Hilferuf von mehr als 200 Gewerbetreibenden / Handwerkskammer für Senkung kommunaler Gebühren
Von Klaus Staeubert
 Sechs Wochen schon halten Demonstrationen von und gegen Legida die 
Stadt in Atem. Großräumige Sperrungen, Tausende Sicherheitskräfte auf 
den Straßen und eingeschränkter Straßenbahnverkehr: Seit die 
Anti-Islam-Bewegung Fuß zu fassen versucht, befindet sich Leipzig im 
Ausnahmezustand. Gewerbetreibende in der City leiden besonders darunter.
 Sie verlieren Kunden und Umsätze, schicken Mitarbeiter früher nach 
Hause, weil sie aus Sorge ihre Geschäfte und Büros vorzeitig schließen. 
Mehr als 200 Unternehmer haben jetzt einen Hilferuf an die 
Handwerkskammer gerichtet. Deren amtierender Hauptgeschäftsführer Volker
 Lux (46) sieht die Stadt in der Pflicht, die Wirtschaft zu entlasten.
 Es gebe verschiedene Möglichkeiten, von kommunaler Seite den 
Gewerbetreibenden entgegenzukommen. "Wenn man beispielsweise die 
Sondernutzungsgebühren befristet absenkt und den Händlern damit 
signalisiert: Wir haben verstanden, dass ihr unter den Einschränkungen, 
die mit der Versammlungsfreiheit verbunden sind, finanziell gelitten 
habt", sagt Lux. Diese Abgaben müssen Unternehmer unter anderem für 
Freisitze, Werbeaufsteller, Fahrradständer oder Blumenkübel entrichten. 
Denkbar sei auch eine Sonderöffnungsaktion während der Festwoche zum 
Stadtjubiläum als Ausgleich für entgangene Geschäfte. Lux: "Wichtig ist,
 dass die Gewerbetreibenden einen Goodie bekommen."
Die Gründe dafür liegen auf der Hand. "Ich habe eine Liste von 226 
Händlern und Handwerkern aus der Innenstadt bekommen, die sich über 
Beeinträchtigungen von Handel, Handwerk, Gastronomie und Tourismus 
beklagen", berichtet er. Darüber habe er Wirtschaftsbürgermeister Uwe 
Albrecht  (CDU) informiert. 
 Ingo Stengl (49), Geschäftsführer des Friseursalons Rathgeber-Stengl, 
startete die Unterschriftensammlung. Die Wirtschaft erwarte, dass ihre 
Belange bei der Entscheidung über Demonstrationen berücksichtigt werden.
 "Ich mache mir Sorgen um die Zukunft von Händlern und Gewerbetreibenden
 in der Innenstadt", sagt er. Nach bislang wechselnden Terminen meldete 
Legida nun bis Jahresende für Montag Versammlungen auf dem Augustusplatz
 und dem Ring an, Gegendemonstrationen sind für diesen Tag bis Mitte 
Juli angezeigt. Stengl: "Wenn sich erst mal psychologisch bei den Leuten
 festgesetzt hat, dass hier immer Ausnahmezustand herrscht, dann werden 
Kunden und Besucher die Innenstadt meiden." Dass dies der Preis der 
Freiheit sein soll, verstehen viele Gewerbetreibende nicht. "Wir müssen 
unsere Mieten erwirtschaften, Mitarbeiter bezahlen und Steuern 
abführen", erklärt er. Allein in seinem Friseursalon sind zehn 
Mitarbeiter beschäftigt. Besonders ärgerlich: Die Beeinträchtigungen 
bleiben bestehen, obwohl die Zahl der Kundgebungsteilnehmer abnimmt. 
Stengl: "Am Montag waren doch mehr Polizisten da als Demonstranten."
 Die Rechtssprechung sieht für eine Beschränkung der Versammlungfreiheit
 nur enge Grenzen (nebenstehender Beitrag). "Der Gesetzgeber kann nicht 
ganze Innenstadtbereiche versammlungsfrei machen", so Uwe Berlit (58), 
Richter am Bundesverwaltungsgericht, am Dienstagabend auf einer 
Informationsveranstaltung der Industrie- und Handelskammer zum 
Demonstrationsrecht. Einen Anspruch auf "optimale Erfolgschancen" für 
Unternehmer sehe das Gesetz nicht vor. Berlit erinnert jedoch an die 
Stadt Hannover, die der Händlerschaft schon mal mit 
Ausgleichsveranstaltungen für Umsatzausfälle entgegenkam.
Das sagen Juristen
  Warum lässt die Kommune immer wieder Demos in der Innenstadt zu? 
 Verbote und Beschränkungen sind nach den Worten von Uwe Berlit, Richter
 am Bundesverwaltungsgericht, nur dann möglich, wenn die öffentliche 
Sicherheit und Ordnung gefährdet ist. Geschäftseinbußen oder 
Imageverluste rechtfertigten derlei Eingriffe nicht. Dass Umsätze 
wegbrechen oder das Ansehen eines Ortes in der Öffentlichkeit sinkt, 
"gehört zum normalen Standortrisiko".    
 Kann die Stadt nicht andere Versammlungsorte festlegen? 
 Jochen Rozek, Rechtswissenschaftler an der Universität Leipzig, zitiert
 dazu das Grundgesetz, Artikel 8: "Alle Deutschen haben das Recht, sich 
ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln." 
Der Anmelder habe überdies die freie Wahl des Versammlungsortes und 
-zeitpunktes. Eine Verlagerung hin zu unattraktiven Standorten oder 
Randzeiten ist laut Bundesverwaltungsrichter Berlit nicht statthaft.
 Können Geschäftsinhaber bei der Stadt Schadenersatz wegen negativer Demo-Folgen einfordern? 
 Verwaltungsrechtler Achim Kurz: "Mir ist aus der Rechtssprechung der 
vergangenen 30 Jahre kein Fall bekannt, dass eine Stadt wegen einer 
Demonstration zahlen musste." Wenn Demonstranten etwa 
Schaufensterscheiben einschlagen, hafteten diese dafür. Allerdings sei 
es in der Praxis oft schwierig, die konkreten Verursacher zu ermitteln. 
K.S.
"Wir waren während der Demos hier richtig zugesperrt mit Polizeiwagen", sagt Celina Kutylo, Besitzerin des Café Wagner. Normalerweise kämen immer viele Touristen zu ihr, doch inzwischen spüre sie die Verunsicherung der Gäste. Auf Dauer sollten aus Sicht der Café-Chefin andere Orte für die Demonstrationen gefunden werden. "An der Alten Messe beispielsweise ist doch genug Platz."
"Bei der ersten Legida-Demo haben wir den Laden noch ganz zu gemacht", sagt Peter Peters, Chef des Juweliers Wempe. Bei den Kunden gebe es nach wie vor auch Ungewissheit, für den Laden selber allerdings keine Beeinträchtigungen. "Es sollte stärker kommuniziert werden, dass die Händler auf haben", fordert Peters eine klare Linie beim Umgang mit den Demos.
"An den Demo-Tagen wird ab drei oder halb vier bei uns in der Gegend alles abgesperrt", berichtet Manuela Ziebold. Sie arbeitet in Rita's Modeshop in der Nikolaistraße. An den entsprechenden Abenden fehle ihr dann die Kundschaft - auch von auswärts. Sie schlägt eine Verlegung der Demos auf den späten Abend vor. "Ab 19 oder 20 Uhr kann das doch auch stattfinden", sagt sie.
