Leipzig. Nach dem Verbot der Legida-Demo in Leipzig wegen eines Polizeinotstandes ist eine heftige Debatte ausgebrochen: War die Entscheidung verhältnismäßig oder schränkt sie die Versammlungsfreiheit zu stark ein? Die Stadt und das sächsische Innenministerium schieben sich die Verantwortung gegenseitig zu. Polizeigewerkschaft und Politiker sprechen von einem Skandal. Streit herrscht vor allem darüber, ob ein Verbot das richtige Mittel ist – zumal die Gegendemonstrationen wie geplant stattfinden dürfen.
Am Sonntagnachmittag tauchte im Netz ein Aufruf zu einer "Spontandemo" 
auf. "Eine Revolution beantragt man nicht beim Ordnungsamt", heißt es 
auf dem anonymen Online-Flugblatt, das für einen Aufzug am Montagabend 
in Leipzig wirbt. Im Hintergrund sind auf einem Foto offensichtlich 
Pegida-Anhänger mit Deutschlandfahnen zu sehen. Der Aufruf kursierte bei
 Facebook. Ob es sich um einen Fake handelte, blieb zunächst unklar. 
Auch
 ein zweites Rundschreiben machte am Sonntagabend die Runde durch das 
Netz. Demnach werden Anhänger der sogenannten "Hooligans gegen 
Salafisten" (HoGeSa) dazu aufgerufen, zahlreich nach Leipzig zu kommen. 
Sie sollen, so das Schreiben, Anhänger der Legida unterstützen, wenn 
diese spontan durch die Stadt spazieren. Der Aufruf findet sich in 
verschiedenen Foren und sozialen Medien, die originale Quelle ist 
allerdings ebenfalls unklar. 
Stadtsprecher Matthias Hasberg 
erklärte auf Anfrage, dass es sich bei jeglicher Demo mit inhaltlichem 
Bezug auf Legida oder Pegida um eine illegale Veranstaltung handele, die
 am Montag von der Polizei aufgelöst werden müsse. Polizeisprecher Uwe 
Voigt bestätigte dies unter dem Vorbehalt, dass das Demo-Verbot vor 
Gericht standhalte. Er hielt es für möglich, dass der Aufruf authentisch
 ist. "Wir müssen mit Spontandemos rechnen", sagte er gegenüber 
LVZ-Online. Deshalb würden die zugesagten acht Polizeihundertschaften am
 Montag auch "in jedem Fall im Einsatz" sein.
Innenministerium hält Verbot für nicht gerechtfertigt
Die
 Stadt verteidigte am Sonntag nochmals ihre Entscheidung, den für 
Montagabend um 19 Uhr geplanten "Abendspaziergang" der islamfeindlichen 
Legida-Bewegung zu untersagen. „Wir werden uns nicht sehenden Auges in 
eine Situation begeben, in der Leib und Leben gefährdet sind“, sagte 
Hasberg. Die Legida-Anmelder hatten mit bis zu 10.000 Teilnehmern auf 
dem Augustusplatz und dem Innenstadtring gerechnet – 
zur letzten Demo am 30. Januar waren jedoch nur rund 1500 gekommen.
In Leipzig stehen maximal 800 bis 1000 Beamte zur Verfügung – 
laut Innenministerium so viele wie in keiner anderen sächsischen Stadt 
am Montag. Nach Einschätzung der Leipziger Polizei sind jedoch 
mindestens 3100 Kräfte nötig, um die Sicherheit bei der zuletzt unter 
anderem von Rechtextremisten und Hooligans besuchten Demo zu 
gewährleisten. Weil parallel auch bei Pegida in Dresden, bei Cegida in 
Chemnitz und in anderen Städten bundesweit demonstriert wird, kann die 
sächsische Polizei jedoch nicht so viele Beamte in die Messestadt 
beordern. 
Das Innenministerium wies die Verantwortung für die 
Absage vehement zurück. Das von der Stadt ausgesprochene Verbot sei 
nicht gerechtfertigt, sagte ein Sprecher von Markus Ulbig (CDU). Der 
Minister hatte nach der Absage der Dresdner Pegida-Demo am 19. Januar 
wegen mutmaßlicher Anschlagsdrohungen gegen Lutz Bachmann selbst unter 
Druck gestanden. Parteiübergreifend herrschte Empörung über den harten 
Einschnitt in das Demonstrationsrecht – eine Debatte, 
die nun neu entfacht ist.
„Armutszeugnis für den Freistaat“
„Es ist ein Skandal, dass der Personalabbau dazu führt, dass die Polizei
 ihre Aufgaben nicht mehr wahrnehmen kann und Grundrechte eingeschränkt 
werden müssen“, kritisierte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der 
Polizei (GdP), Oliver Malchow. Valentin Lippmann, innenpolitischer 
Sprecher der Grünen im Landtag, sprach von einem „Armutszeugnis für den 
Freistaat“. Enrico Stange, innenpolitischer Sprecher der Linken im 
Landtag erinnerte daran, dass der Polizistenmangel nicht „plötzlich vom 
Himmel gefallen“ sei. Das Verbot bezeichnete er einen „schweren 
staatlichen Angriff auf das hohe Verfassungsgut der 
Versammlungsfreiheit“. 
