Morgen wird im Historischen Kaufhaus der Verfolgung Homosexueller durch das NS-Regime gedacht – drei Beispiel aus dem Freiburg der Nazizeit.
Rund 180 Männer wurden vom Landgericht Freiburg zwischen 1935
und 1945 wegen ihrer Homosexualität verurteilt, 114 Verfahren sind
dokumentiert, sagt der US-Amerikaner William Schaefer, der sich seit
vielen Jahren mit der Verfolgung Homosexueller in Südbaden während des
Nationalsozialismus befasst. 1935 wurde der 1871 eingeführte Paragraf
175 des Strafgesetzbuchs, der Homosexualität unter Strafe stellte,
verschärft, schon ein Jahr später stieg die Zahl der Verurteilungen
stark an. "Es gab strengere Strafen, aber auch die Bedeutung der
Straftat veränderte sich", erklärt der 31-jährige französische
Historiker Frédéric Stroh. So sei nun auch Masturbation unter Männern
strafbar gewesen.
Bis 1937 stieg die Zahl der Urteile stark an, ehe sie kontinuierlich
zurückging. Die Verfolgung von Homosexuellen hatte keine Priorität mehr,
und als der Krieg begann, brauchte man Soldaten, erklärt Stroh, der
derzeit an der Universität Straßburg zum Thema "Verfolgung von
Homosexuellen im Elsass und in Baden" promoviert. Er weist darauf hin,
dass sich diese Entwicklung allein auf die Urteile durch die Justiz
bezieht. So wurden viele Homosexuelle nach ihrer Gefängnis- oder
Zuchthausstrafe in ein Konzentrationslager deportiert. Dies basierte auf
einem Erlass des Reichssicherheitshauptamtes vom Juli 1940, demzufolge
"alle Homosexuellen, die mehr als einen Partner verführt haben, nach
ihrer Entlassung in Vorbeugehaft zu nehmen" seien. Andere wurden aber
auch direkt ins KZ verschleppt – ohne Prozess und ohne Urteil, wieder
andere in Pflegeanstalten "entmannt", also kastriert. Stroh kennt auch
Fälle, in denen Männer in Pflegeanstalten starben, höchstwahrscheinlich
keines natürlichen Todes.
REGINALD MARQUIER
Der am 31. Mai 1909 in Freiburg geborene Reginald Marquier kam aus gutem
Hause – der Vater war Besitzer einer Walzfabrik, die Mutter Tochter
eines Fabrikanten und Kaufmanns. In seinen ersten Lebensjahren lebte die
Familie in der Zasiusstraße 47 im Stadtteil Wiehre. Über seine Jugend
ist nicht viel bekannt – außer, dass er auf ein humanistisches Gymnasium
ging. Als sich die Eltern trennten, zog er mit der Mutter aus Freiburg
weg. Nach dem Abitur folgte eine kaufmännische Lehre in Hamburg. Ein
Germanistikstudium brach er ab. 1934 zog es ihn nach Berlin, wo er beim
Verlag "Die Rabenpresse" arbeitete, der zu Beginn der NS-Zeit Werke
veröffentlichte, die dem NS-Regime missfielen. Marquier hatte schon vor
seinem Umzug nach Berlin literarische Texte zu schreiben begonnen.
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde er zur Polizei einberufen, die
später in die Waffen-SS eingegliedert wurde. Er war bei der
Schutzpolizei Leutnant der Reserve. Diese Mitgliedschaft sollte Marquier
mit dem Leben bezahlen. Denn nach einem Erlass Hitlers vom 15. November
1941 wurde ein wegen Homosexualität verurteilter SS-Mann oder Polizist
hingerichtet. Nachdem Marquier bereits 1936 und 1938 verdächtigt wurde,
schwul zu sein, wurde er im April 1943 in Berlin nach Paragraf 175
verurteilt. Die Gnadengesuche seiner Mutter und seines Anwalts wurden
abgelehnt. Im September 1943 wurde Reginald Marquier 34-jährig im
Häftlingslager Wühlheide in Berlin erschossen. Auf seinem am 2. Oktober
1943 ausgestellten Totenschein ist die Todesursache geschwärzt.
Heinrich Himmler, Reichsführer-SS, Chef der Polizei und 1936 Gründer der
"Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung",
bezog am 6. Juli 1943 selbst Stellung zu Marquier: Dieser sei trotz der
ehemals erhobenen Vorwürfe, die mit Verwarnungen endeten,
"unverbesserlich" gewesen. Marquier, schreibt Himmler, solle sich
"gleichgeschlechtlich, insbesondere gegenüber Minderjährigen, vergangen"
haben. Gemäß Paragraf 175a wurde ein Mann, der einen anderen Mann unter
21 "verführte", zu zehn Jahren Zuchthaus bestraft. Dort waren die
Bedingungen härter als im Gefängnis, sagt Schaefer. Weiter schrieb
Himmler. "Vor M., einem geistig hochstehenden, weit über den
Durchschnitt begabten Menschen, der seine Opfer durch schöngeistige
Reden und Freihalten mit Alkohol umgarnte, muss die Allgemeinheit,
insbesondere die Jugend, geschützt werden. Marquier muss deshalb
ausgemerzt werden. Ich schlage die Bestätigung und Vollstreckung des
Urteils vor. "
EDWIN RÜMMELE
An Edwin Rümmele erinnert in der Berliner Allee 9 ein Stolperstein.
