Der Stasi-Spitzel Karl-Heinz Kurras erschoss am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg - jetzt wird sein Tod in Berlin bekannt gegeben
Von Joachim Riecker
Berlin. Selten nur rücken Aktenfunde ein historisches Ereignis in ein ganz neues Licht. Im Frühjahr 2009 war das der Fall. Als die junge Historikerin Cornelia Jabs in der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen über die Toten an der Mauer recherchierte, stieß sie auf eine 17-bändige IM-Akte, die eine brisante Information enthielt: Der ehemalige Westberliner Polizist Karl-Heinz Kurras, der am Abend des 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschossen hatte, war jahrzehntelang Mitarbeiter der Stasi gewesen. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist Kurras am 16. Dezember im Alter von 87 Jahren in einem Berliner Krankenhaus gestorben. Er wurde anonym bestattet.
Der gewaltsame Tod von Ohnesorg wirkte 1967 wie ein Fanal und sorgte für
 eine enorme Radikalisierung der bis dahin weitgehend friedlichen 
Studentenbewegung. Nach dem brisanten Aktenfund im Frühjahr 2009 kam 
schnell der Verdacht auf, dass die Stasi ihrem Mitarbeiter Kurras einen 
entsprechenden Auftrag gegeben hatte. Dafür fand sich aber kein Beleg. 
Seine Führungsoffiziere in Ostberlin waren offenbar eher erschrocken, 
dass Kurras, der als Waffennarr galt, sich derartig exponiert hatte. 
Nach dem tödlichen Schuss auf Ohnesorg wurde er als Spitzel 
"abgeschaltet".
Film- und Fotomaterial, das von der Berliner Polizei jahrzehntelang 
unter Verschluss  gehalten worden war, legt den Schluss nahe, dass 
Kurras den aus Hannover stammenden Studenten gezielt erschoss und die 
Tat von mehreren Polizisten aus nächster Nähe beobachtet wurde. In zwei 
Prozessen hatte er sich stets damit verteidigt, von dem späteren Opfer 
und anderen Studenten angegriffen worden zu sein und in Notwehr 
gehandelt zu haben. Auch wenn ihm die Gerichte nicht glaubten und die 
Tötung von Ohnesorg als "eindeutig rechtswidrig" bezeichneten, sprachen 
sie ihn jedes Mal frei. Denn es sei nicht auszuschließen, dass er sich 
subjektiv in einer lebensbedrohlichen Lage geglaubt habe. Die beiden 
Freisprüche im November 1967 und im Dezember 1970 führten bei vielen 
Anhängern der Studentenbewegung zu einer weiteren Radikalisierung. Neben
 der RAF gründete sich auch die Terrorgruppe "Bewegung 2. Juni". "Mit 
diesem Datum im Namen wird immer darauf hingewiesen, dass sie zuerst 
geschossen haben", sagten die Gründer dieser Gruppe später. 
Der 1927 in Ostpreußen geborene Kurras war nach Kriegsende 1945 wegen 
illegalen Waffenbesitzes in einem sowjetischen Straflager interniert 
worden. Nach seiner Entlassung 1950 trat er in den Westberliner 
Polizeidienst ein. Als er 1955 in die DDR übersiedeln wollte, 
überzeugten ihn die Ostberliner Behörden, bei der Polizei im Westen zu 
bleiben und dort als "Inoffizieller Mitarbeiter" Informationen zu 
sammeln. Nach dem Mauerbau beantragte er die Aufnahme in die SED und 
trat zur Tarnung zeitgleich in die SPD ein. In einem internen Bericht 
bezeichnete ihn das Ministerium für Staatssicherheit als "sehr verliebt 
in Waffen" und als "fanatischen Anhänger des Schießsports".
Am 2. Juni 1967 kam es dann zur schicksalhaften Begegnung von ihm und 
Ohnesorg. Kurras war an dem Abend eingesetzt, um gegen junge Menschen 
vorzugehen, die vor der Deutschen Oper an der Berliner Bismarckstraße 
gegen den Besuch des Schahs von Persien demonstrierten. Unter ihnen war 
auch der 1940 in Hannover geborene Ohnesorg, der nach seinem Abitur in 
Braunschweig an der Berliner Freien Universität Romanistik und 
Germanistik studierte. Unstrittig ist, dass die Polizei damals die 
Strategie verfolgte, die Demonstranten erst einzukesseln und dann mit 
Schlagstöcken und berittener Polizei auseinanderzutreiben. Polizisten in
 Zivil, darunter auch Kurras, sollten "Rädelsführer" ausfindig machen 
und festnehmen. 
Nachdem die Kundgebung vor der Oper, wo der Schah mittlerweile Mozarts 
"Zauberflöte" lauschte, von der Polizei auseinandergetrieben worden war,
 fand sich der 26-jährige Ohnesorg mit anderen Demonstranten und rund 
zehn Polizisten im Hinterhof eines Wohnhauses nahe der Oper wieder. Ein 
Student, der am Boden lag, wurde von drei Beamten verprügelt und 
getreten. Etwa um 20.30Uhr feuerte Kurras einen Schuss ab, der Ohnesorg
 aus eineinhalb Metern Entfernung in den Hinterkopf traf. Zeugen hörten,
 wie gleich darauf ein Beamter zu ihm sagte: "Bist du denn wahnsinnig, 
hier zu schießen?" Kurras habe geantwortet: "Die ist mir losgegangen." 
Das wenig später aufgenommene Foto, auf dem eine junge Frau vor einem VW
 Käfer den Kopf des sterbenden Ohnesorg hält, ging um die Welt und wurde
 zu einer Ikone des Studentenprotests. Nach dem Aktenfund im Frühjahr 
2009 räumte Kurras seine SED-Mitgliedschaft und indirekt auch seine 
Tätigkeit als IM ein, zeigte aber weiterhin keine Reue für den Tod 
Ohnesorgs. Ein neues Ermittlungsverfahren stellte die Berliner 
Staatsanwaltschaft schließlich ein.
