Adrian Hoffmann, Redakteur der Freiburger Stadtredaktion, ist für vier Tage nach Serbien gereist, um sich selbst ein Bild zu machen von der Situation der Familie nach ihrer Abschiebung.
Seit ihrer erzwungenen Rückreise aus Freiburg lebt eine junge Mutter mit ihren sechs Kindern im serbischen Niš im Elend – doch ihr größtes Problem ist ihr Mann.
Dejan schaut ungläubig, dann strahlt er und rennt auf Dajana Reiser zu. 
Er umarmt ihre Beine, höher kommt er nicht. Sie lacht, beugt sich vor 
und streicht ihm übers Gesicht. Ihr letzter Besuch hier ist zwei Wochen 
her – und Dejan (10), der Älteste von Sadbera Ametovic (29), ist für 
einen Moment wieder der Junge, der er in Deutschland war. In jenem 
anderen Leben – bevor ihm ein "Abgeschoben" in den Pass gestempelt 
wurde.
"Wie geht’s dir?", fragt Dajana. "Gut", schwindelt Dejan höflich. Er 
führt die Besucherin aus Freiburg, die ihn und seine Familie im vorigen 
Leben so lange unterstützt hat, über einen schmalen Pfad in sein neues 
Zuhause – eine Baracke am hintersten Ende einer Roma-Siedlung, wie es 
sie hier viele gibt. Gelegen am Rande der serbischen Großstadt Niš, 
hässlich und bitterarm, zweieinhalb Stunden Autofahrt südlich von 
Belgrad.
Dajana Reiser, 51 Jahre alt und früher einmal selbst nur "geduldet" in 
Deutschland, betritt die etwa 20 Quadratmeter große Behausung der 
Familie. Drinnen wartet Sadbera, ein freudestrahlendes Häufchen Elend, 
fahl und eingefallen, mit ihren fünf anderen Kindern. Der kleine Dejan 
verzieht sich in den Nebenraum des Opas, wirft sich aufs Bett und weint.
				
				
Sadbera, ihr einjähriger Sohn Martin und die dreijährige Tochter 
Valerjia husten viel und lang. Sie sind alle krank, längst chronisch, 
hier kann man nur krank werden. Sadbera hat neben Hustenanfällen auch 
Hepatitis B. Kindergeschrei, alle krabbeln und toben um den Besuch 
herum. Alle haben Läuse. Die Mutter wirkt überfordert. Der Teppich auf 
dem Boden, auf dem die Kinder schlafen, ist nass; angeblich sind Rohre 
darunter kaputt. Auch aus der Decke tropft es, wenn es regnet. Die Luft 
ist stickig und warm wie in der Biosauna. Ein betagter Heizstrahler 
glüht, inzwischen haben sie Strom, der auf den Opa läuft. Warmes Wasser 
kommt nur aus dem Kochtopf, als Badewanne dient eine Blechschale. 
Allerdings gibt es einen Wasserhahn, er funktioniert sogar. Geschirr 
stapelt sich in der Ecke, Sadbera spült es draußen vor der Tür in einem 
großen Plastikbehälter, zwischen Müll, Pinkelloch und Hühnerdreck.
Warum sieht das hier so aus? Offenbar legt keiner in der Siedlung Wert 
darauf, den Müll einzusammeln. Vielleicht gibt es andere Prioritäten: 
Einen Fernseher hat hier fast jeder, beim Opa nebenan steht auch einer. 
Eine Waschmaschine läuft dort sogar, aber sie wäscht nicht richtig.
Es sind Zustände ganz ähnlich denen, welche die junge Familie im Juli 
2013 verlassen wollte, als sie sich mit einem Bekannten in einem 
privaten Kleinbus aufmachte und Serbien den Rücken kehren wollte, um im 
fernen Deutschland Asyl zu beantragen. Sadbera war bereits mit Martin 
schwanger und wollte nicht noch ein Kind in Serbien zur Welt bringen. 
Sie fuhren direkt zur Aufnahmestelle für Flüchtlinge in Karlsruhe und 
stellten ihren Antrag. Bewilligt wurde der nie, aber weil es mit Martin 
später so viele Komplikationen gab, erhielten sie eine längere Duldung. 