Es gibt aber auch politischen Gegenwind: 
Christian Hartmann, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im 
Landtag, nannte die Entscheidung der Stadt Leipzig unverhältnismäßig. 
Mit rund 1000 Polizeikräfte seien die Demonstrationen „hinreichend 
abgesichert“. Von einem Polizeinotstand könne „nicht die Rede sein“. 
Legida hat bereits angekündigt, Rechtsmittel einzulegen und sprach von 
„staatlicher Willkür in Reinkultur“. Auf der Facebook-Seite hieß es: 
„Legida lässt sich von einem Herrn Jung nicht aus der Stadt vertreiben! 
Wir sind das Volk! Wir sind gekommen, um zu bleiben!“
OBM bezeichnet Absage als alternativlos
Nach Ansicht des Innenministeriums sei es an der Stadt, den 
Veranstaltern Auflagen zu machen und eventuell nur eine Kundgebung zu 
genehmigen, wenn die zugesagten Kräfte als nicht ausreichend erachtet 
würden. Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) betonte dagegen, 
die Absage des Ordnungsamtes sei alternativlos gewesen und hätte auch 
nicht durch Auflagen verhindert werden können. 
„Herr Ulbig liest
 offensichtlich die Lageeinschätzung der eigenen Polizei nicht. Für uns 
ist diese eindeutig: Die 1000 Beamten reichen zur Absicherung nicht“, so
 Stadtsprecher Hasberg. „Falls doch, muss der Innenminister erklären, 
warum er offensichtlich genau das Gegenteil von dem behauptet, was die 
Polizei dem Ordnungsamt mitgeteilt hat.“ 
Die Polizeidirektion 
Leipzig hatte zuvor in ihrer Lageeinschätzung davon gesprochen, dass mit
 800 Beamten weder eine stationäre Kundgebung „geschweige denn ein 
Aufzug“ abgesichert werden könnten. Bei der letzten Demo am 30. Januar, 
die durch Auflagen auf den Augustusplatz beschränkt wurde, war es trotz 
der 2000 eingesetzten Polizisten zu Zusammenstößen zwischen 
Legida-Anhängern und Gegendemonstranten gekommen. 
Der Leipziger 
Ableger der Pegida-Bewegung wird vom Verfassungsschutz als deutlich 
radikaler eingeschätzt. An der letzten Demo sollen auch rund 300 
Hooligans aus der Fußballszene teilgenommen haben. Das 
Gefährdungspotenzial sei „nicht beherrschbar“ so die Polizei – daher 
seien eher noch mehr als weniger Kräfte nötig, hieß es in der 
Einsatzplanung. 
Demos in anderen Städten finden statt – trotz Kräftemangels
Pikant
 sind vor diesem Hintergrund die Aussagen von Landespolizeipräsident 
Jürgen Georgie. Er betonte am Samstag in einem Brief an Jung, der 
schließlich zur Absage führte, dass der Polizeidirektion Leipzig bereits
 der „größte Teil der verfügbaren Kräfte“ bereitgestellt werde. Ein von 
der Stadt angekündigtes Verbot hielt er für unverhältnismäßig. „Die 
Polizeidirektionen Dresden und Chemnitz sind ebenfalls gehalten, ihre 
Einsätze mit deutlich weniger als den angeforderten Einsatzkräften zu 
bewältigen“, so Georgie. 
Der Landespolizeichef verwies auch 
darauf, dass trotz „angespannter Kräftesituation“ am Montag unter 
anderem in Berlin, Kassel, Hamm, Duisburg, Baden-Baden, Würzburg, 
München und Magdeburg demonstriert werde. Dort könne trotz „teilweise 
mehreren tausend Teilnehmern aus verschiedenen Meinungslagern“ das 
Versammlungsrecht gewährleistet werden. 
Demo-Verbot könnte vor Gericht bröckeln
Demonstriert wird am Montag wohl auch in Leipzig – aber auf der 
Gegenseite. Die Legida-Protestveranstaltungen seien nicht von dem Verbot
 betroffen, erklärte Stadtsprecher Hasberg. Diese seien 
„versammlungsrechtlich als eigene Veranstaltungen“ zu werten. Auch eine 
Satire-Demo mit dem Namen „Legida – das Original“ der „Partei“ auf der 
Gewandhaus-Seite des Augustusplatzes darf stattfinden. Es ist nicht 
auszuschließen, dass sich Legida-Anhänger wie angekündigt unter die 
Menge mischen werden. Darauf angesprochen sagte Hasberg: „Um illegale 
Versammlungen aufzulösen, werden die 800 Beamten ausreichen.“
Die
 Gewerkschaft der Polizei ist indes skeptisch, dass das ausgesprochene 
Verbot Bestand haben wird. Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts 
Leipzig wird für Montag erwartet. „Es ist fraglich, ob die Gerichte den 
Einwand, es herrsche polizeilicher Notstand, überhaupt gelten lassen“, 
sagte der GdP-Vorsitzende Malchow. Um die Gesundheit der Polizisten 
macht er sich ernsthaft Gedanken: „Sollten die Demonstrationen doch 
stattfinden dürfen, werden meine Kolleginnen und Kollegen bei der 
gewalttätigen Stimmung, die in Leipzig herrscht, dort verheizt werden.“
