Es war wohl die größte Demo in Freiburgs Stadtgeschichte: der Protest gegen Pegida Ende Januar. Aber wie wurden die vielen Menschen überhaupt gezählt? Und: Wie genau kann das überhaupt sein?
20.000 Menschen kamen zur Anti-Pegida-Demo Ende Januar – sagt zumindest die Polizei. "Die Zahl wurde von sehr erfahrenen Einsatzkräften der Bereitschaftspolizei geschätzt", erklärt Polizeisprecherin Jenny Jahnz. Allerdings schränkt sie ein: "Es wurde aber nicht jeder Einzelne gezählt." Zur Anwendung kam Jahnz zufolge die sogenannte Reihenzählmethode. Dabei wird geschaut, wie viele Personen in einer engen Straße nebeneinander herlaufen. Danach werden die Reihen gezählt und beide Werte multipliziert.
"Mit dieser Methode kann man aber gar nicht auf eine nahezu stimmige Schätzung kommen", sagt der Leipziger Soziologe Stephan Poppe. Denn sie bringe einige Ungenauigkeiten mit sich: Erstens würden Demonstranten nicht in genau voneinander abgrenzbaren Reihen laufen. Und zweitens ließen sich bei einer Großdemonstration wie in Freiburg die Reihen nicht gut von vorne nach hinten durchzählen, so Poppe. Dazu sei die Lage einfach zu unübersichtlich.
Auch Polizeisprecherin Jahnz gibt zu: "Zu dieser Demo gab es mehrere 
Zuströmwege. Bis kurz vor 17 Uhr hatten sich etwa 2000 Menschen auf dem 
Augustinerplatz versammelt. Dann auf einmal ist die Menschenmenge 
explodiert – ich weiß gar nicht, wo die alle herkamen." Sie war selbst 
mitten im Gedränge. Und sei von allen Seiten daraufhin angesprochen 
worden, wie viele Teilnehmer wohl gekommen seien, erzählt sie. "Das war 
für die Leute das prickelndste Thema."
In den sozialen Netzwerken wie Facebook hatten rund 6000 Menschen ihr 
Kommen angekündigt. Das war auch die Zahl, auf die die Polizei sich 
eingestellt hatte – entsprechend viele Beamten hatten sie nach Freiburg 
beordert. Wie viele genau, gibt die Polizei aus einsatztaktischen 
Gründen nicht preis.
Ungenaue polizeiliche Schätzungen, wie viele Teilnehmer da waren, hält 
Poppe für problematisch. "Die Zahl wird zum gesamtgesellschaftlichen 
Narrativ. Die Polizei sagt, es waren soundsoviele Menschen da, und was 
die Polizei sagt, hat hohe Glaubwürdigkeit. Dann wird die Zahl überall 
publiziert und weitererzählt – gerade bei hochbrisanten Themen wie 
Pegida- und Anti-Pegida-Demos ist das ein Problem", sagt der Soziologe, 
der sich auf quantitative empirische Forschung spezialisiert hat. Er 
erhob auch die Zahlen der Leipziger Legida-Demonstration, wo die Polizei
 15.000 Demonstranten zählte, er jedoch lediglich auf 4000 bis 6000 kam.
Seine Studenten leitet er zu folgender Zählweise an: Von einem Hochhaus 
aus machen sie ein Foto von der Menschenmenge, über das sie ein Raster 
legen. Das schachbrettartige Muster wird ausgewertet: Wie viele Menschen
 kommen im Schnitt auf ein Kästchen, wie viele Kästchen sind es 
insgesamt? Beide Zahlen werden multipliziert.
Zusätzlich bestimmen sogenannte teilnehmende Beobachter die 
Menschendichte: So besteht der Boden des Augustusplatzes in Leipzig aus 
60 Zentimeter breiten Steinplatten. Die Soziologiestudenten zählen, wie 
viele Menschen auf einem Karree von drei mal drei Platten stehen. Das 
ist bei Demonstrationen im Schnitt eine Person. Bei anderen 
Veranstaltungen wie Rockkonzerten können es bis zu fünf Personen sein. 
Und genau da vermutet Poppe auch den Zählfehler der Polizei. "Wir 
denken, dass sie einen zu hohen Multiplikator nimmt, vielleicht drei 
statt eins."
Bereits im Vorfeld versucht die Polizei laut Jahnz zu ermitteln, wie 
viele Menschen zu einer Demonstration kommen werden. Dabei spiele eine 
große Rolle, ob die Kundgebung erwartungsgemäß friedlich verlaufen 
werde. Und für die Anti-Pegida-Demo hätten die Kollegen vom 
Staatsschutz, die die Szene kennen, einen friedlichen Verlauf 
vorausgesagt. Dass knapp viermal so viele Demonstranten kamen, sei daher
 unter Sicherheitsaspekten unproblematisch gewesen, sagt Jahnz.
Warum die Polizei höhere Angaben von Teilnehmerzahlen macht? Manche 
unterstellen auch ein einsatztaktisches Kalkül, so Poppe: 
"Möglicherweise will man damit das hohe Polizeiaufgebot rechtfertigen. 
Wobei, da muss ich die Polizei auch verteidigen: Wenn Sie zu wenig 
Polizei haben, brennt die halbe Stadt ab. Wenn Sie zu viel Polizei 
haben, haben Sie im Zweifelsfall einfach zu viel Steuergeld ausgegeben."