Später stellte Sadbera einen Asylfolgeantrag.
Fünf Wochen ist es jetzt her, morgens um sechs Uhr am 20. Januar klopfen
 Polizisten bei Familie Ametovic im Freiburger Flüchtlingsheim, 
Hermann-Mitsch-Straße, und bringen sie zum Flughafen Baden-Baden. Die 
Kinder schlafen noch halb. Sammelabschiebung nach Serbien und 
Mazedonien. Im Charterflieger sitzen mehr als 150 Menschen aus 
verschiedenen Bundesländern. Die Aufregung in Freiburg ist groß. Es gibt
 Proteste und Petitionen – für die sofortige Rückkehr von Frau Ametovic 
und ihrer Kinder. Doch davon ist man heute weit entfernt. "Keine 
Chance", wird später der Innenminister aus Stuttgart sagen.
Wie soll es weitergehen? "Ich weiß es nicht, ich habe keinen Plan", sagt
 Sadbera. Dajana, sie ist kroatische Staatsbürgerin, spricht Serbisch 
und übersetzt. "Das ist sowieso alles sinnlos", platzt es aus ihr 
heraus, der Frust hat sich wochenlang aufgestaut. "Das ist doch keine 
Perspektive. Sie sind ihrem Schicksal ausgeliefert." Die Kinder in 
diesem Loch zu lassen, das sei Kindeswohlgefährdung. In Deutschland habe
 man so viel für die Familie getan, die Kinder seien sehr gut integriert
 gewesen, hätten ein besseres, kindgerechtes Leben geführt – und für 
was? Das ganze Geld, die ganze Arbeit umsonst?
Die Situation der Familie hat sich nicht gebessert seit der Ankunft. 
Deshalb ist Dajana erneut, diesmal mit ihrer Chefin Karin Herbener, nach
 Niš gekommen – sie will für eine sinnvolle Verwendung der Spenden 
sorgen, etwa 14 000 Euro sind es heute. Eine riesige Summe für serbische
 Verhältnisse. Ihre Hoffnung ist, eine alternative Bleibe für die 
Familie zu finden. Eine Mietwohnung wäre unrealistisch, weil kaum jemand
 an Roma vermieten möchte. Aber Kaufoptionen gibt es schon, ein Bezug 
könnte kurzfristig klappen.
Doch ein Handicap wird zu wenig berücksichtigt. Etwas, das untrennbar 
zur Geschichte der Großfamilie dazugehört: Es ist der Vater der Kinder. 
Als Dajana Reiser am nächsten Abend Sadbera zum Duschen und Besprechen 
für zwei Stunden aus dem Lager in ihr Pensionszimmer in der Innenstadt 
holt, offenbart sich ihr die zierliche, höchstens 1,50 Meter große Frau.
 Seit sie aus Deutschland zurück seien, neige ihr Mann zu Gewalt, 
erzählt sie. Beim letzten Besuch hatte Dajana veranlasst, dass eine 
Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation mit Sadbera Lebensmittel für sie 
und die Kinder einkauft. Das, was Sadbera in einem kleinen Schrank 
aufbewahrt, sind Reste davon. Das Restgeld vom Einkauf hat Sadbera 
bekommen, aber ihr Mann wollte es haben. Weil sie es ihm nicht geben 
wollte, habe er sie geschlagen. In Deutschland sei das nie so gewesen, 
sagt Sadbera.
Sie will sich schon länger von ihm trennen. Als sie die Frau von der 
Organisation habe anrufen wollen, habe er ihr Handy kaputtgemacht; sie 
hatte es von Dajana bekommen, um Kontakt halten zu können. Sie sind noch
 nicht einmal verheiratet, dennoch beansprucht Sadberas Mann, 28 Jahre 
alt, das Geld. Schon in Deutschland hatte er große Teile der staatlichen
 Hilfe verlebt. Dort bekamen sie mehr als das Zehnfache – Wohnung, 
Betreuung und Gesundheitsversorgung nicht einmal mitgerechnet.
