Neuer Gesetzentwurf gießt bisherige Praxis des Verfassungsschutzes in Rechtsnormen
Von Dieter Wonka und Christiane Jacke
Berlin. Als Konsequenz aus dem Ermittlungsdesaster im Fall der rechten Terrorzelle NSU will die Bundesregierung die Zusammenarbeit der Verfassungsschützer in Bund und Ländern neu ordnen. Das Kabinett brachte dazu am Mittwoch eine lange diskutierte Reform auf den Weg.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll mehr Befugnisse bekommen und im
 Zweifel auch in den Ländern operativ eingreifen können. Für den Einsatz
 von V-Leuten werden im Gesetz erstmals Regeln festgelegt. Linke und 
Grüne zeigten sich unzufrieden mit den Plänen. Die 
Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff meldete rechtliche Bedenken 
an. Auch in den Ländern gibt es noch Gesprächsbedarf.
Die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern sollen nun per Gesetz 
zu einem intensiveren Informationsaustausch verpflichtet werden und 
eigene Erkenntnisse ausführlicher als bislang in eine gemeinsame 
Datenbank einspeisen. Für den Einsatz von V-Leuten - also Mitgliedern 
einer Szene, die dem Verfassungsschutz regelmäßig Informationen liefern -
 werden im Gesetz Regeln festgeschrieben. Wer etwa zu einer Haftstrafe 
ohne Bewährung verurteilt wurde, scheidet als Quelle für das Bundesamt 
aus. Es soll auch nicht so sein, dass V-Leute von ihrer 
Informantentätigkeit leben können. Geregelt wird auch, dass diese 
Quellen bei kleineren Delikten von einer Strafverfolgung verschont 
werden können - etwa beim Zeigen des Hitler-Grußes oder Verstößen gegen 
das Vermummungsverbot. Diese Vorschrift ist neu, denn bisher war die 
Strafverschonung nicht geregelt.
Nicht strafbar machen sich V-Leute laut Gesetzentwurf in Zukunft, wenn 
sie einer verbotenen Vereinigung angehören oder wenn sie Straftaten 
begehen, die nicht die Grundrechte anderer beeinträchtigen. Hintergrund 
ist die Überlegung, dass V-Leute bei manchen Delikten mitwirken müssen, 
wenn sie in dieser Gruppe nicht auffallen sollen. Allerdings muss alles 
verhältnismäßig sein, heißt es im Text.
Straftaten "von erheblicher Bedeutung" sollen den V-Leuten im Prinzip 
untersagt bleiben, aber auf Weisung des Behördenleiters zugestanden 
werden können. Diese Grundregeln, die im Grundsatz auch auf die Arbeit 
des Bundesnachrichtendienstes bei dessen Informationsgewinnung im 
Ausland anzuwenden sind, können nach Ansicht des Bundesinnenministers 
aber nicht alles abdecken. Man befinde sich zwangsläufig bei der 
vertraulichen Informationsgewinnung in einem Graubereich. Aber, so der 
Bundesinnenminister: "Verfassungsschutz ist eben mehr als eine Zentrale 
für politische Bildung." Der Entwurf sei ein "Wünsch-dir-was der 
Nachrichtendienste", kritisierte der Berliner Jurist Niko Härting. Er 
bemängelte insbesondere die erweiterte Rechtsgrundlage für eine 
umfassende Informationssammlung der Nachrichtendienste mit technischen 
Mitteln. "Der Datenstaubsauger des BND soll aufgerüstet werden. Die 
Abhörbefugnisse möchte man auf Cyber-Gefahren erstrecken", rügte 
Härting. Dies schaffe erhebliche neue Rechtsprobleme.
Thüringer Weg ohne Nachahmer
Kritik an Verzicht auf V-Leute: Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat die Entscheidung Thüringens kritisiert, künftig auf den Einsatz von V-Leuten beim Verfassungsschutz zu verzichten. "In der Sache halte ich die Entscheidung für falsch", sagte de Maizière. "Sie dient nicht dem Kampf gegen Extremismus in Deutschland." Die möglichen Konsequenzen aus dem Thüringer Schritt für den Verbund der Verfassungsschutzbehörden in Deutschland seien nun im Kreis der Innenminister zu erörtern. "Wer sich in einem Verbund bewegt, der muss geben und nehmen. Man kann nicht immer nur nehmen", betonte de Maizière.
Viele Innenminister haben inzwischen betont, dem Beispiel Thüringens 
nicht folgen und an V-Leuten festhalten zu wollen - so der von 
Niedersachsen und von Sachsen. Der Brandenburger Innenminister wollte 
die Thüringer Entscheidung nicht kommentieren.
