Leipziger Wissenschaftler analysieren Ursachen der Pegida/Legida-Bewegung
Von Andreas Debski
Leipzig. Sachsen ist keineswegs so weltoffen und tolerant, wie
es sich darstellt - das sagen Wissenschaftler, die für das unter anderem
von der Stadt Leipzig unterstützte Dokumentationsprojekt Chronik.LE die
Ursachen der derzeitigen Pegida-/Legida-Bewegung analysiert haben. Der
Fokus liege dabei zwar auf Leipzig, doch die Arbeit gehe weit darüber
hinaus, macht Frank Schubert bei der Präsentation der neuen Broschüre
"Leipziger Zustände" klar, was auch die vielen Anfragen von Schulen aus
der Region zeigen würden.
In der Betrachtung der ersten beiden Legida-Kundgebungen sowie der
verbreiteten Positionen sind sich die Wissenschaftler - überwiegend
Politologen und Soziologen - einig: "Die Strategie der NPD geht auf:
Hier wird der Schulterschluss von Rechtsextremen mit Normalbürgern
vollzogen, ohne das die Partei vorwegmarschieren muss. Es wird nicht
selten das gleiche Vokabular verwendet, als Ziel wird eine weiße
völkische Gesellschaft ausgegeben", stellt der Politikwissenschaftler
Paul Förster fest. Sein Fazit lautet: "Legida beinhaltet eindeutig
nationalsozialistische Elemente." Das bedeute nicht, dass jeder der
Sympathisanten ein Neonazi sei - "doch allein durch die Anwesenheit
werden diese Rechtsextremisten unterstützt".
Zudem hätten die Analysen gezeigt, so Förster, dass vor allem die
"untere Mittelschicht" für die Legida-Programmatik, wie auch für die
Pegida-Positionen, offen sei. "Es sind nicht selten Menschen, die Angst
vor einem sozialen Abstieg haben; davor, dass sie möglicherweise ein
Stück ihres Kuchens abgeben sollen", erklärt der Politikwissenschaftler,
"diese Angst summiert sich schließlich in einem Feindbild." Dabei werde
kaum hinterfragt, wer die inhaltlichen Kriterien vorgibt - "denn wer
sich ernsthaft damit auseinandersetzt, würde schnell feststellen, dass
die Verantwortlichen nicht unbedingt seriös sind". Das sieht Steven
Hummel, der für die Broschüre den Artikel "Leipzigs (neue) Wutbürger"
verfasst hat, ebenso: "Würden Legida-Anhänger genauer hinschauen, müsste
sich jeder von ihnen fragen: Was mache ich eigentlich hier?" Und Marina
Blum von ChronikLE findet es "bedenklich und gleichzeitig interessant,
dass sich atheistische Menschen plötzlich auf ihre christlich-jüdischen
Wurzeln besinnen, um den Islam als Bedrohung darzustellen".
Der Verein Engagierte Wissenschaft dokumentiert mit Chronik.LE seit 2008
faschistische, rassistische und diskriminierende Ereignisse in Leipzig
und Umgebung. Schwerpunkt der neuen 60-seitigen Broschüre "Leipziger
Zustände" sind Analysen zu den Protesten gegen Asylunterkünfte und den
Leipziger Moscheebau sowie zum alltäglichen Rassismus. "Wir werfen ein
Licht auf die Mobilisierungen und Einstellungen, auf denen auch die
derzeitige Pegida-/Legida-Bewegung basiert", erklärt Schubert.
Daneben beschreiben die Wissenschaftler diverse Entwicklungen am rechten
Rand: Es wird ausführlich auf die Alternative für Deutschland (AfD)
eingegangen, daneben werden die jüngsten Entwicklungen innerhalb der NPD
wie auch die Wahlkämpfe des vergangenen Jahres thematisiert. Johannes
Kiess, Extremismusexperte von der Universität Leipzig, untersucht
beispielsweise die Wählerwanderung und zeigt, dass fast die Hälfte der
AfD-Positionen auf rechtsextremen Einstellungen basiert. Außer diesen
politischen Analysen werden Asylsuchende porträtiert und deren jeweilige
Situation beschrieben. Die Broschüre ist kostenlos erhältlich .