Die Kinder führen jetzt ein Leben im Dreck, ihr Vater aber hat stets 
eine Zigarette in der Hand. Woher hat er das Geld? Auch dem Alkohol 
scheint er zugeneigt. Sadbera versinkt in Tränen, als sie Dajana Reiser 
erzählt, was die Sozialarbeiterin schon ahnt. Sie möchte weg, in ein 
Frauenhaus, egal wo, mit den Kindern. Sie schafft es nicht alleine.
Warum hat sie überhaupt so viele Kinder bekommen? "So sind wir Roma 
eben", sagt Sadbera achselzuckend, "eine andere Frau in der Siedlung hat
 acht Kinder, sie lebt wie eine Hündin." Sie habe nie so viele Kinder 
gewollt. Die meisten sind Frühchen gewesen, sie haben dauerhafte Schäden
 davongetragen, sind kleinwüchsig, geistig behindert. Nach dem zweiten 
Kind habe sie im Krankenhaus um eine Sterilisation gebeten, sagt 
Sadbera. Man habe ihr gesagt, das dürfe man nicht. Zudem habe es ihr 
Mann nicht erlaubt. Nach der Geburt ihres Jüngsten, dem kranken Martin –
 er hatte in Freiburg einen künstlichen Darmausgang bekommen – war es 
endlich so weit. Still und heimlich ließ sie es machen.
Am nächsten Morgen holen Dajana Reiser und Karin Herbener Sadbera zum 
Behördengang ab. Der kleine Dejan passt solange auf die anderen Kinder 
auf, sein Vater treibt sich lieber herum. Dajana Reiser will sich auf 
dem Amt dafür einsetzen, dass Sadbera in ein Frauenhaus darf. Doch die 
Ernüchterung folgt. Auf dem Amt, in dem fast nur Roma ein- und ausgehen,
 weist man ihr Anliegen nach stundenlangen Befragungen ab. Sie müsse 
ihren Mann bei der Polizei anzeigen, Sadbera aber hat Angst davor.
Auf dem Rückweg fragt Sadbera mehrmals, ob sie denn nicht in ein 
deutsches Frauenhaus gehen könne. Sie geht sogar noch weiter: Sie möchte
 die ältesten Söhne, Dejan und Stiven, zur Adoption freigeben, wenn das 
geht. Als Sadbera es ausgesprochen hat, sinkt sie in sich zusammen und 
weint. "Ich finde es unglaublich, was für eine starke Mutter Sadbera 
ist", sagt Dajana Reiser. Sadbera sei eine einfach strukturierte Frau 
und als Kind auf eine Schule für Behinderte gegangen. Im Grundschulalter
 sei sie verwaist. "Sie würde alles für ihre Kinder tun."
Die Helferin einer Nichtregierungsorganisation für Frauenrechte, mit der
 das Jugendhilfswerk im Fall Ametovic zusammenarbeitet, kennt das Leid 
vieler Roma-Familien. Eine Frau auf der Behörde habe sich wirklich für 
Sadbera einsetzen wollen, sagt die Frauenrechtlerin, aber ihr seien 
letztlich die Hände gebunden. Niš tue im Vergleich zu anderen Regionen 
seit Jahren zu wenig für die Lebensbedingungen der Roma-Familien. 
Rassismus sei sowieso allgegenwärtig, deshalb wolle sie auch selbst 
nicht namentlich in der Zeitung stehen. Auch den Frauen vom 
Jugendhilfswerk ist bewusst, das Sadberas Kinder nicht die einzigen 
sind, die hier so leben – an Straßenkreuzungen stehen Roma-Kinder im 
schulpflichtigen Alter und wischen die Scheiben von Autos, wenn die 
Ampel Rot zeigt.
Ohne Spendengelder hätten die Kinder wohl nur wenig zu essen. 
Sozialhilfe bekommt die Familie laut Sadbera noch nicht. Als sie die 16 
500 Dinar abholen wollte (umgerechnet etwa 135 Euro), die ihrer Familie 
zustehen, sei sie abgewiesen worden. Sie brauche erst neue 
Personalausweise, die alten seien abgelaufen.
