Die "Villa Hoven" in Herdern hat eine wechselvolle Geschichte: Einst Sanatorium, Kriegslazarett, dann neurologische Klinik der Uni. Neue Recherchen geben einige Rätsel auf.
Die Hansastraße im Stadtteil Herdern wurde in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts langsam erschlossen. Im oberen Teil zum Schlossberg hin
befand sich der Wohlgemuthsche Park, von dem heute noch Teile erhalten
sind. Im Park errichteten Jakob Peter Max und Carola Hoven 1909/10 die
Pension "Villa Hoven" (Hansastraße 9). 1913 folgte ein zweites großes
Gebäude in der 9a.
In den Berichten über die Fertigstellung des zweiten Baus – ein
"diätisches Kurhaus" – heißt es, mit viel Geld sei ein großer Wurf von
weltstädtischem Charakter geschaffen worden und solle besonders
vornehmen Fremden für längere Zeit einen angenehmen Aufenthalt gewähren:
Zimmer in luxuriöser Einrichtung samt Marmorbad, Lift, elektrischer
Klingelleitung und – 1913 noch rar – Telefon, und sogar eine zentrale
"Vakuumanlage". Damit keine Gerüche und Lärm die Gäste belästigten,
befand sich die Küche im zweiten Untergeschoss. Die ärztliche Leitung
hatte Dr. K. Bernold Martin, ein Arzt für innere Medizin und
Nervenleiden.
Ein Rätsel ist, wie die Betreiber an die reichen ausländischen Patienten
– vor allem englische – und an die erheblichen Geldmittel kamen, denn
Jakob Peter Hoven war Oberpostassistent mit geringem Einkommen. Während
der aufreibenden Bauzeit und der Mitarbeit im Sanatorium ließ er sich
oft dienstunfähig schreiben statt Päckchen zu sortieren. Er ging gar
gegen die Post vor, die ihn für einen Simulanten hielt. Die größere
Rolle spielte wohl seine aus Diedelsheim bei Karlsruhe stammende Frau
Carola, die das Sanatorium nach seinem Tode 1930 weiter führte. Von
ihren in der Schweiz lebenden Geschwistern soll nach ihren Angaben das
Geld gekommen sein. Dies bleibt vage und abenteuerlich, zumal sie bald
darauf auch noch das Kybbad-Landgut in Kappel übernahmen, das ebenfalls
erhebliche Mittel forderte.
Ein Gesuch um Konzession des Betriebs wurde vom Stadtrat zunächst
befürwortet, wenig später aber aufgrund von Einsprachen abgelehnt, denn
ein Gewerbe dieser Art war in der Villengegend untersagt und erforderte
eine Sondergenehmigung. Dies hinderte die Hovens nicht daran, viele
Jahre ohne Genehmigung weiter zu machen. Verschiedene Expansionspläne
scheiterten dagegen am Widerstand von Nachbarn und anderen
Interessenten. 1923 wurde das Baugesuch abgewiesen, an das Gebäude 9a
eine gynäkologische Klinik anzubauen: Der Anblick von Kranken und das
Geschrei der Gebärenden sei im bevorzugtesten Wohngebiet der Stadt
unmöglich. 1934 scheiterte ein Baugesuch auf Errichtung eines
Röntgeninstituts auf dem Gelände zur Mozartstraße hin. Hier
intervenierte neben den Anwohnern die Klinikgemeinschaft von Uni und
Stadt, die Konkurrenz fürchtete.
Den ersten Bruch brachte der Erste Weltkrieg: Die Hovens betrieben nun
bis Anfang 1919 ein Lazarett für Leichtverwundete. Anschließend hatten
sie bis Mitte der 1920er Jahre Probleme, die Kunden aus den
"Feindstaaten" wiederzugewinnen. Hier halfen wiederum rätselhafte
Kontakte zur griechischen Regierung, die von 1919 bis 1923 Offiziere zur
Nachkur schickte (Griechenland und die Türkei befanden sich bis 1922 im
Krieg).
Danach kamen langsam wieder gut betuchte Gäste: Adelige wie die
italienische Contessa Visconti di Modrone, die Mutter von
Gattopardo-Regisseur Luchino Visconti, Diplomaten und Politiker wie Sir
Percy Loraine, britischer Hochkommissar für Ägypten und den Sudan, Sir
Samuel Hoare, Minister für Luftschifffahrt, führende Bankiers aus
England und Kanada, indische Maharadschas, Nawabs und Prinzessinnen aus
Bhopal, Indore oder Kapurthala. Auch die Ehefrau eines
Wirtschaftsmagnaten kam als Gast: Mary Lilian Harmsworth Viscountess
Rothermere, Gattin des Zeitungskönigs, die sehr prominent in sozialen
und künstlerischen Kreisen Londons war. Sie förderte den späteren
Literatur-Nobelpreisträger T.S. Eliot und stellte ihn als Herausgeber
der Zeitschrift Criterion an. Es dürfte kein Zufall sein, dass Eliots
erste Frau Vivien Haigh-Wood – ebenfalls Autorin – 1926 im Sanatorium
weilte.
Die Gäste füllten die Kassen der Stadt, doch wurde kaum oder gar nicht
öffentlich über sie berichtet. Vermutlich wollten die Promis ihre Ruhe
haben, denn immerhin wurden dort auch nervliche Leiden behandelt. Es
machte jedoch Eindruck, als 1934 ein indisches Prinzenpaar eine
Siegfried-Aufführung von Richard Wagner im Stadttheater besuchte.
