort südlich von Leipzig, 1937 als Arbeitersiedlung für die 
damalige Braunkohle-Benzin AG gebaut, wird in diesem Frühjahr 2015 zum 
Symbol für den Hass auf Ausländer. Am 4. April haben Unbekannte hier 
einen Brandanschlag auf das noch unbewohnte Flüchtlingsheim verübt. 
"Tröglitz ist überall", hat Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner 
Haseloff (CDU) danach gesagt. Ein umstrittener Satz. Denn der Anschlag 
war der Gipfel einer fünf Monate währenden Eskalation. Vielerorts, aber 
eben nicht überall schlägt latente Fremdenfeindlichkeit in offene Gewalt
 um.
Es begann im Dezember, als erste Gerüchte im Dorf kursierten, man wolle 
Flüchtlinge hier unterbringen. Jeden Sonntag formierten sich 
Protestzüge. Eine offizielle Information der Kreisverwaltung gab es 
nicht. Der Ortsbürgermeister Markus Nierth versuchte zu vermitteln, 
fühlte sich aber alleingelassen. Als der Protestzug Anfang März direkt 
vor sein Haus führen sollte, gab er entnervt auf, trat zurück - und 
löste ein bundesweites Echo aus. Weicht die Politik vor dem "braunen 
Mob"? 
Die Menschen auf der Straße äußern sich unterschiedlich. Den 
Brandanschlag verurteilen alle, die Ansichten über die Flüchtlinge sind 
geteilt. "Das sind doch verfolgte Menschen, wir müssen denen helfen", 
sagen Eva-Maria und Rainer Böhland. Eine junge Frau mit Kinderwagen 
sieht es ganz anders: "Es war ja klar, dass das so weit kommt. Wir 
hätten eine Volksabstimmung machen sollen - dann wäre klar gewesen, dass
 keine Flüchtlingsunterkunft eingerichtet werden soll." Der Herr mit dem
 Fahrrad berichtet, man habe sich bei ihm erkundigt, ob Räume für 
Flüchtlinge frei sind: "Zwei Wohnungen stehen leer, aber ich will das 
nicht."
Es gibt Erklärungsversuche für das, was hinter der Ablehnung gegenüber 
den Fremden steckt. Eine Version hat Markus Nierth geliefert: 
Jahrzehntelang gab das Kohle-Hydrierwerk den Menschen Arbeit, eine 
Anlage, die aus Braunkohle Kraftstoff fertigte. In den Neunzigerjahren 
schloss das Werk, der Anteil der Arbeitslosen und Hilfsempfänger im Ort 
ist hoch. Braunkohlebergbau und Chemieindustrie waren zu DDR-Zeiten 
stolze Wirtschaftszweige. Geblieben ist davon fast nichts, viele 
Menschen sind in ihrer Ehre getroffen. Rührt daher eine Reserviertheit 
gegenüber allem, was von außen kommt?
Einen anderen Schluss zieht Jörg Pampel, der offen bekennt, bei den 
ersten Demonstrationen gegen die Flüchtlinge dabei gewesen zu sein. Eine
 "Schockstarre" habe nach dem Brandanschlag den Ort erfasst, meint er - 
Gegner wie Befürworter des Flüchtlingsheims. Dabei habe sich an den 
Asylbewerbern doch nur "eine allgemeine Unzufriedenheit mit den 
Politikern" kristallisiert. "Hätte man schon früh eine Bürgerversammlung
 gemacht und die Leute richtig informiert, dann wäre alles nicht so 
gekommen", sagt Pampel, der politisch weit rechts eingestellt ist. 
Eskaliert sei der Streit nur, weil der Landrat und der Bürgermeister 
nicht sagen wollten oder konnten, wie viele Flüchtlinge kommen.
Vielleicht gibt es noch eine Erklärung: Tröglitz ist eigentlich eine 
Insel der Idylle. Häufig hört man den Satz: "Das war hier immer so ein 
schöner, ruhiger Ort - und jetzt?" Hier stehen Mehrfamilienhäuser aus 
den Dreißigerjahren neben hübschen Bungalows. Alles ist gepflegt, die 
Vorgärten sind mit Blumen geschmückt. Nur zwei Kilometer weiter, in der 
einst prächtigen Residenzstadt Zeitz mit ihren rund 30000 Einwohnern, 
sind bedrückende Zeichen des Verfalls zu sehen. In der Innenstadt stehen
 große Häuser mit vernagelten Fenstern, der Putz bröckelt, es ist grau -
 teilweise wie zu düstersten DDR-Zeiten. Tröglitz ist da für viele 
Tröglitzer wohl auch so etwas wie ein Rückzugsort, ein bisschen heile 
Welt in einem schwierigen  Umfeld. 
Ursula Gilsa wohnt schräg gegenüber von dem Haus, in dem das Feuer 
gelegt wurde, sie ist "geschockt", wie sie sagt: "Es ist gut, dass jetzt
 so viel Polizei hier ist im Ort. Das gibt den Menschen das Gefühl, dass
 sie geschützt sind." Vor wem? Den Rechten? Den Fremden? 
Erschreckende Werte - auch im Westen
Studie zu ausländerfeindlichen Einstellungen: "Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen." Oder auch: "Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die Ausländer in ihre Heimatländer zurückschicken." Solche Sätze kommen offenbar vor allem in Sachsen-Anhalt gut an: 42,2 Prozent der Menschen dort stimmen diesen und anderen ausländerfeindlichen Thesen zu - mehr als in allen anderen Bundesländern, wie Wissenschaftler der Universität Leipzig ermittelt haben. Typisch Osten? Vorsicht!
Seit 2002 haben die Wissenschaftler für ihre "Mitte"-Studie im 
Zweijahresrhythmus insgesamt rund 20000 Menschen in Deutschland befragt,
 um zu erfahren, wie verbreitet rechtsextreme Einstellungen sind. Die 
Ergebnisse brechen mit manchem Klischee. So fanden die Forscher die 
zweitstärksten ausländerfeindlichen Tendenzen im Süden der Republik, in 
Bayern. Dort stimmt jeder Dritte (33,1 Prozent) ausländerfeindlichen 
Sätzen zu, jeder Achte (12,6 Prozent) sympathisiert sogar mit 
antisemitischen Einstellungen. Erst hinter Bayern rangieren bei den 
Vorbehalten gegenüber Menschen aus fremden Ländern die übrigen 
ostdeutschen Länder.
Ist es also nur folgerichtig, dass Sachsen-Anhalt nach dem Anschlag von 
Tröglitz besonders im Fokus steht? Führt eine verbreitete 
ausländerfeindliche Gesinnung auch zu besonders vielen Übergriffen? So 
einfach ist es anscheinend nicht, wie eine Übersicht der Attacken und 
Kundgebungen gegen Flüchtlinge zeigt. Im durchaus ausländerfeindlichen 
Bayern blieb es seit Jahresbeginn vergleichsweise ruhig, während es im 
relativ toleranten Nordrhein-Westfalen schon eine Vielzahl von 
Übergriffen gab. Andererseits belegen die Zahlen aber auch: In 
Ostdeutschland decken sich häufig Denken und Handeln - die Zahl der 
Übergriffe ist auffallend hoch.tof