Wenigstens der kleine Dejan hat nach Wochen des Schrottsammelns, mit dem
 er ein paar Dinar verdiente, wieder einen geregelteren Alltag: Seit 
Donnerstag besucht er die vierte Klasse einer Schule unweit der 
Siedlung. Ein pädagogischer Assistent der Schule, selbst Roma, hatte ihn
 besucht und eingeladen. Dejan war sofort begeistert, das tägliche 
Vesperbrot, das Kindern von Sozialhilfeempfängern zusteht, bekommt er 
aber nicht – weil der Bescheid wegen der fehlenden Ausweise nicht da 
ist.
Als Dajana Reiser und Karin Herbener am letzten Abend ihres Aufenthalts 
noch einmal fünf Tüten voller Lebensmittel einkaufen und zu Sadbera in 
die Roma-Siedlung bringen – auch drei Koffer voller Kleidung und 
Geschenke aus Freiburg haben sie mitgebracht –, ist der Vater der Kinder
 da. Es kommt zum Streit. Dajana Reiser wirft ihm vor, dass er in den 
letzten Tagen nur zur Show mit Baby Martin auf den Armen umhergelaufen 
sei, in Wahrheit kümmere er sich um gar nichts. Sie sagt ihm in 
deutlichen Worten, dass er von dem Geld aus Deutschland keinen Cent 
sehen werde. Der Familienvater reagiert wütend. Er will "Pare" – Geld. 
Er brauche ihre Lebensmittel nicht. "Dann nimm Sadbera und nimm die 
Kinder und geht", sagt er und verschwindet.
Sadbera sitzt auf ihrem kleinen Sofa, beinahe das einzige Möbelstück 
hier im Haus, und zittert. Dajana Reiser entscheidet, noch eine Stunde 
hierzubleiben, damit Sadbera keine Schläge bekommt. Dejan sitzt neben 
seiner Mutter, Tränen in den Augen und auf dem Kopf die neue 
Schildkappe, die er von seinen Freunden aus Freiburg geschenkt bekommen 
hat.
Hintergrund: Aussage gegen Aussage
Hilft Serbien Abgeschobenen? Die Wahrheitssuche ist schwer.
"Nach unseren Informationen wurde ihnen Hilfe angeboten", versicherte 
Innenminister Reinhold Gall (SPD) unserer Zeitung Anfang Februar. Die 
Unterstützer der Familie Ametovic bestreiten das: "Nicht einmal eine 
Fahrkarte" hätten sie bekommen. Was stimmt denn nun? Das ist sogar an 
Ort und Stelle, am Flughafen Belgrad, schwer zu ermitteln. Für 
Journalistenfragen zeigte man sich dort nicht offen, "aus Zeitgründen". 
Schon die Suche nach Beamten, die für Abgeschobene zuständig sind, 
gestaltete sich schwierig.
Als Dajana Reiser aus Freiburg vom Flughafen-Fundbüro aus mit einem 
Verantwortlichen telefonieren darf, trifft sie auf Verweigerung. 
Bestätigt wird nur, dass auch an diesem Tag Abgeschobene erwartet 
werden. Woher kommen sie? Keine Auskunft. Der Beamte verweist auf das 
Flüchtlingskommissariat, das im Fall einer konkreten Anfrage 
rückkehrender Abgeschobenen nach einer Notunterkunft verständigt werde. 
Er sagt auch, Abgeschobene müssten von sich aus nach einer Notunterkunft
 fragen – aktiv angeboten würde das ihnen nicht. Sadbera Ametovics Mann 
gibt an, er habe damals, vor fünf Wochen, zunächst nach Geld für 
Fahrkarten nach Niš gefragt. Als dies abgelehnt worden sei, habe er 
stattdessen direkt nach Fahrkarten gefragt. Vergeblich.
Das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat auf eine Bitte 
der Badischen Zeitung, vor Ort in Belgrad einen Ansprechpartner zu 
vermitteln, nicht reagiert. Sadbera Ametovic versichert, sie hätte 
jegliche Unterstützungsangebote angenommen und auch eine Unterkunft 
bezogen. Ob ihr Mann ein solches Angebot bekam und ausgeschlagen habe, 
kann sie nicht beantworten. Er selbst behauptet, er habe kein Angebot 
bekommen. Zuletzt hatten Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried 
Kretschmann und Innenminister Gall die Abschiebung weiterhin verteidigt,
 sie sei "geboten und zumutbar" gewesen.