Aufhorchen lässt ein Brief von Carola Hoven an NS-Oberbürgermeister
Franz Kerber aus dem Jahr 1934, mit dem sie einem Baugesuch Nachdruck
verschaffen wollte. Sie schreibt, ihre Familie habe in den Jahren vor
1933 darunter zu leiden gehabt, Nationalsozialisten zu sein. 1932 seien
täglich 15 bedürftige nationalsozialistische "Volksgenossen" im
Sanatorium unentgeltlich gespeist worden. Auch in der Folgezeit habe sie
NS-Formationen erheblich durch Spenden von Betten, Büroeinrichtungen,
einem Billardspiel und einem Auto gefördert. Das ist auch deshalb
glaubwürdig, weil sie nachweislich ihre Witwenrente der Freiburger
SS-Motorstaffel stiftete.
Darüber hinaus seien "bei den ausländischen Kurgästen oft hohe Summen
gesammelt und an nationalsozialistische Verbände abgeliefert" worden.
Dafür liegen zwar keine Details oder Beweise vor, doch die Gästeliste
lässt Vermutungen in Bezug auf einzelne Gäste zu. So war Hugh Grosvenor,
der 2. Duke of Westminster, nicht nur einer der reichsten Männer
Englands, sondern wurde vor dem Zweiten Weltkrieg auch Mitglied
rechtsextremer pro-deutscher und antisemitischer Gruppierungen wie dem
"Right Club" und "The Link". Dass der Herzog – lange liiert mit
Modezarin Coco Chanel – zu Spenden bereit und in der Lage war, liegt
zumindest nahe.
Für die politische Einstellung Jakob Peter Hovens gibt es ebenso wenig
Belege wie über die des ältesten Sohnes Hans Hoven, der als Arzt im
Sanatorium mitarbeitete. Umso prägnanter dagegen die Söhne Erwin und
Waldemar: Erwin, Prokurist im Familienbetrieb, trat am 1. Mai 1932 der
NSDAP und am 1. März 1933 der SS bei. Waldemar folgte 1933 in die SS und
nach Aufhebung der Mitgliedersperre 1937 in die Partei. Er hatte von
1925 bis 1930 als Sekretär mitgearbeitet, dann einige Jahre im Ausland
verbracht, wurde aber wegen der schweren Erkrankung von Hans 1933 zurück
gerufen. Er sollte das Abitur nachholen, Medizin studieren und Hans im
Sanatorium ersetzen.
In Freiburg engagierte sich Waldemar in der SS-Motor-Staffel, in der
sein älterer Bruder Erwin bereits Adjutant des Sturmführers war. Sie
fuhren Geschicklichkeitsrennen auf dem zugefrorenen Titisee und sorgten
als Besitzer von Fahrzeugen für die Mobilität und Einsatzfähigkeit der
weltanschaulichen Kampftruppe. Erwins Frau war eine der wenigen
Partnerinnen Freiburger SS-Angehöriger, die selbst auch Förderndes
Mitglied der SS war.
Waldemar brachte sich beim Reichsführer-SS Heinrich Himmler ins Spiel,
indem er ihm Juli 1939 einen Originalbrief von Friedrich Schiller
schenkte. Himmler war erfreut und ließ Erkundigungen über ihn einziehen,
um ihn "später einmal zur Mitarbeit heranzuziehen". Weniger Erfolg
hatte die Eingabe seiner Mutter an die SS-Forschungsgemeinschaft
Ahnenerbe, archäologische Forschungen an der Kyburg vorzunehmen, sie
erschienen dem Ahnenerbe als nicht aussichtsreich. Als 1934 Gerüchte
verbreitet wurden, die Hovens wollten den berühmten jüdischen
Internisten und Freiburger Klinikdirektor Professor Siegfried
Thannhauser einstellen – er war gerade von den Nazis degradiert worden
–, verwahrte sich Carola Hoven: Zwar wären damit alle finanziellen
Sorgen beseitigt, aber das komme bei ihrer Einstellung nicht in Frage.
Einst hatten die Hovens aber sehr wohl geschäftliche Beziehungen zu
Juden gepflegt, wie zum Immobilienmakler und Stadtverordneten Jakob
Nelson.
Später sollte Waldemar traurige Berühmtheit als Lagerarzt des KZ
Buchenwald und stellvertretender Leiter der Abteilung für Fleckfieber-
und Virusforschung des Hygiene-Instituts der Waffen-SS erreichen. Er war
für hunderte Tode verantwortlich. Seine an der Uni Freiburg
eingereichte Dissertation beruhte auf Menschenversuchen. Im Nürnberger
Ärzteprozess wurde der SS-Hauptsturmführer 1947 zum Tode verurteilt und
1948 trotz einiger Interventionen hingerichtet. SS-Obersturmführer Erwin
Hoven wurde zwar von der französischen Besatzungsmacht interniert und
anscheinend sogar wegen Kriegsverbrechen verurteilt, aber nach ein paar
Jahren schon wieder entlassen.
Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs war das Sanatorium Reserve-Lazarett
der Wehrmacht geworden und die Hovens zogen sich auf das Landgut in
Kappel zurück. Nach dem Krieg wurden die Gebäude von der französischen
Besatzungsmacht beschlagnahmt und als Lazarett und zur Unterbringung von
Internatsschülern des Französischen Gymnasiums genutzt. Erst Mitte der
1950er Jahre konnte das Land Baden-Württemberg übernehmen und in der 9a
die Klinische Neurologie und Neurophysiologie der Universität Freiburg
unterbringen. Seit 2004 beherbergt es das Bernstein Center Freiburg für
Computational Neuroscience und Neurotechnologie. In der Hansastraße 9
befinden sich Büroräume des Landesgesundheitsamtes; ein Projekt des
Instituts für Soziologie zum Akzeptanzpotential von Gesellschaftswissen
hat gerade seine Arbeit beendet. Sowohl hier wie beim Bernsteincenter
gab und gibt es indische Gastwissenschaftler, aber keine Maharadschas
mehr.