Rümmele, im Mai 1892 nahe Schopfheim geboren, lebte und arbeitete von
1937 an als Gehilfe in der Gärtnerei Wacker in Freiburg. Er bewohnte ein
Zimmer in der Steinstraße 9 (heute Berliner Allee), in das einige
Monate später auch der Gärtnerlehrling German S. einzog. Zuvor war der
langjährige Laienbruder Edwin Rümmele wegen geschlechtlicher
"Verirrungen" aus dem Jesuitenorden in St. Blasien entlassen worden und
von einem Waldshuter Gericht zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und
zehn Monaten verurteilt worden. In ihrem gemeinsamen Freiburger Zimmer
sollen Rümmele und S. mehrfach Sex miteinander gehabt haben. Im April
1938 zog Rümmele nach Konstanz. An den Freund und Liebhaber schrieb er
Briefe, die, so Schaefer, nicht Klartext sprechen; man müsse zwischen
den Zeilen lesen. In den Justizakten gibt es heute nicht mehr viele
solcher Briefe, weiß Stroh. Oft seien sie bei Hausdurchsuchungen
entdeckt worden. "Sie sind informationsreich." Aus ihnen sei oft die
alltägliche Angst herauszulesen. Im Fall von Edwin Rümmele geriet einer
seiner Briefe an German S. in die Hände von Rümmeles früherem
Arbeitgeber, Gärtnermeister Wacker. Dieser zeigte ihn an. Solche
Denunziationen spielten eine große Rolle, sagen Schaefer und Stroh.
Denunzianten waren Arbeitgeber und Kollegen, Vermieter und Nachbarn –
und sogar die eigene Mutter. Wegen der homophoben Propaganda habe sich
eine Hysterie entwickelt, sagt Stroh.
Edwin Rümmele wurde verhaftet, kam zuerst ins Gefängnis in Konstanz,
dann nach Freiburg. Dort wurde er am 4. August 1938 vom Landgericht zu
einer zweieinhalbjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. In einem Brief an
seinen Anwalt schreibt der im Ersten Weltkrieg mehrfach ausgezeichnete
Soldat, dass er Opfer dieses Krieges sei und seine "Verfehlungen" dort
ihren Ursprung hätten. Im Urteil heißt es: "Das Gericht billigte dem
Angeklagten trotzdem noch einmal mildernde Umstände zu, da er in weitem
Umfang geständig war, da die Gelegenheit sich wohl in besonders
versucherischer Weise darbot und da es für den Angeklagten als sehr
tapferen Soldaten besonders schwer wäre, durch eine Zuchthausstrafe
völlig aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen zu werden." Nach
Gefängnisaufenthalten in Freiburg und Mannheim wurde Rümmele Anfang 1939
in ein hessisches Strafgefangenenlager gebracht und am 5. Mai 1941
entlassen. "Rümmele hatte Glück. Das hätte ganz anders ausgehen können",
sagt Historiker Schaefer. Über Edwin Rümmeles weiteres Leben ist nichts
bekannt: 1986 starb er 94-jährig in Müllheim.
FRITZ HAUSER
Auch der Freiburger Fritz Hauser wurde 1892 geboren, wie Rümmele war er
Soldat im Ersten Weltkrieg, allerdings wurde er als "feld- und
garnisonsdienstunfähig" entlassen. Nach dem Krieg arbeitete er beim
Verlag Herder, lebte zwischendurch in Zürich und kam dann wieder nach
Freiburg, wo er als Hilfsarbeiter arbeitete. Von 1931 an war er Anhänger
der Ernsten Bibelforscher, aus der die Zeugen Jehovas hervorgingen.
Im Staatsarchiv Freiburg wird eine Akte des staatlichen Gesundheitsamtes
über Fritz Hauser aufbewahrt. Sie dokumentiert einen Aufenthalt in der
Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen. Dort sollte untersucht werden, ob
er an "angeborenem Schwachsinn" leide und eine Zwangssterilisierung in
Frage komme. Die Akte enthält unter anderem einen
"Intelligenzprüfungsbogen". Am Ende kommt das Amt zu der Einschätzung,
dass Hauser nicht schwachsinnig, sondern ein "verschrobener Psychopath"
sei.
Am 18. Juli 1940 wurde der Lagerarbeiter zu einer zweieinhalbjährigen
Gefängnisstrafe verurteilt. Seine Prozessakte ist nicht erhalten, es
wird aber vermutet, dass Hauser – anders als Rümmele – nach seiner
Gefängnisstrafe nicht entlassen wurde; Schaefer vermutet, weil er
zahlreiche Vorstrafen hatte, unter anderem wegen "widernatürlicher
Unzucht". Im August 1942 kam Hauser ins KZ Flossenbürg. Im Oktober
desselben Jahres brachte man ihn ins KZ Dachau, im Januar 1944 nach
Majdanek, wo er am 14. April 1944 ermordet wurde. An Fritz Hauser
erinnert ein Stolperstein in der Zunftstraße 11 im Stadtteil
Brühl-Beurbarung.
– Dem Historiker William Schaefer sind im Wesentlichen die Recherchen
über Reginald Marquier, Edwin Rümmele und Fritz Hauser zu verdanken.
Gedenken
Anlässlich des Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 veranstaltet die Stadt alljährlich eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus. Diesmal liegt der Schwerpunkt auf der Verfolgung homosexueller Männer. Zum Thema werden am Dienstag, 27. Januar, ab 19.30 Uhr im Historischen Kaufhaus am Münsterplatz Albert Knoll (Archivar der KZ-Gedenkstätte Dachau) und William Schaefer (Rosa Hilfe Freiburg) Vorträge halten. Veranstalter sind das Kulturamt und das SWR-Studio Freiburg in Zusammenarbeit mit zahlreichen weiteren Institutionen. Eintritt frei. Der Historiker Frédéric Stroh sucht Zeitzeugen und Angehörige zum Thema (E-Mail an: frederic.stroh@wanadoo.fr).