Während Neonazis gegen eine angebliche „Zionist Occupied Government (ZOG)“ demonstrieren und Truther gegen eine „Neue Weltordnung (NWO)“ mobilisieren, singt der Popstar Xavier Naidoo gegen das „Babylon System“ an. Inhaltlich geht es gegen ein ähnliches Feindbild: Eine herbeifantasierte geheime jüdische Weltregierung. Der Sänger und seine ehemalige Band „Söhne Mannheims“ transportieren Antisemitismus und rufen sogar zum Systemsturz auf.
An Silvester traf sich angeblich ein Reichsbürgergrüppchen um Stefan G. Weinmann im Restaurant „Kurfürst am Markt“ in Mannheim und unterzeichneten nach eigenen Angaben ein „Dokument zur Abwicklung der BRD“. Dabei beriefen sie sich auf Aussagen von „Prof. Faurisson“, einem international bekannten Holocaustleugner – sowie auf Xavier Naidoo. Mit ihm als Soundtrack wollen die Reichsideologen nach eigenen Aussagen „den Reichstag ausmisten“ und den Bundespräsidenten Joachim Gauck „verhaften“. Eigentlich nichts Neues, denn davon sang Naidoo bereits 2009 in dem Song „Raus aus dem Reichstag“.
Auszüge aus Naidoos YouTube-Kanälen verbreiteten sich seit Jahren in antisemitischen Kreisen und Netzwerken wie TruTube. Dort wird der Holocaust geleugnet und gegen jüdische Menschen gehetzt. Beliebt dabei: sein Lied „Raus aus dem Reichstag“. Laut dem offiziellen Songtext im Begleitheft der CD “Alles kann besser werden“ singt er:
“Wie die Jungs von der Keinherzbank, die mit unserer Kohle zocken. Ihr wart sehr, sehr böse und steht bepisst in euren Socken. Baron Totschild gibt den Ton an und er scheißt auf euch Gockel. Der Schmock ist’n Fuchs und ihr seid nur Trottel.”
Mit „Baron Totschild“ spielen beispielsweise auch Neonazis auf die jüdische Bankiers-Familie Rothschild an, denen schon die Nazis unterstellt hatten, hinter dem Federal Reserve System (FED) und damit hinter dem Banken- und Zinssystem zu stehen, dem in verschwörungsideologischer Manier die Schuld am allen sozialen Missständen und Krieg der Welt gegeben wird.
Fünf Jahre nachdem Naidoo „Raus aus dem Reichstag“ sang, unterstützte er am 3. Oktober 2014 eine Veranstaltung um einen vorbestraften ehemaligen NPD-Kader und einem “Regierungsmitglied” des Fantasiestaats „Freistaat Preußen“, aus deren Kreisen mal wieder zum Sturm auf den Reichstag und zum gewaltsamen Sturz der Bundesregierung aufgerufen wurde.
Im April 2010 veröffentlichte der Mannheimer Soulsänger ein Video, in dem er ausgewählte Fragen aus seinem Forum beantwortet und über Helmut Schmidt und dem „Bohemian Grove“ schwadroniert, sowie erzählt mit allen Mitteln dagegen ankämpfen zu wollen. Der Besuch des ehemaligen Bundeskanzlers Schmidt an zwei Treffen des elitären US-amerikanischen Männerclubs „Bohemian Club“ brachte Naidoo zur These, dass eigentlich alle großen Politiker nur Lakaien und Marionetten seien.
Negativpreis für den größten antiwissenschaftlichen Unsinn
Naidoos große Popularität könne Menschen in eine abstruse Gedankenwelt aus unhaltbaren Behauptungen führen, in denen Hass und Angst mehr zählen als Fakten, schreiben „Die Skeptiker“ zur Verleihung des Negativpreises für den größten antiwissenschaftlichen Unsinn des Jahres „Das Goldene Brett“ an den R&B-Sänger: „Ein waches Hinterfragen politischer Geschehnisse, auch von Terroranschlägen und der Berichterstattung darüber, könnte ja sinnvoll sein. Doch eine rationale Diskussion über tatsächliche politische Missstände wird durch plumpe Verschwörungstheorien unmöglich. Xavier Naidoo wird zur Einstiegsdroge der Irrationalität, die mit pathetischer Musik beginnt und bei Chemtrails und Weltverschwörungs-Paranoia endet.“ Naidoo wird mit seinem Engagement zur Einstiegsdroge in ein ganzes Geflecht an abstrusen Verschwörungstheorien, so die Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), die sehr gefährlich werden können.
Sein Hang zur verschwörungstheoretischen Verklärung der Welt hat auch zu einem Interview geführt, dass Xavier dem Internetsender „Nexworld.TV“ gab. Dies ist ein Internetsender der esoterische, verschwörungstheoretische und pseudowissenschaftliche Theorien propagiert. Am 24. Oktober 2011 war der Sänger dann im ARD-Morgenmagazin zu Gast. Dort wurde er gefragt, ob er sich in Deutschland frei fühle. Naidoo nutzte diese Gelegenheit und antworte: „Aber nein, wir sind nicht frei, wir sind immer noch ein besetztes Land! Deutschland hat noch keinen Friedensvertrag und ist dementsprechend auch kein echtes Land und nicht frei“. In der Reichsbürgerszene wurde er diese die Verbreitung einer ihrer Kernthesen gefeiert. Daraufhin unterlegte 2012 die selbsternannte „Reichsbewegung – Neue Gemeinschaft von Philosophen“ ein Propagandavideo mit dem Song „IZ ON“ der Söhne Mannheims.
