Leipzig. Ein Wohnblock in Leipzig-Wahren. Ordentlich aneinander gereiht stehen die Mülltonnen im Vorgarten. Der eingezäunte Garten hinter dem Haus schirmt sich mit einem kleinen Wall gegen den Lärm der benachbarten Georg-Schumann-Straße ab. Eine Schaukel wartet auf spielende Kinder. Das Flüchtlingsheim fügt sich ein in die beschauliche Pittlerstraße. Nichts erinnert an die Proteste bis zur Eröffnung vor einem Jahr.
Gitta Sauper kann sich noch gut an den Proteststurm erinnern, der damals
 über das Viertel hinweg zog. An die Demonstrationen und die scheinbar 
unversöhnlichen Meinungen. "Auch wir haben damals gegen das 
Asylbewerberheim unterschrieben", sagt die Seniorin. Sie und ihr Mann 
hätten Angst gehabt vor dem, was da auf sie zukommen sollte. Ganz warm 
geworden ist Gitta Sauper immer noch nicht mit dem Flüchtlingsheim. 
Aber: "Bei uns Anwohnern ist das ganze eigentlich kein Thema mehr."
 Tomas Röder sitzt in seinem Büro in der Pittlerstraße. Er ist 
Sozialarbeiter im Flüchtlingsheim. Und so etwas wie das Mädchen für 
alles. 36 Bewohnern bietet die Einrichtung maximal Platz. In den 
Zwei-Raum-Wohnungen leben fast ausschließlich Familien. Die Namen ihrer 
Herkunftsländer spiegeln die Krisenherde rund um Europa: von Syrien, 
Libanon und Libyen bis zum Kosovo und Tschetschenien.
 Zusammen 
mit einem Sicherheitsbediensteten und einem Hausmeister ist Röder, der 
beim privaten Dienstleister European Homecare angestellt ist, für die 
Unterkunft verantwortlich. Die meisten Flüchtlinge sind nur für kurze 
Zeit hier, bis eine dezentrale Unterbringung gefunden ist. In Röders 
Büro herrscht viel Betrieb. Oft geht es um Alltagsprobleme: Wie 
funktioniert der Geldautomat, wie die Mülltrennung? Aber Röder sucht 
auch nach Wohnungen für die Flüchtlinge.
 Einer von ihnen ist der
 25-jährige Amin Goddar aus dem Libanon. "Ich mag Deutschland gerne", 
sagt er auf Englisch und berichtet vom Chaos in seiner Heimat. Von 
Bombenanschlägen und Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen. Im 
Libanon hat Goddar Logistik studiert. Jetzt hofft er hier auf eine 
Anerkennung seines Abschlusses und auf ein besseres Leben als in seiner 
Heimat.
 Flüchtlingen wie Goddar bei den kleinen und großen 
Problemen beim derzeitigen Leben in Deutschland zu helfen - eigentlich 
schon viel Arbeit für Sozialarbeiter Röder. Doch er ist sich sehr wohl 
bewusst, welche Kontroversen es vor Eröffnung der Unterkunft gab - und 
sieht seine Aufgabe deshalb auch in der Kommunikation mit den Anwohnern 
in Wahren. "Wir müssen miteinander reden und Kritik auch offen 
ansprechen", betont er. Der Kontakt mit der Bürgerinitiative 
Leipzig-Wahren steht. Die Bürgerinitiative hatte sich vor knapp drei 
Jahren gegründet, kurz nachdem bekannt wurde, dass in der Pittlerstraße 
ein Asylbewerberheim entstehen soll. Es folgten die Proteste, die auch 
von der NPD instrumentalisiert wurden.
 Für Annett Baar, die 
Vorsitzende der Bürgerinitiative, ist das Vergangenheit. Auch sie lobt 
die Zusammenarbeit mit Röder. "Es ist eine ehrliche Kommunikation 
zwischen uns. Wenn es Probleme gibt, gehen wir direkt hin und sprechen 
das an. Das entschärft die Situationen", sagt sie. Ihr gehe es vor allem
 darum, Ängste und Sorgen der Anwohner abzubauen. Baar äußert aber auch 
Kritik. Probleme würden zwar angesprochen, doch: "Im Grunde leben wir 
nebeneinander her. Nicht nur Anwohner und Flüchtlinge. Wir bräuchten 
generell mehr Gemeinschaftsflächen. Dies würde die Integration fördern",
 so Baar.
 Um eine gute Integration bemüht sich in Wahren Pfarrer
 Michael Günz von der evangelischen Sophienkirchgemeinde. Gerade wegen 
des ganzen Wirbels vor der Eröffnung des Asylbewerberheimes engagiert er
 sich für eine Zusammenarbeit mit den Flüchtlingen. Regelmäßig lädt die 
Gemeinde sie ein. "Dabei ist schon viel entstanden. Die Flüchtlinge 
haben beim Kirchenputz geholfen und einen Spielplatz mit aufgebaut", 
bilanziert der Pfarrer. Er sieht inzwischen keine Probleme mehr rund um 
die Pittlerstraße. Zumindest nicht solche, die sich nicht lösen ließen. 
"Die Anwohner haben inzwischen mitbekommen, dass das einfach Menschen 
sind", sagt er. "Für mich ist das jetzt eine gute Willkommenskultur."
 Genau ein Jahr, nachdem die ersten Flüchtlinge in die Pittlerstraße 
gekommen sind, scheint sich die Situation also sichtlich beruhigt zu 
haben. Auch durch Legida habe sich die Stimmung nicht weiter aufgeheizt,
 so Sozialarbeiter Röder. "Wir sind hier in der Pittlerstraße angekommen
 und gehören dazu", sagt er. Und Nadine Krieger, die direkt neben der 
Unterkunft wohnt und in der Gegend immer mit ihrem Hund spazieren geht, 
blickt nur erstaunt bei der Frage nach Protesten. "Ich wohne erst seit 
ein paar Monaten hier. Aber Probleme gibt es da gar keine", sagt sie.
 In der Pittlerstraße haben sich die Wogen geglättet. Laut Annett Baar 
habe die Stadt inzwischen dazu gelernt. "Inzwischen wird früher und 
besser informiert", sagt sie und fügt noch hinzu: "Vor der Eröffnung der
 Unterkunft gab es hier mehr Kriminalität als jetzt".
 Und 
Anwohnerin Gitta Sauper sagt: "Für uns ältere Leute ist es immer 
schwierig, sich auf Neues einzustellen. Aber ich sehe auch: Bei den 
jungen Leuten ist das heute alles gar kein Problem mehr."
