Wiederentdeckter Roman von Ernst Ottwalt schildert Bürgerkrieg in Mitteldeutschland bis 1921
Von Jan Emendörfer
 Von der Penne in die Kaserne. Uniform, Stahlhelm und Karabiner 
versprechen Macht und Autorität. Stiefel klappern auf Kopfsteinpflaster,
 erregte Nerven sind mit Schnaps zu beruhigen und am Freitag geht es in 
den Puff. 
 Der 17-jährige Pfarrerssohn Ernst Gottwald Nicolas  hat sich in den 
Novemberwirren des Jahres 1918 in Halle an der Saale freiwillig zum 
Freikorps gemeldet. Der  Kaiser ist weg, der Krieg verloren, eine  
wackelige Republik versucht sich in die Demokratie vorzutasten und  
linke Arbeiter und Soldaten wollen eine  Räteregierung. Eine 
Demonstration löst die andere ab, es gibt Streiks und Plünderungen, 
Frauen schlagen sich vor Bäckerläden um Brot. Die bürgerlichen 
Elternhäuser der Primaner, die Direktoren und Lehrer, die Advokaten und 
Handwerker fürchten um ihre Zukunft. Schnell wird der Ruf nach "Ruhe und
 Ordnung" laut. 
Der junge Nicolas bezieht für das nationalistische Freikorps Halle 
Position  - zunächst auf einem Strohsack in einer Brotfabrik. Es gibt 
viel Langeweile, reichlich Verpflegung und auch ordentlich Geld. Immer 
in bar, ohne Quittung. Dafür marschieren Nicolas und seine Kameraden von
 den selbst ernannten "Regierungstruppen" nachts los, durchkämmen 
Arbeiterwohnviertel nach Waffen oder machen Jagd auf "Plünderer". Der 
Schneider Wiemann, ein schwächlicher Typ,  hat keine Erklärung dafür, 
woher der Teppich unter seinem Bett stammt.  Er muss ihn vor den 
bewaffneten "Ordnungshütern" schultern und durch das nächtliche Halle 
schleppen - hustend, schwitzend. Und "über sein kümmerliches kleines 
Gesicht laufen die hellen Tränen". Das sind die Momente, wo Nicolas 
weich wird, wo er Mitleid bekommt. Aber ein im Weltkrieg gestählter 
Unteroffizier reißt ihn wieder hoch: Du bist doch Soldat, die Plünderer 
sind doch Schweine, wir sind doch da für "Ruhe und Ordnung". Mal im 
Auftrag alter Militärs, mal im Auftrag der Kapp-Putschisten, dann sogar 
für die Republik im Auftrag von SPD-Reichswehrminister Gustav Noske. 
Junge Leute als Landsknechte, die man immer einsetzen kann. 
Unter dem Namen Ernst Ottwalt schreibt Nicolas später auf, wie er den 
Bürgerkrieg  in Mitteldeutschland bis in das Jahr 1921 hinein erlebt 
hat. Sein erstmals 1929 im Malik-Verlag erschienener Bericht "Ruhe und 
Ordnung" besticht durch die schnörkellose Authentizität. Ottwalt 
entrollt kein großes literarisches Panorama mit vielen Personen und 
Handlungsebenen wie etwa Hans Fallada (1893-1947) in "Wolf unter 
Wölfen". Ottwalt schreibt eher journalistisch, reportagemäßig, 
faktenorientiert  - was den halleschen Literaturwissenschaftler 
Christian Eger nicht davon abhält, "Ruhe und Ordnung"  als den 
"bedeutendsten Halle-Roman des 20. Jahrhunderts" zu loben - vor Christa 
Wolfs "Der geteilte Himmel" (1963). 
Eger, Redakteur bei der Mitteldeutschen Zeitung in Halle,  hat als 
Herausgeber gekämpft um diesen Ottwalt, der vom Freikorpssoldaten zum 
Kommunisten mutierte, sich zu einem bedeutenden linken Autor der 
Weimarer Republik hochschrieb (u.a. Drehbuch für "Kuhle Wampe" mit 
Bertolt Brecht und Slatan Dudow) und dann als "Spion" und "Feind" 1943 
in  einem stalinschen Straflager - mutmaßlich bei Archangelsk - 
umgekommen ist. Dieses Leben, dieses Auf und Ab  -  das war zu radikal 
für die DDR; Ottwalts Bücher ("Denn sie wissen was sie tun"), die in der
 Nazizeit verbrannt worden waren, durften auch im "sozialistischen 
Arbeiter- und Bauernstaat" nicht erscheinen. 
Eger hat ein ausführliches Nachwort verfasst, Dokumente und Fotos 
zusammengetragen und lässt so Ottwalts Werk in einer Neuausgabe 
auferstehen. Das Buch hat es verdient und passt in die Zeit, zeigt es 
doch in diesen Tagen der Pegida- und anderer Bewegungen wie junge Männer
 missbraucht werden können: Finstere Mächte, die über Geld und Einfluss 
verfügen, locken mit  Abenteuer,  Männlichkeit und Korpsgeist 