Am deutschen Nationalfeiertag 2014 präsentierte Xavier Naidoo bei seiner Rede auf einer Querfrontdemo in Berlin sein schwarzes T-Shirt mit der nationalistischen Parole „Freiheit für Deutschland“. In diesem Jahr tourt der Sänger unter dem Motto „Frei Sein“ durch Österreich und Deutschland. In der nationalistischen Szene wird diese Botschaft verstanden werden. Die passenden Shirts zu „Frei Sein“ gibt es im Xaviers Shop.
Gegen Zinssystem und demokratischen Parlamentarismus
In seinem Song „Verschieden“ unterstellt Xavier Naidoo den Bundesregierungen der USA und Deutschlands in Geschäftsräumen zu sitzen und suggeriert einen Zusammenhang mit dem bereits bei den Nazis verhassten Zinssystem: „Zins und Zinseszins haben ausgedient. Die CDU hat ausgedient. Angela Merkel hat ausgedient. Sie werden gebeten, aus ihren Geschäftsräumen auszuziehen. Zins und Zinseszins haben ausgedient. Die USA haben ausgedient. Barack Obama hat ausgedient. Sie werden gebeten, aus ihren Geschäftsräumen auszuziehen.“ In wessen Geschäftsräumen Merkel- und Obama-Regierung angeblich sitzen, überlässt Naidoo der Phantasie von Reichsbürgern und Truthern. Der Zins war bereits in der Ideologie der NSDAP ein unterstelltes jüdisches Machtinstrument, um die deutsche Bevölkerung zu knechten und zu beherrschen. Die Brechung dieser Zinsknechtschaft war ein wichtiges Thema der nationalsozialistischen Wirtschaftstheorie. Im Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft des Geldes rechnet Gottfried Feder vor, wie sich das Vermögen der Rothschilds durch Zins und Zinseszins vermehren würde, bis es „das gesamte deutsche Nationalvermögen schon weit übertreffen“ würde und stellte den für den historischen Antisemitismus typischen Gegensatz von raffendem und schaffendem Kapital auf, erläutert Silvio Duwe in seinem Artikel „Rothschild-Verschwörungen bei Xavier Naidoo“ auf Telepolis.
Xavier Naidoos offenkundige Demokratiefeindlichkeit wurde bereits 2012 von Stephan Braun und Alexander Geisler in dem Buch „Die verstimmte Demokratie“ thematisiert. So werden unter anderem Naidoos Songzeilen aus dem Lied „Abgrund“ zitiert: „Und jetzt scheiß ich auf eure Demokratie, ich glaub so ungerecht wie heutzutage war sie noch nie. Ich scheiß auf Diäten mit Jojo-Effekt, ihr wollt auf’s Volk scheißen und denkt ihr werdet sauber geleckt, wem’s schmeckt. Ich hab kein Bock auf eure ungerechten Steuern, genauso gut könnt ich mein Geld im Backofen verfeuern.“ Naidoo kündigt den Politikern in dem Song einen „barbarischer, hässlicher Sturz” an. Ein Sturz, der im Musikvideo zu „Babylon System” in die Tat umgesetzt wird, wie Silvio Duwe erläutert: „Der Text lässt dabei keinen Zweifel, dass das zu beseitigende System die Bundesrepublik ist“.
[ Video: https://www.youtube.com/watch?v=GcG8QcFrby0 ]
In dem Song der „Söhne Mannheims“ singt Naidoo: „Nenn mich ruhig einen Staatsfeind. Denn ich weiß nicht, ob er es gut meint. Oh Mann, ich gönn ihm seine Auszeit, damit die Steuerlast mal ausbleibt. Und man die Scheisse aus ihm raustreibt! Denn jeder Staat außer dem Ameisenstaat ist mein Feind. Hier ist jeder gemeint: Kommunisten-, Nationalisten-, Kapitalistenschwein.“
Diese Parteien-, Ideologie- und Staatsfeindlichkeit kann sehr klar den Rechts-Libertären um Oliver Janich und der „Partei der Vernunft (PdV)“ zugerechnet werden. Auch Janich sieht in antisemitischer Manier die Rothschilds hinter dem System. Wie auch die Medienunternehmer Ken Jebsen und Jürgen Elsässer, mit denen sich der Mannheimer Sänger fotografieren ließ. Bei Naidoo und den Söhnen Mannheims dürfte es 2004 noch gegen das in der Rastafari-Szene verbreitete Klischeebild eines jüdisch-satanistischen Freimaurer-Systems gegangen sein, dass Naidoo bis 2009 laut seinem Song „Raus aus dem Reichstag“ zu einem jüdischen Rothschild-System weiter verdichtete.
Ein System, dem die Söhne Mannheims in ihrem Song „IZ ON“ den tödlichen Stoß verpassen. Ein angebliches System, gegen das auch bei Pegida und Naziaufmärschen demonstriert wird. Ein System gegen das auch islamistische Terroristen ihren Nachwuchs rekrutieren. Ein System, dass ein Reichsbürgergrüppchen um das „Königreich Weinmann“, dem „Staatenbund 1871“ und der „Justizopferhilfe (JOH)“ mit dem Soundtrack von Xavier Naidoo noch im Jahr 2015 abwickeln will.
Siehe auch: Der Absturz des Xavier Naidoo, „…das jüdische Pack loszuwerden!“